Nachruf Ali Mitgutsch: Geschichten für unabhängige Kinder
Mit seinem unverkennbaren Illustrationsstil zog er Generationen in seinen Bann. Zum Tod von Ali Mitgutsch, dem Vater der Wimmelbücher.
Bekannt wurde der Münchner Illustrator und Maler Ali (Alfons) Mitgutsch 1968 mit seinem Bilderbuch „Rundherum in meiner Stadt“. Auf großformatigen bunten Doppelseiten führte uns der Kinderbuchautor zu faszinierenden öffentlichen Orten des Alltags – zu einer Baustelle, in den Park, auf die Kirmes, ins Freibad oder zum Hafen.
Auch das Innenleben eines Wohnhauses lässt sich gleichzeitig in vielen Szenen wie durch einen Querschnitt erkunden. Überall ist viel los – auf seinen Bildern wird gespielt, gerauft und allerhand Missgeschicke geschehen.
1969 wurde dieses textlose Sachbilderbuch mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet. „Rundherum in meiner Stadt“ gilt als das erste Wimmelbuch im deutschsprachigen Raum (auch wenn dieser Genre-Begriff erst viel später gebräuchlich werden sollte.)
Seinen unverwechselbaren Bilderbuchstil entwickelte Mitgutsch danach weiter. Er veröffentlichte in den folgenden Jahren zahlreiche Bände über das Leben auf dem Dorf, am Wasser oder in den Bergen im Otto Maier Verlag Ravensburg. Als eine gelungenen Mischung von Lernen und Lachen beschrieb der Verlag 1971 den herausragenden Erfolg des Illustrators.
Unverwechselbar und frech
Bald waren seine Bildbände in jeder öffentlichen Bibliothek und zahlreichen Kindergärten der Bundesrepublik zu finden. Inspiriert vom gesellschaftlichen Wandel der 1968er Jahre luden seine unverwechselbaren, frechen Bilder Kinder zum eigenmächtigen Betrachten, Entdecken und Geschichtenerzählen ein.
Denn auf einer einzigen Seite geschehen gleichzeitig große und kleine, lustige sowie dramatische Ereignisse. In den winterlichen Bergen findet ein Skirennen statt, der Krankenwagen transportiert einen Verletzten ab, Schneebälle fliegen und einer muss dringend auf Klo.
Auf Ali Mitgutsch farbenfrohen Illustrationen scheinen die Kinder weitgehend unabhängig von der Welt der Erwachsenen ihren eigenen Interessen zu folgen. Runde Gesichter und Knopfaugen dominieren das Geschehen. (Auch wenn rückblickend auffällt, welch untergeordnete Rolle die Mädchen in dem turbulenten Treiben der Kinder spielen und wie klassisch sich Rollenverhältnisse in Mitgutschs Büchern darstellen.)
1935 in München geboren, verbrachte Ali Mitgutsch das Ende des Zweiten Weltkriegs mit seiner Familie im Allgäu, aus der Stadt geflohen. Ein Leben lang blieb ihm die Erinnerung an die Wünsche und Träume seiner süddeutschen Kindheit präsent.
Seine frühen Erfahrungen leiteten den Zeichner mit sicherem Gespür und ließen ihn eine faszinierende und einzigartige Bildwelt erschaffen, die Kinder bis heute berührt. Am 10. Januar 2022 ist Ali Mitgutsch im Alter von 86 Jahren in München gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid