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Nachbarn der Rigaer94 in BerlinSchluss mit dem Ausnahmezustand

Anrainer des teilgeräumten Hausprojekts haben die Polizeipräsenz in ihrem Kiez satt. Sie fordern einen Runden Tisch mit allen Beteiligten.

Haben die Nase voll: BewohnerInnen aus Häusern in Nachbarschaft zur Rigaer94 Foto: dpa

Berlin taz | „Sieht aus wie bei einer Wohnungsbesichtigung“, scherzte eine Frau aus der Menge von etwa 150 Personen vor der Rigaer Straße 95, dem Nachbarhaus des vor drei Wochen teilgeräumten linken Hausprojekts Rigaer94. Für die Polizei, die mit fünf Mannschaftswagen vor Ort war, sah der Menschenauflauf am Dienstagmittag dagegen nach einer Kundgebung aus – einer unangekündigten. Also verhinderte sie zunächst die geplante Pressekonferenz einer AnwohnerInnen-Initiative und drohte mit strafrechtlichen Konsequenzen für alle Anwesenden.

Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) nutzte die Wartezeit, um ihre Sicht der Dinge zu erläutern: Ein Staat müsse „deeskalieren statt eskalieren“. Innensenator Frank Henkel betreibe mit seinem Vorgehen in der Rigaer Wahlkampf, der auf die AfD ziele, „ihm aber vor die Füße fallen wird“. Und der Regierende Bürgermeister Michael Müller sei „schwach“ und „unsouverän“, weil er am Vortag auf Henkels Linie der Nicht-Verhandlung einschwenkte.

Nach diversen Telefonaten der Abgeordneten Hakan Taş (Linke) und Canan Bayram (Grüne) mit den höheren Etagen der Polizei durfte die Pressekonferenz schließlich doch starten. Vor einem Laken mit der Aufschrift „Wir wollen unsere Straße zurück“, nahmen drei AnwohnerInnen auf Brausekisten Platz und verlasen ihre Erklärung. Ihre zentrale Forderung: Es braucht einen Runden Tisch mit allen Beteiligten, der Innenbehörde wie den BewohnerInnen des Hausprojekts, ohne Vorbedingungen, moderiert von einem neutralen Schlichter.

Die NachbarInnen der als „Zentrum linker Gewaltbereitschaft“ stilisierten Rigaer94 machten deutlich, dass sie sich von deren BewohnerInnen nicht bedroht, dafür aber durch die andauernde Polizeipräsenz „unwohl und verunsichert“ fühlen. Dieser „Ausnahmezustand“ führe zu einer Vergiftung der Atmosphäre und lade das „Alltagsleben der gesamten Nachbarschaft“ aggressiv auf. Weiterhin heißt es: „Das Ausmaß der umfangreichen Kontrollen, Absperrungen und Sicherheitsmaßnahmen ist für uns nicht mehr nachvollziehbar.“ Die Polizei hat derweil die Absperrungen vor dem Haus reduziert und angekündigt, ab dieser Woche mit Kommunikationsteams das Gespräch mit den Anwohnern zu suchen.

Partei ergriff die etwa 12-köpfige NachbarInnen-Initiative, die sich vergangene Woche spontan zusammengefunden hatte, für die BewohnerInnen der Rigaer94, denen inzwischen seit Tagen der Strom abgestellt ist. Für diese würden „mehrere ihrer grundgesetzlich verbürgten Grundrechte wie Bewegungsfreiheit, Privatsphäre und Mieterschutz täglich außer Kraft gesetzt.“ All dies geschehe für einen Hauseigentümer, der einen „dubiosen Hintergrund“ habe und weder für die BewohnerInnen der Rigaer94 noch deren AnwältInnen erreichbar sei.

Andreas Döhler, einer der Sprecher der Initiative, sagte der taz: „Ohne Projekte wie die Rigaer94 wäre der Kiez tot“. Diese übernehmen die wichtige Funktion, sich „Gedanken über Verdrängung“ in der Nachbarschaft zu machen. Döhler selbst wohnt seit Anfang der 90er Jahre in einem Haus in der benachbarten Liebigstraße, das einst ebenfalls besetzt war, inzwischen aber genossenschaftlich organisiert ist.

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17 Kommentare

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  • Deeskalation¿ - Recht&Gesetz beachten -

    Dann haben die Dam&Herrschaften

    Schon alle Hände voll zu tun!

    So schwer fällt allein das!

     

    "… Für die Polizei, die mit fünf Mannschaftswagen vor Ort war, sah der Menschenauflauf am Dienstagmittag dagegen nach einer Kundgebung aus – einer unangekündigten. Also verhinderte sie zunächst die geplante Pressekonferenz einer AnwohnerInnen-Initiative und drohte mit strafrechtlichen Konsequenzen für alle Anwesenden.…"

     

    Spontandemonstrationen sind in dieser Republik des Grundgesetzes anmeldungsfrei! Eine "geplante Pressekonferenz" verschlägt demgegenüber nicht! Nein!

    Innensenator & Bullerei ist wohl nach Abgang via Leipzig die knochentrockene Rechtsprechung dazu des Bundesverwaltungsgerichts nicht (mehr¿) gegenwärtig?!

    So z.B. - Zur Klagemauer in Köln auf dem Domplatz mußte die Stadt Köln sich diese Rechtsprechung in letzter Instanz um die Ohren kloppen lassen!

    Walter Herrmann darf danach nämlich - seine geplante;)) Klagemauer zwar nicht jeden Tag aber immer öfter ganz spontan aufstellen.

    (Der Herr nunmehr exKardinal Meißner war not amused & die Stadt etc fanden leider fiese Wege zu kriminalisieren!;((

    So geht das!

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Ha, jaja, wohin die Deeskalationsstrategien einer Monika Herrmann führen, das haben wir noch sehr gut vom O-Platz in Erinnerung. Aber schön, dass sie gleich mal mit gutem Beispiel vorangeht, moderierende Töne anschlägt und verbal auf Müller und Henkel eindrischt. So macht man das! sehr gut, Frau Herrmann!

  • Die Rigaer Straße hat ja doch einige Hausnummern, da finde ich eine 12-köpfige Initiative nicht sonderlich repräsentativ. Jenachdem, werden irgendwie entweder die unterschlagen, die die Polizei weghaben wollen, oder die, die sie gerne da haben wollen.

    • @sart:

      Man hört ja auch richtig viel von x-köpfigen Initiativen aus dem Kiez, die sich explizit FÜR Eskalation und die erhöhte Präsenz von Polizei in ihrem Viertel aussprechen ... ach, nicht? Wie überraschend.

  • Absolut zu kommunizieren und wichtig im öffentlichen Verlauf betrachte ich die Mietvertragsbedingungen bzw. der Stand der Dinge für die Rigaer 94. Wenn wie hier berichtet, der Strom abgestellt ist, ist dies aus meiner Sicht nichts als dreiste Schikane. Also, wer kann sagen in welcher Mietvertragssituation sich die Leute dort befinden? Und ebenfalls wichtig, wer ist Hauseigentümer? Und warum scheinen dort in Berlin Kanonen auf Spatzen gerichtet zu sein? Fragen über Fragen und kaum Antworten.

    • @jörg krauss:

      Wer Zahlt den Strom? Derjenige kann ja jetzt zimlich sicher auf Schadensersatz klagen...

       

      Wäre ich betroffen, ich hätte ganz sicher da jetzt ein Aquarium stehen in dem zich sehr lieb gewonnene Fische leben, deren emanzionalen verlusst ich nie Verkraften würde. Leider schwimmen die nur noch oben, weil der Strom für die Pumpen zu lange aus war....

       

      Verlusstwert (für die Klage an die Stadt wichtig) so hoch wie es nur geht. Waren alles seltenste Koi Kapfen usw...

       

      Kann derjenige der den Strom bezahlt, ja so einreichen. Bei der Brisanz die dieses Thema offenbar hat, wird das auch seinen Weg in die Zeitung finden...

       

      In die Taz auf jedenfall. Es wurden nämlich Deutschlandweit zich Tausende Leute aus ihren Wohnungen geschmissen um Platz für Flüchtlinge zu machen, aber hier hat es offenbar Bekannte von der Taz getroffen -also lesen wir Deutschlandweit von diesem ja auch so unglaublichen "Skandal"

      • @redhad:

        Wo hat man zig Tausende Leute aus ihren Wohnungen geschmissen, um Platz für Flüchtlinge zu machen?

        • 8G
          86548 (Profil gelöscht)
          @Karl Kraus:

          1945/46 bei meiner Oma. Da musste jede Familie im Dorf eine Familie aus Ostpreussen aufnehmen. Aber rausgeschmissen wurde keiner, nur enger zusammenrücken mussten die Leute.

          • @86548 (Profil gelöscht):

            Ja - so wars im Hohen Norden too;) &

            Mein Bruderherz*39 - zum Plattdeutschlernen aus Halle/Saale - (Kinder hatten Reisefreiheit!;) -

            Auf die Höfe seiner Vorfahren im Lauenburgischen geschickt -

            Kam - wohlgenährt - & mit einem astreinen Astpreißisch wieder &

            Der Erkenntnis - "die leben da -

            Wie im Krieg!"

      • @redhad:

        vielleicht ist das das Problem. Dass man leider bei all den Diskussionen vergessen hat, wer eigentlich den Strom zahlen sollte.

  • Der Hauseigentümer (keine Ahnung wer das ist) hat doch offenbar verlauten lassen, das dort Flüchtlinge einziehen sollen. Sollte das irgendwo Vertraglich auch so vereinbart sein, also so das der Eigentümer das auch wirklich machen muss, habe ich leider kein Verständniss dafür...

     

    Hier in Osna mussten auch Leute aus ihren Wohnungen raus für Flüchtlinge. Und auch ein ganzes Haus war davon betroffen. Hauptsächlich Hartz 4 Empfänger die keinen groß auf den Sack gehen, und daher auch keine Demo machen...

     

    Aber einmal das falsche Haus für sowas nehmen...

     

    Ist das noch Links, wenn man meint das nur die anderen Platz machen müssen und man selbst nicht?

     

    -Ich könnt mir aber auch gut vorstellen das ich dort gerade eine zu eingeschränkte Sichtweise habe. Ich habe nur ein paar Artikel gelesen, und bin nun mal kein Berliner. Sollte es dort Punkte geben die ich nicht kenne oder falsch sehe, berichtigt mich gerne...

    • @redhad:

      Es ist schon ein Unterschied, ob - wie in Osnabrück - kommunaler Wohnraum unter Wahrung der Kündigungsfristen und des Mieterschutzes (niemand, der keine neue, bezahlbare Wohung findet, muss raus) neu verteilt wird, oder, ob - wie in Berlin - ein privater Investor luxussaniert und die Behörden mit der kühnen Behauptung ruhig hält, die luxussanierten Wohnungen würden anschliessend zum Teil Flüchtlingen zur Verfügung gestellt, wenn andererseits die bisherigen (in ungesicherten, weil nicht fortgeschriebenen Mietverhältnissen lebenden) Mieter dort bereits in Eigeninitiative Flüchtlinge aufgenommen hatten.

       

      In Osnabrück bemüht sich die Stadt ihren sozialen Verpflichtungen gegenüber dem Land Niedersachsen und dem Bund nachzukommen. In Berlin bemüht sich ein Privatinvestor, möglichst viel Gewinn aus einer Immobilie herauszuholen. Unterstützt wird er dabei vom Innensenator (der mit dem Thema ein bisschen Wahlkampf macht) und der ihm unterstellten Polizei.

    • @redhad:

      Wenn es ( sehr selten ) Anforderungen gegeben hat, Wohnungen für Flüchtlinge zu räumen, kam dies von den Kommunen. In der Regel weil Wohnungen in Häusern vergeben wurden, die vorab als Flüchtlingsunterkünfte vorgesehen waren und wegen Leerstandes temporär anderweitig genutzt wurden. Diese Praxis wird aber überprüft, weil es fraglich ist, ob Kommunen überhaupt wegen "Eigenbedarfes" kündigen dürfen. Private Vermieter dürfen aber keinesfalls Mietverhältnisse lösen um Flüchtlinge unterzubringen. A- ist dies kein "Eigenbedarf", B- haben einige Privatunternehmen die Notlage ausgenutzt um unverschämt daran zu verdienen. ( Zimmer mehrfach belegt und pro Tag der Kommune als Quasi-Hotels in Rechnung gestellt ). In besetzten Objekten ist es aber schon lange Strategie, diese anzugehen unter dem Vorwand man wolle Kitas, Flüchtlingswohnungen oder betreutes Wohnen etc. dort unterbringen. Wer will schon dagegen argumentieren, egal wie blödsinnig das Vorhaben ist. Wohnprojekte nehmen vielfach selber Flüchtlinge auf. Bei uns in HH sind allein durch die Lampedusa Krise > 300 Refugees in Projekten autonom untergekommen. Da braucht es keine hinterlistigen Tricks von Investoren oder Beamten.

    • @redhad:

      Das Argument mit den Flüchtlingen ist vorgeschoben. Es werden keine Flüchtlinge einziehen. Die Mieten in der Ecke sind viel zu hoch als dass sie übernommen würden.

      • @Nase Weis:

        Fakt ist, das der Eigentümer immer noch das Sagen hat. Wenn er meint seinen Wohnraum anderweitig nutzen zu wollen, dann ist das halt so.

         

        Man sollte sich die Frage stellen, wer hier nach dem Gesetz im Recht ist.

        • @Gurkenbrille:

          Kann ich die Adresse Ihres Vermieters haben? Ich hätte da ein paar Vorschläge zur Umnutzung Ihres Wohnraums. Keine Sorge, Sie finden bestimmt ganz schnell was Anderes.

        • 8G
          889 (Profil gelöscht)
          @Gurkenbrille:

          Diese Frage hat das Gericht gerade beantwortet.