Nachrichten von 1914 - 2. August: Die Mobilmachung

Das Volk will Frieden, doch Russland hat das Ultimatum ignoriert. Nun hat Kaiser Wilhelm II. die Mobilmachung der deutschen Armee beschlossen.

Voller Begeisterung ziehen deutsche Soldaten im August 1914 in den Krieg. Bild: dpa

Der Reichsanzeiger veröffentlicht in einer Sonderausgabe folgenden kaiserlichen Erlass:

"Ich bestimme hiermit: Das deutsche Heer und die kaiserliche Marine sind nach Maßgabe des Mobilmachungsplans für das deutsche Heer und die kaiserliche Marine kriegsbereit aufzustellen.

Der 2. August 1914 wird als erster Mobilmachungstag festgesetzt.

Berlin, den 1. August 1914

Aera online ist die Simulation einer Live-Berichterstattung aus dem Jahr 1914. Das Magazin veröffentlicht Nachrichten, die auf den Tag genau vor hundert Jahren von den Menschen in Deutschland in ihren Zeitungen gelesen wurden. Drei historische Zeitungen wurden aus den Archiven gehoben und ausgewertet. Die Texte sind im Wortlaut erhalten, Überschriften und Kurz-Zusammenfassungen wurden teilweise modernen Lesegewohnheiten angepasst.

Das Projekt ist eine Kooperation der zero one film und der Leuphana Universität Lüneburg. taz.de kooperiert mit dem Magazin und veröffentlicht jeden Tag ausgewählte Nachrichten von 1914. Das gesamte aera online Magazin finden Sie hier.

Wilhelm 1. R. v. Bethmann Hollweg"

Russland hat sich nicht bereit erklärt, seine Mobilmachung zu widerrufen und die deutschen Grenzen zu respektieren. Infolgedessen hat der Kaiser, wie in dem Ultimatum angekündigt war, die Mobilmachung des Heeres und der Marine angeordnet und die deutsche Armee wird, wenn es not ist, den russischen Überfall abzuwehren wissen. Das deutsche Volk darf in dieser Stunde noch einmal von sich sagen, dass es diesen Krieg nicht gewollt hat, der so plötzlich in seiner ganzen Furchtbarkeit vor ihm aufgetaucht ist. Aber es wird nicht erlauben, dass der Boden des Vaterlandes von den russischen Regimentern überschwemmt und verwüstet wird.

Der gestrige Tag war so voll von Spannung und Erregung, wie es kein anderer in den letzten Jahrzehnten gewesen ist. Die Berliner Bevölkerung ging wie sonst ruhig an ihre Arbeit, aber die sorgenvolle Erwartung lastete schwer auf all denen, die nicht gedankenlos einen großen Krieg als eine bunte Abwechslung begrüßen, sondern den tiefen Ernst eines solchen Entschlusses empfinden. In den amtlichen, militärischen und diplomatischen Kreisen war man fast allgemein davon überzeugt, dass aus Russland entweder keine oder eine ablehnende Antwort kommen und dass am Nachmittag oder am Abend die deutsche Mobilmachung verfügt werden würde. In den ersten Nachmittagstunden lief hier die Meldung ein, dass der deutsche Botschafter in Petersburg, Graf Pourtalès, das Ultimatum dem russischen Minister des Äußeren vorgestern Abend, wie es beabsichtigt war, überreicht habe, und eine Antwort von russischer Seite schien in Aussicht zu stehen. Stunde um Stunde verging und die Antwort traf nicht ein. Fortwährend sprachen im Auswärtigen Amt die Botschafter und Gesandten der fremden Staaten vor, um Erkundigungen einzuziehen, und die leitenden Stellen der Armee blieben natürlich andauernd in Fühlung mit den Bureaus in der Wilhelmstraße.

Als um halb sechs keine russische Antwort vorlag, war es klar, dass man in Petersburg die Frist absichtlich hatte verstreichen lassen und nicht antworten wollte, und diejenigen, die für die Sicherheit des Reiches und für den Verlauf der militärischen Operationen die Verantwortung tragen, konnten nicht länger warten, wenn nicht der Erfolg der deutschen Mobilmachung gefährdet werden sollte. Vor sechs Uhr erschien der Generalsstabchef v. Moltke im Auswärtigen Amt, um offiziell mitzuteilen, dass der Kaiser die Mobilmachung angeordnet habe.

Um diese Zeit befanden sich der Reichskanzler und der Staatssekretär v. Jagow beim Kaiser. Sie waren um halb sechs im offenen Automobil, mit dem Adjutanten des Kanzlers, zum Schlosse gefahren. Die Konferenz, die beim Kaiser stattfand, dürfte nicht mehr die Mobilmachung, die nun schon beschlossen war und nur noch in den Händen der Militärbehörden lag, sondern andere Fragen, diplomatischer Natur, betroffen haben. Gleichzeitig begab sich der Unterstaatssekretär Zimmermann zum Kriegsminister.

In einem zweiten Extrablatt, das wir in den Abendstunden ausgaben, haben wir darauf hingewiesen, dass in dem deutschen Ultimatum nicht von einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen die Rede war und dass infolge dessen die Abberufung des deutschen Botschafters in Petersburg auch nicht unmittelbar zu erwarten ist. Ebenso wenig kann unter solchen Umständen beabsichtigt werden, dem russischen Botschafter in Berlin seine Pässe zuzustellen, was naturgemäß nur geschehen könnte, wenn wir uns bereits im Kriege mit Russland befänden. Einstweilen besteht zwischen Deutschland und Russland - und zwischen Deutschland und Frankreich, dessen Absichten bisher nicht geklärt sind - noch nicht der Krieg, sondern wir sind erst im Stadium der Mobilmachung. Deutschland will und wird durch diese Mobilmachung die Unverletzlichkeit seines Gebietes sichern.

Es sendet seine Söhne nicht in Eroberungs- und Ruhmlust, sondern zur Verteidigung ins Feld. Und wer das deutsche Volk heute sieht, der muss bewundernswert finden, wie es diese Pflicht der Verteidigung als etwas Selbstverständliches auf sich nimmt. Und wie - der Kaiser hat es gestern in der Ansprache mit Recht hervorgehoben - alle Parteien, auch die oppositionelle, in diesem Pflichtgefühl vereinigt sind.

Quelle: Berliner Tageblatt
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