Nach neuen Missbrauchvorwürfen: Odenwaldschule droht Schließung
Hessens will die Betriebsgenehmigung des privaten Reform-Internats unter die Lupe nehmen. Der Staatsanwalt prüft einen Verdacht gegen einen Arzt der Schule.
HEPPENHEIM dpa | Nach mehreren neuen Missbrauchsvorwürfen droht der Odenwaldschule die Schließung. Hessens Sozialministerium in Wiesbaden kündigte am Montag an, die Betriebsgenehmigung für das private Reform-Internat bei Heppenheim unter die Lupe zu nehmen. „Wir prüfen weitere Schritte, da die Schule bisher nicht vertrauenswürdig und transparent agiert hat“ – und dies trotz schwerer Missbrauchsfälle in der Vergangenheit, hieß es in einer Mitteilung. Die Vorkommnisse machten es erforderlich zu prüfen, ob das Internat „die gesetzlichen Bedingungen für den Bestand der Betriebserlaubnis erfüllt“.
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt schaltete sich am Montag wegen Vorwürfen ein, ein Kinderarzt könnte sich Schülern der Odenwaldschule bei Untersuchungen unangemessen genähert haben. „Wir prüfen, ob es ausreichend Anhaltspunkte dafür gibt, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen“, sagte der stellvertretende Sprecher Noah Krüger. Der Landkreis Bergstraße stellte dem Internat zum zweiten Mal binnen weniger Wochen ein Ultimatum. Die Aufsichtsbehörde will bis zu diesem Freitag um 12.00 Uhr Details zum Fall des Kinderarztes wissen.
Die Staatsanwaltschaft führt bereits ein Ermittlungsverfahren gegen einen inzwischen entlassenen Lehrer. Er hat gestanden, Kinderpornografie aus dem Internet heruntergeladen zu haben. Das Internat hatte die Vorwürfe wegen des Kinderarztes am Samstag als falsch zurückgewiesen. Vor diesem Hintergrund begrüßte eine Sprecherin die Prüfung der Staatsanwaltschaft. „Dies ist entlastend.“
Den Verdacht hatte der Landkreis geäußert. Demnach hat der Arzt Schüler bei Untersuchungen womöglich unangemessen und übertrieben abgetastet. Die Vorwürfe sollen schon zwei Jahre alt sein.
Ungenügende Antwort
An der verspäteten Weitergabe der Informationen setzte das Sozialministerium an. Die Odenwaldschule habe zum wiederholten Mal gegen Meldepflichten verstoßen. Schon im April hatte der Landkreis Bergstraße Aufklärung zu den Kinderporno-Ermittlungen gegen den Lehrer verlangt. Die Antwort der Schule wurde als ungenügend betrachtet. Ergebnis eines Krisengesprächs waren härtere Auflagen. Ermittlungen gegen den Lehrer wegen des Verdachts der sexuellen Übergriffe auf Schüler sind allerdings eingestellt worden. Für diese Vorwürfe gab es laut Staatsanwaltschaft keine Anhaltspunkte.
An der Odenwaldschule missbrauchten vor Jahrzehnten Lehrer mindestens 132 Schüler sexuell. Die Übergriffe kamen erst viele Jahre später umfassend an die Öffentlichkeit. Einige Kritiker fordern, die Schule zu schließen. Ihre Struktur ziehe Pädophile an. In dem Internat leben Schüler und Lehrer in einer Art Familienverband.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung