Nachruf Historiker Hans Mommsen: Ein Funktionalist mit Leidenschaft
Er forschte über die NS-Zeit und vertrat seinen Standpunkt mit Verve, auch im Historikerstreit. 85-jährig ist Hans Mommsen nun gestorben.
Nicht dass die alternative taz ihm ein wichtiges Medium gewesen wäre – aber, das, was in ihr Anfang 1997 zu lesen stand, kam einem persönlichen Angriff auf ihn gleich. Hans Mommsen, das konnte für ihn durchaus einnehmen, war lautstark am Telefon darüber empört, dass man ihn in Misskredit gebracht habe. In einem umfangreichen taz-Dossier von Alexander Bahar und Wilfried Kugel musste der berühmte deutsche Historiker lesen, er habe in den frühen sechziger Jahren seinen akademischen Einfluss geltend gemacht, um die Veröffentlichung eines Manuskripts zu vereiteln.
Jenes handelte vom Reichstagsbrand 1933, den das junge nationalsozialistische Regime nutzte, um seine Macht zu stabilisieren, indem es den niederländischen Anarchisten Marinus van der Lubbe als Täter brandmarkte – als Einzeltäter. Das von Mommsen monierte Skript warf hingegen Fragen auf, die diese These in Zweifel zogen und unter anderem das Interesse der Nationalsozialisten am Brand des Parlaments der von ihnen gehassten Weimarer Republik fundierte.
Mommsens Intervention – als Angestellter des Instituts für Zeitgeschichte in München, der wichtigsten geschichtspolitischen Einrichtung der Bundesrepublik – war politisch begründet, weniger wissenschaftlich. In einer Notiz von ihm heißt es: „das Institut hat ein Interesse, die Publikation (…) aus allgemeinpolitischen Gründen“ zu verhindern.
Hans Mommsen jedenfalls jähzürnte, jüngst emeriert als Professor an der Ruhr-Universität Bochum, 1997 durchs Telefon, als würden frühere geschichtspolitische Schlachten noch weiter zu kämpfen sein: Denn gegen die Behauptung, die Nazis hätten es nicht sein können, die das demokratische Symbol in Flammen setzten, gab es auch 1997 schon eine Fülle von neuen Quellenindizien. Aber dieser Historiker, der so viel für eine kluge Vergangenheitspolitik im demokratischen Teil Nachkriegsdeutschlands leistete, war – keine schlechte Charaktereigenschaft – so zum Wütenden entflammbar wie in seinen viel jüngeren Jahren.
Historiker wie Vater Wilhelm
Diese, nun ja, Fähigkeit zur unmittelbaren Leidenschaft muss ihn auch getragen haben, gegen seine ursprüngliche Absicht doch Geschichtswissenschaftler zu werden. Wie sein eine halbe Stunde älterer Zwillingsbruder Wolfgang wollte er sich vom Vater, dem nazimitläuferischen Historiker Wilhelm Mommsen, beruflich absetzen. Der eine versuchte es mit Physik, der andere, Hans, mit Germanistik – und fanden doch beide zur Geschichte, Wolfgang mit dem Schwerpunkt Imperialismus und Kaiserreich, Hans Mommsen widmete sich der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus und vor allem der Arbeiterbewegung.
Hans Mommsen wurde auf gewisse Weise in der demokratischen Öffentlichkeit bekannter als sein Bruder, mischte er sich nicht nur in den Historikerstreit 1987 ein – durchaus, gemeinsam mit Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler, mit ideologischem Appeal dem „Feind“, dem inzwischen rechtskonservativen Ernst Nolte gegenüber, der den Holocaust für unrelativierbar, unvergleichlich zum deutschen Fatum schlechthin, aber damit auch nicht-mehr-kontextualisierbar erklärte. Mommsen – auch hier ein Geschichtspolitiker mit Einflüssen in alle tonangebenden Medien hinein, Zeit, Spiegel, FAZ und SZ. Er konnte sich diese autoritären Gesten – publizistisch wie als Ordinarius an den Universitäten – leisten, weil er in vielerlei Hinsicht nicht auf Comments in seiner Historikerzunft Rücksicht nehmen musste: Er war ein Großer.
Mommsen gehörte, lang ist dieser Grundsatzstreit her, zu den sogenannten Funktionalisten, die die Intentionalisten bekämpften. Das meint, um es verstehbar für Jüngere zu machen: Letztere guckten sich die deutsche NS-Geschichte an und erklärten die Gräuel des Tausendjährigen Reichs aus den Taten der NS-Täter*innen mit Hitler an der Spitze heraus.
Mommsen und andere hingegen betonten, dass das deutsche Volk nicht vom NS-Parteimitgliederkörper einfach abgespalten werden könne. Im Sinne von: Hier die Verbrecher, dort die irgendwie von ihnen Gedeckelten. Kurz: Der Nationalsozialismus sei als deutsches Ding zu verstehen, als politisches Projekt der Ermöglichung fast aller. Wenn eines nicht stimme, dann dieses nach 1945 gern von Deutschen verbreitete Behauptung: Ich war nicht Hitler. Und: Gegen die viel zu späten, obendrein weinerlichen Bekenntnisse Günter Grass‘ zur eigenen Gläubigkeit in puncto Nationalsozialismus sagte Mommsen, die Schuld am NS allein dessen Repräsentanten zuzuschieben, ginge an der völkischen Wirklichkeit der Jahre zwischen 1933 und 1945 vorbei.
Götz Aly nahm er vehement in Schutz
Nicht weniger verwunderlich, dass Mommsen den nichtakademischen Historiker Götz Aly 2005 mit seiner These von „Hitlers Volksstaat“, auch für dessen Kritik an der Verstrickung der Historikerzunft mit dem Nationalsozialismus (und dem Fortwirken einiger Geschichtswissenschaftler in die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik hinein) vehement in Schutz nahm. Alys Befund, beim Nationalsozialismus habe es sich um „Gefälligkeitsdiktatur“ gehandelt, teilte Mommsen auch öffentlich bekundet.
Und schon in den Sechzigern ließ er sich vernehmen, bei den Attentätern des 20. Juli 1944 um Graf Stauffenberg handele es sich keineswegs als Figuren, die als Demokraten zu feiern seien. Antisemitische Klänge seien ihnen eigen gewesen, und das demokratische Prinzip? Nicht mit den Männern (und wenigen Frauen) dieser adeligen Zirkel! Im Gegenteil plädierte Mommsen nach dem Ende der DDR, den Begriff Antifaschismus nicht zu diskreditieren: Er sei dort immer verstehbar gewesen als Chiffre, die alle Widerständigkeiten gegen Nationalsozialistisches meinte.
In den vergangenen Jahren schrieb Mommsen weniger, im vorigen Jahr ist als letzte Schrift „Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa“ erschienen. Es fasst seine Arbeiten sehr gut lesbar zusammen. Hans Mommsen ist am Donnerstag, an seinem 85. Geburtstag, in Tutzing gestorben.
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