Nachhaltiges Reisen: Nix wie weg, aber gut überlegt
Wie reisen, wenn einem die Folgen für Klima, Umwelt und Menschen nicht egal sind? Das Buch „FAIRreisen“ kritisiert Trends und zeigt Alternativen.
Irgendwie hat man es sich ja schon gedacht: Wenn man ernsthaft klimafreundlich verreisen will, kommt eigentlich nur der Radurlaub ab der eigenen Haustür infrage oder Zelturlaub auf dem Öko-Campingplatz, den man mit Bahn, Reisebus oder Mitfahrzentrale erreicht. Aber Flugreisen mit Hotel plus Mietwagen, womöglich außerhalb von Europa? Oder gar eine Kreuzfahrt?
No way. Beim ersten Durchblättern von Frank Herrmanns neuem Buch „FAIRreisen“ kann man ganz schön schlechte Laune bekommen, vor allem wenn man gerade dringend Urlaub braucht. Aber was sollte ein „Handbuch für alle, die umweltbewusst unterwegs sein wollen“ – so der Untertitel –, wenn alle am besten zu Hause bleiben?
Tatsächlich ist Herrmann selbst leidenschaftlicher Reisender, nach Amerika, nach Neuseeland und Australien. Er war als Reiseleiter unterwegs, realisierte Entwicklungsprojekte – und initiierte die Faire Biketour in Deutschland. Er ist Tourismusexperte mit praktischer Erfahrung und ein großer Verfechter nachhaltigen Reisens. Für „FAIRreisen“ hat er sich genau angesehen, wie es besser gehen kann, wer auf dem Markt für verantwortungsvolles Wegfahren unterwegs ist und was es dort gibt.
Wie wichtig es ist, sich Gedanken zum Reisen zu machen, zeigt schon ein Blick auf die Statistik: Während 1950 gerade mal 25 Millionen Menschen jährlich im Ausland Urlaub machten, sind es derzeit ungeachtet von Krieg, Terror und Flüchtlingskrisen rund 1,2 Milliarden; 2030 sollen es nach Schätzungen des Welttourismusverbandes 1,8 Milliarden sein – plus der fünf- bis sechsfachen Menge von Reisenden innerhalb ihrer eigenen Länder. Weltweit setzt die Branche jährlich rund 2 Billionen Euro um und beschäftigt etwa 284 Millionen Menschen, überwiegend im Niedriglohnsektor.
All das beschreibt Herrmann und auch die Folgen dieses rasanten Wachstums: von der falschen Gleichsetzung von Tourismus und Entwicklung und der Macht weniger internationaler Konzerne über in die Höhe schnellende Bodenpreise über Klimagase und Zersiedelung bis zu Tierquälerei, Verletzung der Menschenrechte und Kinderprostitution. Herrmann zeigt Fehlentwicklungen im Tourismus auf. Dabei geht es ihm nicht nur um Pauschalreisen an Reiseziele wie Mauritius, Kuba, Mount Everest, die Kalahari oder Thailand.
Wohin mit dem Müll?
Auch in westlichen Metropolen wie Berlin sorgen Städtereisende für eine „Touristifizierung: „nächtliche Ruhestörung, Zweckentfremdung von Wohnraum“. Besonderes Problem infolge des Andrangs von Millionen Besuchern auf engstem Raum: „Wer zahlt die Müllentsorgung, die Beschädigung von Kulturdenkmälern oder die Maßnahmen, die für eine sichere Lenkung und Kontrolle der Touristenströme erforderlich sind? In Disneyland zahle Disney, „in den meisten Städten sei dies „weder klar noch zentral geregelt“.
Die Beispiele sind immer wieder erschreckend: Etwa die Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen, wo die „Kellner, Stewards und Zimmermädchen auch schon mal eine Arbeitszeit von zwölf Stunden und mehr pro Tag haben“ – bei einer 7-Tage-Woche, unbezahlten Überstunden und Unterbringung in engen Mehrbettkabinen, „oft wochenlang überwiegend künstlichem Licht und Klimaanlagen ausgesetzt“.
Für Herrmann sind diese Beschreibungen aber vor allem die Folie, vor der er seine Vorstellungen von einem „Tourismus mit Verantwortung“ entwickeln kann, die sich schon durch die ersten, den Ist-Zustand beschreibenden Kapitel ziehen: Kompensation für Flugreisen, ökologische Outdoorkleidung in den Bergen, Müllvermeidung und Respekt überall.
Seine Vorstellungen bekommen im letzten Drittel noch einmal ausführlich Raum. Hier stellt er Definitionen, Siegel und Akteure vor – von der Globalen Tourismusbehörde über deutsche Verbände, Vereine und Gewerkschaften bis zu tourismuskritischen Organisationen wie Tourism Watch sowie Reiseveranstaltern, Reiseführern und -portalen.
Besondere Obacht empfiehlt Herrmann bei Reisen, die mit dem Anspruch werben, zur Rettung der Welt beizutragen. Freiwillige Auslandseinsätze oder gar den „Megatrend Volotourismus“ – wobei sich Touristen in einem konventionellen Urlaub kurzzeitig in einem gemeinnützigen Projekt in der Urlaubsregion engagieren. Solche Projekte sieht er kritisch, besonders wenn nicht klar ist, „wie der Reisepreis zustande kommt und wie viel Geld die Organisation erhält, bei der man arbeitet“.
Gut gemeinte Projekte
Der „Waisenhaustourismus“ in Siem Reap in Kambodscha etwa habe dazu geführt, dass „Waisenhäuser und Waisen“ entstanden, „wo vorher keine waren“ – viele der Kinder besitzen noch ein Elternteil und elternlose Mädchen und Jungen wachsen in Kambodscha traditionell bei Verwandten auf. „Den Großteil des Geldes stecken sich dubiose Organisationen in die Tasche.“
Herrmann argumentiert aber nicht prinzipiell gegen solche Reiseformen. Er gibt klare Empfehlungen: verantwortungsvolle Veranstalter, kleine Gruppen, Besichtigungen zu Fuß, Möglichkeiten zur dauerhaften Unterstützung mit transparenter Geldverwendung.
Nach der ersten Lektüre hinterlässt „FAIRreisen“ den Eindruck, dass man sich zumindest für die Reiseplanung viel Zeit nehmen sollte. Wenn es dann konkret wird, kann das Handbuch mit den vielen Adressen und Shortlinks eine große Hilfe sein. Wem das zu anstrengend ist, der kann es laut Herrmann immer noch mit Slow Travel probieren. Dies Form des Reisens setzt auf Langsamkeit und die Bereitschaft zu kleinen Katastrophen: „Das Abenteuer kommt dann ganz von allein.“
Leser*innenkommentare
Georg Schmidt
hatte doch schon mehrmals workshops in asiatische Nähfabriken empfohlen, 2 Wochen tshirt nähen oder auf einem Reisfeld arbeiten, danach ist man garantiert urlaubsreif und senht sich nach seinem meimatlichen Sofa
Georg Schmidt
heul doch
33641 (Profil gelöscht)
Gast
Was für wunderliche Abenteuer erlebt man doch auf Reisen und um wieviel gescheiter wäre es, man bliebe daheim.
Frei nach Voltaire
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
Egal, was Herr Herrmann auch schreibt: Deswegen braucht kein Flieger weniger Kerosin, kein Bus weniger Diesel und keine E-Lok weniger Strom.
35440 (Profil gelöscht)
Gast
Günstig Urlaub machen und gleichzeitig fair Urlaub machen geht nicht!
Genau so wenig wie faire Kleidung und bezahlbare Kleidung oder faire Handys und bezahlbare Premiumhandys.
Das ist nicht machbar!
Ich kann (mit 2000€ Brutto) keinen Urlaub bezahlen, wenn die Mitarbeiter auf dem Kreuzfahrtschiff den gleichen Stundenlohn bekommen wie ich. Und ich kann mir auch keinen Kleiderschrank voll machen, wenn die Näher den gleichen Stundenlohn bekommen wie ich.
Auch die, die angeblich fair Urlaub machen wollen, können das im Ausland nur, wenn sie vom Kapitalismus profitieren: "Mir geht es gut, weil es anderen schlechter geht."
Es geht gar nicht darum, irgendwie "fair" zu reisen. Dann müsste man ja in Deutschland Urlaub machen - bäh! Es geht doch nur darum das Gewissen zu beruhigen, damit man weiterhin billig Urlaub für 300€ machen kann. In Kambodscha, zum Beispiel, ja genau! Wo ein ganzes Abendessen nur 2€ kostet - ja, ei, der daus! Wer hätte das gedacht, dass Menschen, die doch angeblich "fair" Urlaub machen wollen, in ein Land fliegen, wo sie für 100€ pro Woche leben können wie Gott in Frankreich...
Also auch faires Reisen ist einfach verlogen, genau so ein Lifestyle wie Veganismus und der ganze andere Schwachsinn, der augenscheinlich zur Rettung der Welt beiträgt, aber dann doch lieber nicht auf alle Annehmlichkeiten der First World verzichtet.
TurboPorter
"Mir geht es gut, weil es anderen schlechter geht."
Nee, umgekehrt: ihnen geht es besser, weil es mir gut geht. Fast 300 Millionen Menschen weltweit verdienen ihr täglich Brot mit Tourismus.
mwanamke
@35440 (Profil gelöscht) Ja, es ist doch immer schön, wenn mensch solche Argumente zur Hand hat, die es ermöglichen sich nicht allzu viele Gedanken zu machen und dabei doch "cool" rüber zu kommen.
Jürgen Matoni
@mwanamke Das, was Cheval Alazán von sich gibt, kann wohl kaum "cool" genannt werden, eher sehr bemüht, argumentativ zu erscheinen.
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
Vegetarismus und Veganismus sind die einzigen sinnvollen Konsequenzen, die aus dem heute üblichen Umgang mit "Nutztieren" gezogen werden können.
Davon abgesehen haben Sie recht: Der Ökokapitalismus ist auch nur ein Kapitalismus und zeitigt daher auch ähnliche Folgen.