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Wollen ihr kleines Fleckchen Grün für alle: Francisco Suárez und Isaura Forero im „Jardín Utópico“ Foto: Gabriel Alejandro Suárez Vacca

Nachbarschaftsgärten in KolumbienEin Stück konstruktives Chaos

In Bogotá kämpfen Nachbarschafts­gärten für Zusammenhalt. Sie wollen ökologisches Bewusstsein in der Stadt schärfen und Klassismus abbauen.

Von Marie Zinkann aus Bogotá

F rancisco Suárez steht auf einem Flecken Durcheinander und pfeift eine fröhliche Melodie. Zwischen sonst sehr ordentlichen Vorgärten, in denen der Rasen wie geleckt aussieht, liegt der Jardín Utópico, der utopische Garten im öffentlichen Park von La Esmeralda, einem kleinbürgerlichen Viertel in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Suárez, 62 Jahre alt, trägt einen knallgrünen Gärtner-Overall und eine große Plastiktüte über der Schulter. Sie ist gefüllt mit Schoten des Chachafruto-Baumes, dessen große Bohnen in den Anden Südamerikas wie Kartoffeln gegessen werden und ein wenig nach Esskastanien schmecken.

Mit den Pflanzen dieser Bäume hat Suárez hier vor gut 13 Jahren den utopischen Garten gegründet, der heute fast so groß wie der benachbarte Bolzplatz ist. Eigentlich wollte er sie in seinem eigenen Garten pflanzen, hier in La Esmeralda, wo er viele Jahre lang wohnte. Doch er entschied sich dagegen, denn für die großen Korallenbäume, die 25 Meter hoch wachsen können, reichen kleine Vorgärten hinter Mauern nicht aus. Also setzte er die Pflänzchen vor der Mauer, hier im öffentlichen Park.

Illustration von Ali Arab Purian
Die taz total utopisch

🐾 Von der Kneipe an der Ecke bis zum solidarischen Garten in Bogotá: Junge Au­to­r*in­nen haben sich auf die Suche nach utopischen Ideen begeben. Die dabei entstandenen Artikel haben sie in einer Sonderausgabe der taz veröffentlicht.

„Es ist für das Viertel hier in erster Linie ein Pilotprojekt der sozialen Integration, der Gemeinschaft“, erklärt Francisco Suárez. Eine formelle Organisationsform wie einen Verein gibt es nicht. Jeden Sonntag kommen aber Be­woh­ne­r*in­nen des Viertels, die meisten davon ältere Frauen, an dem Tisch zusammen, der jetzt unter dem Berg Chachafruto-Schoten begraben ist. Hier kann man bei einem Kaffee seine Probleme besprechen, Konflikte mit Nach­ba­r*in­nen lösen oder sich einfach nur über den Alltag austauschen.

Die zentrale Idee: miteinander reden, das Gemeinschaftsgefühl im Viertel stärken. „Wir kommen hierher, friedlich und ohne im Verteidigungsmodus zu sein. Wir sind eine Gesellschaft, die 50 Jahre brutalen Bürgerkrieg überlebt hat. Aber hier kommen wir her, um uns wieder als Gleichgesinnte, Verbündete, Brüder zu begegnen. Und nicht immer mit dem Gedanken, wir müssten uns gegenseitig an den Kragen“, erklärt Suárez.

Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien begann offiziell in den 1960er Jahren, Gewalt und auch Morde gab es aber schon zwei Jahrzehnte früher, zwischen Liberalen und Konservativen. Seit den 1960er Jahren kämpften bäuerliche und kommunistische Guerillagruppen gegen Landraub und Übergriffe der kolumbianischen Armee. Großgrundbesitzer antworteten mit dem Einsatz paramilitärischer Gruppen. 2016 hat die Regierung mit der größten Guerilla, der Farc, einen Friedensvertrag unterzeichnet. Guerillas, Paramilitärs, Drogenbanden und die Gewalt bestehen aber in einigen Regionen weiter. Immer noch werden jährlich hunderte Ak­ti­vis­t*in­nen ermordet.

Aus einer Müllhalde wird ein Garten

Die erste Helferin fand Suárez in Isaura Forero. Die ältere Dame hat das Gärtnern auf dem Bauernhof ihrer Mutter gelernt, in einer ländlichen Gemeinde unweit von Bogotá. Auch an diesem Tag ist sie zum utopischen Garten gekommen, wie jedes Wochenende. Als sie den Tisch mit Chachafruto-Bohnen sieht, schlägt sie die Hände zusammen. „Wer hat denn die alle mitgebracht? Wie schön die sind!“ Forero hilft ihrem alten Freund dabei, den großen, schweren Plastiksack auf einem selbstgezimmerten Tisch auszuleeren. „Wer will, kann die mit nach Hause nehmen“, sagt Suárez. Die 40 Zentimeter langen, grünen Schoten purzeln auf den Tisch. Manche der großen, braunen Bohnen haben sich schon herausgelöst.

Forero sah Francisco Suárez zum ersten Mal, als sie vor 13 Jahren vom Einkaufen nach Hause kam. „Damals war hier noch überall Müll. Aber dazwischen war dieser Mann, der sich um ein paar Pflanzen kümmerte.“ Sie kamen ins Gespräch. Suárez, der selbst Agrarwissenschaften studiert hat, fragte, ob sie gerne gärtnere. „Ich habe ihm gesagt, dass mir das nicht nur gefällt, es fasziniert mich!“ Isaura Forero, die hier alle nur Doña Isaura nennen, zieht ihre beige Steppjacke aus und einen mit Blumen verzierten Sonnenhut an. „Sonntags, früh um sieben, haben wir dann angefangen aufzuräumen. Es kamen immer mehr Nachbarn dazu und nach und nach entstand hier der Jardín Utópico.“

Zuerst wurden die Beete angelegt, sternförmig um die zwei Chachafruto-Bäume herum, dessen Kronen heute alle anderen Bäume des Parks überragen. In den Beeten wachsen Kräuter und Heilpflanzen, Himbeeren, Kaffee und Lulo-Pflanzen. Von oben hängen noch grüne Baumtomaten und Passionsfrüchte herab. Im Boden stecken selbstgemalte Schilder mit den Namen der Pflanzen, Anleitungen zum Ernten und kleinen Gedichten über den Garten und seine tierischen Bewohner. Dutzende Kaninchen, Meerschweinchen, Enten und Hühner leben in Ställen aus Hasendraht. Auf einem kleinen Baum hocken bunte Hähne und dösen in der Sonne. Die Polizisten aus dem Revier nebenan kümmern sich auch um die Tiere, erzählt Forero. An diesem Tag sitzt neben dem Kaninchenstall ein kleiner Junge und macht seine Hausaufgaben.

Unsere Autorin interviewt Francisco Suárez und Isaura Forero hinter einem Berg Chachafrutoschoten Foto: Gabriel Alejandro Suárez Vacca

Ein Nachbar kommt vorbei und Francisco drückt ihm ein paar Chachafruto-Schoten in die Hand. Alles für alle, bis alles alle ist. Solidarische Landwirtschaft im Kleinen. Den Sinn für Gemeinschaft teilen aber nicht alle Menschen, die im Park vorbeikommen. Schon oft sind Tiere verschwunden. Deshalb hängt am Kaninchenstall ein Schild: Bitte nehmt die Tiere nicht mit nach Hause. Sie sollen allen gehören. „Ich glaube, das Problem ist, dass hier viele Menschen Privateigentum für sehr wichtig halten“, meint Suárez. Man sieht auf den ersten Blick, dass der utopische Garten diesen Gedanken aufbrechen soll. Die offene Fläche steht im Kontrast zu den Gärten des Viertels, die mit hohen Mauern, Stacheldraht, Glasscherben und Elektrozäunen abgesichert sind.

Wissensaustausch und ökologische Bildung

Bis auf ein paar von der französischen Botschaft gespendete Bänke ist hier alles selbstgemacht, darauf sind Forero und Suárez sehr stolz. Die Pflanzen und Tiere bringen Menschen aus dem Viertel mit: Setzlinge, die nicht mehr in den eigenen Garten gepasst haben, Kaninchen, die sie nicht mehr als Haustiere halten wollten oder für den Garten gekauft haben. Auf einer der gespendeten Bänke sitzt ein junger Mann und malt rote Blüten in einen Zeichenblock. Neben ihm sitzt eine junge Frau mit einem kleinen Hund auf dem Schoß. Es ist ihr erstes Mal im Jardín Utópico. Angelockt haben sie die Hühner, die hier zwischen den Beeten frei herumlaufen. „Hühner, hier mitten in Bogotá? Das musste ich mir anschauen“, sagt sie und lacht.

Ihr Blick fällt auf die Chachafruto-Bohnen. „Kann man die essen?“, fragt sie, und sofort beginnen Forero, Suárez und zwei andere Frauen, begeistert durcheinanderzureden. Es ist ein konstruktives Chaos, eine Expertise ergänzt die andere: „Die wirfst du einfach mit in die Suppe, oder kochst sie wie Kartoffeln.“ „Wenn jemand mal ernsthaft versuchen wollte, den Hunger dieser Welt zu besiegen, dann sollte er es mit dieser Bohne tun, die hält auch Dürren aus.“

Kolumbien ist nach Brasilien das Land mit der artenreichsten Flora und Fauna, es gibt fünf verschiedene Klimazonen, aber in der Hauptstadt bekommt man davon nicht viel mit. Der Garten soll das ändern. Er ist auch ein Ort der ökologischen Bildung, hier tauschen Nach­ba­r*in­nen ihr Wissen aus, oft kommen Kinder und fragen nach den Pflanzen und Tieren. „In der Schule wird ihnen so was oft nicht beigebracht“, sagt Forero.

Anfangs waren sie im benachbarten Gemeindehaus nicht gerade begeistert, dass sie nicht um Erlaubnis für das Projekt gefragt wurden. Doch mittlerweile hat der Garten viel Aufmerksamkeit bekommen, auch das Fernsehen war schon ein paar Mal da. „Irgendwann kam dann auch die Stadtverwaltung vorbei, hat Fotos von uns gemacht, uns beglückwünscht und ihre Hilfe angeboten. Aber die wollten wir nicht“, sagt Isaura Forero und schnalzt verächtlich mit der Zunge. Sogar eine Drohne habe die Stadtverwaltung geschickt, um einen Imagefilm zu drehen. „Die haben mich gefragt, was ich hier in dem kleinen Wald treibe, warum ich mich hier aufhalte.“ Das ist einfach: „Dem Zwitschern der Vögel lauschen und die gute Luft atmen.“

Autos und Lkws zurückdrängen

Gute Luft ist nicht selbstverständlich in Kolumbiens Metropole mit knapp acht Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen und nur wenigen grünen Inseln in einem Meer aus Beton. Dieses Jahr gab die Stadt schon mehrmals öffentliche Warnungen wegen schlechter Luftqualität aus, als die Feinstaubbelastung über 150 Mikrogramm pro Kubikmeter stieg. Zum Vergleich: Der EU-Grenzwert liegt lediglich bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter. In Berlin wurde der laut Umweltbundesamt in diesem Jahr drei Mal überschritten.

Greenpeace spricht sogar von tausenden Toten durch die Luftverschmutzung in Bogotá. Vor drei Jahren hat die Stadtverwaltung erklärt, sich für eine bessere Luftqualität einzusetzen. Bisher gibt es allerdings lediglich neue Messtationen und eine sogenannte Auspuff-Patrouille, die besonders schlimme Umweltsünder auf den Straßen identifizieren soll.

Der Garten Abuela Bagüe wurde 2015 von Nach­ba­r*in­nen und Stu­den­t*in­nen gegründet Foto: Gabriel Alejandro Suárez Vacca

Mit zu vielen Autos und Lastwagen hat auch ein weiterer Gemeinschaftsgarten der Stadt zu kämpfen, zu dem Suárez die übriggebliebenen Chacha­fruto-Schoten bringt. Er schlängelt sich durch die Autos und Motorroller, die die zweispurigen Straßen verstopfen. Nach zehn Minuten erreicht er einen schmalen Grünstreifen. Eine Gruppe Mitte 20-Jähriger stochert hier mit Holzlatten in einer einen Quadratmeter großen Kiste herum.

Sie sind Teil des Gartenprojekts Abuela Bagüe. Der Name kommt von den indigenen Muiscas, die in diesem Teil des Landes wohnten, erklärt Elizabeth Díaz Muñoz, die auch eine Holzlatte in der Hand hält. In den Kisten werden Laub, Garten- und Küchenabfälle zusammengepresst, damit Hitze entsteht. Die Bestandteile fermentieren und werden zu nährstoffreicher Komposterde. „Der Prozess produziert keine Flüssigkeit, keinen Gestank, zieht keine Tiere an“, der Vorteil gegenüber dem herkömmlichen Komposthaufen, meint sie.

Die Kompostwürfel bleiben am Rand des Grünstreifens stehen. Darin pflanzen Hel­fe­r*in­nen Kräuter, Tomaten und Lupinen an. „Das Ziel dieses Projekts ist es, die Grünfläche zurückzuerobern. Dieser sieben Meter breite Grünstreifen war vorher eine Wüste, hier ist nichts gewachsen, genau wie da drüben.“ Sie zeigt auf die Schotterpiste ein paar Meter weiter. Hier haben früher die Menschen des Viertels ihren Bauschutt abgeladen, und so wurde aus dem Platz nach und nach ein Parkplatz für Taxis und Lkws. Damit soll jetzt Schluss sein. Quadratmeter für Quadratmeter drängen Elizabeth Díaz Muñoz und die anderen Nach­ba­r*in­nen mithilfe der Kompostblöcke die Autos weg, schaffen Platz für die Natur und die Menschen.

Zurück zu den indigenen Wurzeln

Der Garten Abuela Bagüe wurde 2015 von Nach­ba­r*in­nen und Stu­den­t*in­nen der Universidad Nacional de Colombia gegründet. Sie wollen sich auf indigenes Wissen zurückbesinnen und so mit Pflanzen Erde und Menschen heilen, sagt Díaz Muñoz. Ein kleines Mädchen mit runder Brille und dicken Locken steigt in die Kiste und tritt mit ihren Gummistiefeln kräftig auf dem Kompost herum. Sie komme regelmäßig hierher, erzählt sie schüchtern: „Ich mag es, mit der Natur in Verbindung zu sein. Ich mag die Tiere und Pflanzen.“

Sich wieder mit der Erde verbinden, das ist auch Francisco Suárez und Isaura Forero wichtig. „Wir sind Millionen Binnenflüchtlinge“, sagt Suárez. Eine Metapher für all die Menschen vom Land, die in den letzten Jahrzehnten nach Bogotá gekommen sind, um dem bewaffneten Konflikt in den ländlichen Regionen zu entfliehen oder sich eine bessere Zukunft aufzubauen. „Hier in der Stadt herrscht eine Angst vor den Bauern, eine Angst davor, wieder Diener zu sein, wegen unserer Kolonialgeschichte. Deswegen haben viele Menschen wenig Wertschätzung für die Bauern“, eine Art Klassismus, der sehr weit verbreitet sei, erzählt er und rückt seinen Strohhut zurecht.

Sein Traum: den Jardín Utópico zu einem Epizentrum urbaner Landwirtschaft zu machen. Und langfristig ein Netzwerk mit Bauern aus anderen Regionen aufzubauen. Isaura Foreros Traum für die Zukunft des Gartens ist etwas bescheidener. Sie wünscht sich eine Zeltplane, die die Besucher des Gartens vor Regen schützt. Und was wird jetzt aus den übrigen Chachafruto-Bohnen? Sie zeigt auf eine Kiste mit kleinen schwarzen Blumentöpfen, in denen sie ein paar Bohnen eingepflanzt hat. Manche haben schon ausgetrieben.

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