Nachruf Gabriele Wohmann: Die begnadete Vielschreiberin
Sie war Feministin und sezierte mit Vorliebe die Bigotterie des bürgerlich-liberalen Milieus. Nun ist Gabriele Wohmann 83-jährig gestorben.
„Wenn sie mit Schlachtermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen.“ Diesen martialischen Satz – eine Variation einer Aussage der Manson Family – schrieb Heiner Müller, der Berserker unter den Geschlechterkampfbeschreibern.
„Mit einem Messer“ hieß 1958 der erste Band mit Erzählungen der Autorin Gabriele Guyot. Im selben Jahr erschien ihr erster Roman, „Jetzt und Nie“, nun hieß die Autorin mit Nachnamen Wohmann, so wie ihr Ehemann Reiner, mit dem sie seit 1953 verheiratet war. Doch anders als Müller hat Gabriele Wohmann nie zu martialischen Wendungen greifen müssen, wenn sie die Ehehölle beschrieb.
Ihre Waffe war das Seziermesser, mit scharfer Ironie drang sie in die Geschlechterverhältnisse ein, in die Bigotterie des Bürgertums, die sie in 17 Romanen und Hunderten von Erzählungen und Kurzgeschichten ausmaß. Daneben produzierte sie zahlreiche Dramen, Fernseh- und Hörspiele und zeitlebens immer wieder Lyrik. Die Analyse der Verhältnisse von Menschen untereinander hatte sie bei Tschechow gelernt, seine ruhige Art der Konfliktbeschreibung war auch die ihre. Ihre bekanntesten Romane sind „Paulinchen war allein zu Haus“ und „Schönes Gehege“.
Gabriele Wohmann wurde 1932 in eine Darmstädter Pastorenfamilie hineingeboren, die sich nicht mit den Nazis gemeinmachte, und sie erlebte während des Kriegs eine Art glückliche Kindheit, was sie selbst beinahe befremdete. Auch ihre Ehe verlief harmonisch. Zudem war sie, die in den Sechzigerjahren der Gruppe 47 angehörte, ungemein erfolgreich und erhielt zahlreiche Literaturpreise.
Auf den klassischen Gabriele-Wohmann-Autorenfotos aus den Achtzigerjahren lächelt dem Betrachter ein zuversichtliches Gesicht an, unter dem dichten schwarzen Haar blicken hellwache Augen. Auf den Fotos aus den letzten Jahren hat sie noch immer diese wachen Augen, und noch immer sieht man ihr nicht an, wie viel sie rauchte.
Große Lust am Klassenverrat
Umso mehr erstaunt es, dass diese weitgehend zufriedene Frau so beharrlich die versteckten Lügen aufspürte – seltener im großen politischen Gefüge, mehr im privaten, das, wie jedes Kind weiß, ja nicht minder politisch ist. Dies lag sicherlich daran, dass sie eine Feministin war, zu einer Zeit, als dieses Wort kaum bekannt war. Sie war keine Kommunistin, trommelte nicht wie Grass für die SPD und gab auch keine Galionsfigur der Emma oder der Courage ab.
Und dennoch sezierte sie die bürgerlich-liberale Sphäre, der sie entstammte, mit einer großen Lust am Klassenverrat, an der Nestbeschmutzung. Ein Teil des Publikums mied sie daher, andere, die Reich-Ranickis Urteil folgten, sahen in ihr eine nichtsozialistische Realistin, die sie auch nicht war.
Der Rückgriff auf Tschechow und andere frühe Realisten erlaubte ihr, die in ihrer Schreibe keinesfalls rückständig war, vielmehr eine wahrhaftige Beschreibung der Verhältnisse abseits der politischen Flügelkämpfe – die sie nicht aus Feigheit mied, sondern um ihre künstlerische Integrität zu wahren. Das Hässliche war bei ihr hässlich, das Vergängliche vergänglich, sie war Realistin, wie gesagt, wenn auch zuletzt stärker Gott zugewandt.
Unerschöpfliches Potenzial
Gabriele Wohmann, deren kreatives Potenzial unerschöpflich war und sie zur begnadeten Vielschreiberin werden ließ, geriet dennoch in die Mühlen des Systems. Da der Luchterhand Verlag nach mehreren Besitzerwechseln nicht mehr ihre literarische Heimat sein konnte, musste sie, die nie nur in einem Verlag veröffentlichte, in den Neunzigerjahren mehrmals die Verlage wechseln, erst vor rund zehn Jahren fand sie im Aufbau-Verlag eine neue Heimat – aber ihre Backlist wurde nicht mehr aufgelegt.
Für September ist unter dem Titel „Die Idee des Jahres oder Weihnachten ohne mich“ ein Band mit Erzählungen zur Weihnacht angekündigt. Sicher ein gutes Buch. Doch das Vermächtnis der Gabriele Wohmann, die am Dienstag im Alter von 83 Jahren gestorben ist, bleiben vor allem ihre Geschichten aus der rheinischen Republik, die sie so gut beschrieb wie wenige.
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