Hercules & Love Affair: „Ich war zu Tränen gerührt“
Andy Butler von Hercules & Love Affair über den Zusammenhang von House und Punk, seine Haltung zu Obama und die USA vor der Wahl.
taz: Herr Butler, im Jahr 2009 sah ich Ihr Konzert mit Hercules & Love Affair im Berliner Lido. Ein toller Abend, alle waren am Tanzen, ich auch. Nur tätschelte mir irgendwann ein Fremder ständig den Hintern. Nach zwei-, dreimal empfand ich es als lästig. Ich bin Hetero und würde fremden Frauen nie an den Arsch fassen. Als ich vom Bierholen zurückkam, trat ich ihm daher höflich, aber bestimmt in den Hintern. Wie hätten Sie reagiert?
Andy Butler: In meiner Lebenszeit haben mir schon unzählige fremde Männer an den Hintern gefasst. Und die Palette meiner Reaktionen war – je nach Zustand – völlig unterschiedlich. Manchmal tätschelte ich herzlich zurück, ein andermal reagierte ich mit einem strengen Blick. Böser wird’s bei mir wahrscheinlich nicht. Und klar, es gibt Momente, in denen möchte man einfach nicht am Arsch angefasst werden, und es fühlt sich unangenehm an, wenn es jemand trotzdem tut. Ein höflicher Tritt in den Po ist doch die richtige Antwort.
Durch Punk habe ich gelernt, mich zu wehren.
geboren wurde er 1978 und ist Kopf des Dancefloor-Projekts Hercules & Love Affair, das er zusammen mit Antony Hegarty von Antony & the Johnsons gründete. Seit ihrem Debütalbum von 2008 gelten die New Yorker als Vorreiter der House-Szene. Mit seiner Queerness geht das Quartett offensiv um.
Das Album: Für seinen Mix „DJ-Kicks“ hat Andy Butler klassische Housetracks aus den achtziger und neunziger Jahren ausgewählt, aber auch neues Material, darunter einen unveröffentlichten Track von Hercules & Love Affair.
Das klingt definitiv nach einem Hercules-&-Love-Affair-Konzert und nicht nach dem Moshpit bei Agnostic Front.
Skinheads wie die von Agnostic Front konnte ich noch nie leiden. Ich mochte eher die Beastie Boys, als sie noch Hardcore im Programm hatten.
Ja, ihr frühes Material ist großartig. Wissen Sie, just gestern Abend habe ich über meine Punkwurzeln nachgedacht. Ich finde es meistens öde, wenn mich Journalisten nach meinen Einflüssen befragen, weil sie davon ausgehen, dass ich ein Dancefloor-Hardliner bin. Sobald die Runde macht, dass ich große Stücke auf die Ramones halte oder dass mich Proto-Metal aus den Siebzigern stark beeinflusst hat, ist die Verwunderung groß.
Als mich zum ersten Mal die Botschaft von House erreicht hat, war das nach einem Konzert der US-Posthardcore-Band Nation of Ulysses im München der frühen Neunziger. Nach dem Konzert wurden im Backstageraum die Möbel beiseitegeräumt und der Detroiter DJ Blake Baxter legte Deephouse auf. Unvergesslich.
Das Tolle ist ja, dass es zahlreiche House-DJs gibt, die sowohl mit Undergroundrock als auch mit Dancefloor sozialisiert wurden. Als Musikliebhaber ist man wahrscheinlich automatisch an allem Möglichen interessiert. Mein Bruder ist auch so ein Fall, er schätzt Indierock und House gleichermaßen.
Als ich Ihre Auswahl für das „DJ-Kicks“-Album sah, war ich erstaunt, wie Sie Neunziger-Jahre-Deephouse aus New York und Chicago, etwa Jump Chico Slamm, mit aktuellem Sound mischen und wie zeitgemäß die Musik klingt. Was macht Ihre Klangästhetik so modern?
House wurzelte in Chicago, und es weist viele gemeinsame Klangelemente mit Industrial Music auf. Ich mochte Industrial-EBM, bevor ich House für mich entdeckte: die Platten von Wax Trax Records. Und ich erinnere mich, dass ich als Teenager ein Interview mit Al Jourgensen von Ministry gelesen habe, in dem er sich darüber beklagt, dass er durch sein Viertel in Chicago läuft und House-Tracks hört, die von seiner Musik geklaut hätten.
Es gibt zwischen House und Industrial einen direkten ästhetischen Zusammenhang. Sehen Sie, „Feel Free“ von Jump Chico Slamm ist ähnlich schroff wie Industrial. Die Samples klingen nach der Cut-up-Methode. Die Musik fühlt sich an wie maschinelle Arbeit in einer Fabrik. Mechanisch sind die einzelnen Klangelemente meisterhaft zusammengesetzt.
Was man in Deutschland nicht so mitbekommen hat, House wie „Feel Free“ von Jump Chico Slamm war eine moderne Form von Soulmusik. Ganz besonders in Chicago. Es war Musik für Jung und Alt, für gays und für straights.
Ich würde dekonstruierte Soulmusik dazu sagen. Ganz besonders, was „Feel Free“ angeht. Dieses mantraartig wiederholte „Feel Free“ traf mich immer an einer empfindlichen Stelle. Als ich zuerst im Club dazu abtanzte und als ich die Platte zum ersten Mal aufgelegt habe, fand ich sie immer noch bewegend. Und ich habe ihre Botschaft verinnerlicht.
Durch „Feel Free“ habe ich kapiert, dass ich der sein kann, der ich sein möchte. Und das ist im Grunde genommen die Botschaft des House. Darüber hinaus ist „Feel Free“ schlaue Dancefloor-Musik. Wenn man genau hinhört, entdeckt man großartige Conga-Percussion-Loops und Elemente aus dem Jazz, die jedoch zu einer Art tribalistischem Sound transferiert wurden.
Der New Yorker Produzent Victor Simonelli taucht gleich mit drei Tracks in Ihrem DJ-Mix auf. Ich habe ihn in den neunziger Jahren interviewt. Damals war Dancefloor nicht an Vergangenheit interessiert. Aber Simonelli machte mich darauf aufmerksam, dass man seine Musik besser verstehen könnte, würde man die elektronische Tanzmusik der achtziger Jahre, etwa die von Boyd Jarvis, kennen.
Was ich besonders an Victor Simonelli schätze, der ja eine Generation älter ist als ich, ist sein Erinnerungsvermögen. Er weiß, wie man Gesang auf einem Housetrack inszenieren muss, damit er sophisticated klingt. Und Simonellis Musik hat ihre Wurzeln im Discosound. Große Stimmen, Streicher-Arrangements, herzbrecherische Breaks und melancholische Einschübe – das entspricht seiner Handschrift, und das ist immer noch die Blaupause für Vocalhouse. Sein Bass ist subsonisch, fantastisch tief, das klingt frisch.
Darüber hinaus sprechen mich seine Tracks natürlich auf einer persönlichen Ebene an. Als junger Mensch wurde ich mehr und mehr in die Houseästhetik reingezogen. Und Simonellis Disco-Referenzen ziehen einen bewusst in die Vergangenheit. Ich habe zu allen seinen Tracks ausgiebig getanzt. In der zweiten Hälfte der Neunziger geriet House in die Falle der Loungemusik. Der Jazzeinfluss nahm überhand, plötzlich stülpten sich alle Kopfhörer über und vergaßen, dass diese Musik in aller erster Linie Tanzmusik war und nichts sonst.
Wir haben über die Vergangenheit und die Gegenwart von House gesprochen. Nun würde ich gern wissen, welche Meinung Sie zur Zukunft Ihres Heimatlandes haben. Wie beurteilen Sie als Schwuler die erste Amtszeit von Präsident Barack Obama?
Ich war zu Tränen gerührt, als ich eine Rede von ihm im TV gesehen habe, in der es um die Rechte von Schwulen in der US Army ging. Dann aber wusste ich nicht genau, wie seine wahren Absichten zu verstehen sind. Meint er es mit uns ernst? Vielleicht ist er unsicher, was den Umgang mit Schwulen betrifft.
Wie ist die Stimmung im Land?
Kürzlich las ich einen Artikel, in dem eine Statistik vorkam, die besagt, dass sich sieben Prozent aller Amerikaner zur ihrer Homosexualität bekennen. Wirklich, nur sieben Prozent? Vielleicht hat sich ja doch nicht so viel geändert, wenn es um die Bigotterie geht.
Werden Sie Obama für weitere vier Jahre unterstützen?
Ich werde für Obama stimmen, trotz aller Zweifel. Und ich denke, wir Amerikaner wären sehr dumm, wenn wir ihn am Dienstag nicht erneut wählen würden. Aber vielleicht braucht er für die zweite Amtszeit einen Arschtritt.
Leser*innenkommentare
marion
Gast
aber normy, wäre es dann nicht sinnvoll gewesen, genau das gleich zu schreiben, stichwort konstruktive kritik. aber das ist wohl die krux mit diesen kommentaren, da schreibt man mal schnell was hin, ohne sich zu überlegen, wem das eigentlich was nützt. hauptsache druff. ist in der taz besonders schlimm, dieser hang zum undifferenzierten abgewatsche. auch irgendwie deutsch: da wird nur das herausgepickt, was nicht so irre wichtig ist (musikgeschmack vom bruder), aber infos zu musikalischer sozialisation, zu bestimmten produzenten usw. fallen untern tisch. das glas ist immer lieber halb leer als halb voll. in britischen foren undenkbar, sowas, da wird sich auch nicht mit samthandschuhen angefasst, aber mit respekt und vor allem konstruktiv. ist also möglich. aber morgen ist ja auch noch ein tag.
normy
Gast
liebe marion, bevor sie sich so auf meinen namen einschießen, möchte ich festhalten, dass ich das interview nicht für doof befunden habe, sondern im ersten schritt mal für merkwürdig. das mag auch an meiner eigenen überforderung liegen.
aber im nächsten schritt, wenn ich sehe, dass es sich hier um kein typisches interview, sondern wie sie es treffend nennen, um eine unterhaltung handelt, is das für mich noch lange nicht unterhaltend. butler geht fast schon ein bisschen unter im kontrast zu weber und was er dann sagt, ist pure affirmation, irrelevant (der musikgeschmack seines bruders) oder kitsch (geweint bei obama). grad bei diesem thema hätt ich vom kopf hinter einem queeren projekt wie hercules and love affair spannenderes erwartet oder zumindest nachfragen vom interview-partner...
marion
Gast
manoman, NORMY, bei dir ist name wohl programm: was nicht der NORM entspricht, ist doof! haste nicht bemerkt, dass sich da auf augenhöhe UNTERHALTEN wird? und der herr butler erzählt dadurch dinge, auf die er in einem der NORM enstprechenden interview wohl eher nicht kommen würde. nix für ungut, aber ich hab das interview gern gelesen und interessant gefunden.
normy
Gast
ein merkwürdiges interview. julian weber stellt kaum fragen, sondern erzählt am liebsten von sich selbst und seinem tollen insiderwissen in sachen house-musik...