Nach der Wahl in Großbritannien: Tauziehen um die Macht

Die Tories sind bei der britischen Parlamentswahl stärkste Partei, haben aber keine absolute Mehrheit. Jetzt wird um die Macht gefeilscht. Und die Grünen sind erstmals im Unterhaus vertreten.

Der Nachrichtensender BBC projizierte die Wahlergebnisse an das Londoner Wahrzeichen Big Ben. Bild: ap

LONDON dpa | Eine starke konservative Partei, aber keine neue Regierung: Großbritannien steht vor einer völlig neuen politischen Konstellation und hat erstmals seit 36 Jahren keinen klaren Wahlsieger. Stattdessen zeichnete sich ein Tauziehen um die Macht ab. Die konservativen Tories von David Cameron konnten zwar die Mehrheit der Sitze gewinnen. Jedoch reichte es nicht zur absoluten Mehrheit. Die Labour-Partei von Premier Gordon Brown klammerte sich derweil an die Macht, die sie seit 13 Jahren hält.

Die größte Enttäuschung mussten die Liberaldemokraten und ihr Chef Nick Clegg verkraften, die trotz des Höhenflugs im Wahlkampf abgeschlagen an dritter Stelle landeten. Dennoch könnten sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte über die politische Landschaft Großbritanniens entscheiden, da Labour die kleinere Partei wahrscheinlich zum Regieren braucht. Clegg deutete am Freitag in London eine Präferenz seiner Partei zur Zusammenarbeit mit den Konservativen an. Er sagte, die Partei mit den meisten Stimmen und den meisten Sitzen habe das Recht, eine Regierung zu bilden. "Und bei dieser Haltung bleibe ich", sagte er. Das eigene Abschneiden bezeichnete er als enttäuschend.

Erstmals seit 1974 könnte es im Königreich nun eine Koalition oder eine Minderheitsregierung geben. Ob dann Tory-Chef Cameron neuer Premier ist oder Brown in der Downing Street bleibt, war unklar. Entscheidend sind in jedem Falle die Liberaldemokraten, die Labour zu einer Mehrheit verhelfen müsste. Eine schnelle Lösung zeichnete sich jedoch nicht ab. Die "Lib Dems" wollen parteiintern erst am Samstag darüber beraten, wie sie weiter vorgehen.

Zum Zünglein an der Waage könnten diesmal auch die kleinen Regionalparteien aus Schottland, Wales oder Nordirland werden. Verstärktes Augenmerk richtete sich auch auf die Rolle der Königin. Sie empfängt normalerweise am Tag nach der Wahl den neuen Premierminister. In der diesmal undurchsichtigen Lage hielt sich Elizabeth II. zunächst zurück.

Brown erklärte am Freitagvormittag erneut, es sei seine "Pflicht" als Premierminister, "alle Maßnahmen zu ergreifen, dass Großbritannien eine starke, stabile und prinzipientreue Regierung hat." Cameron betonte derweil, dass die Wähler Labour "klar das Mandat zum Regieren entzogen" hätten. In Großbritannien hat der amtierende Premierminister das Recht - ja sogar die Pflicht - so lange im Amt zu bleiben, bis feststeht, welche Partei oder Koalition die meiste Unterstützung im Parlament hat. Er darf dabei auch als erster eine Regierungsbildung angehen. Labours Strippenzieher, Wirtschaftsminister Peter Mandelson, sagte: "Die Regel bei einem Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse ist, dass nicht die Partei mit der größten Zahl der Sitze als erstes zum Zug kommt, sondern die amtierende Regierung." Unklar war jedoch auch noch, ob Labour überhaupt zusammen mit den Liberaldemokraten auf eine klare Mehrheit kommt.

Brown ist seit drei Jahren Premier. Er hatte das Amt 2007 von Tony Blair übernommen, der zehn Jahre regiert hatte. Noch in der Nacht wurde spekuliert, wer Brown als Parteichef nachfolgen könnte, falls er gehen müsste. Brown hatte sich am Freitagvormittag mit dem engsten Führungszirkel von Labour zu Beratungen zurückgezogen. Nach 616 von 650 ausgezählten Wahlkreisen lagen die Konservativen mit 291 Sitzen vorne, Labour erreichte 247 und die Liberaldemokraten 51. Für die absolute Mehrheit sind 326 Sitze im Parlament nötig. Prozentual sind das 36,1 Prozent für die Tories, Labour 29,2 Prozent und 22,9 Prozent für die Liberalen.

Erstmals überhaupt zieht mit der Europaparlamentarierin Caroline Lucas eine Abgeordnete der Grünen ins britische Unterhaus ein. Die Wahlbeteiligung wurde bei etwa 65 Prozent erwartet - bei der letzten Wahl 2005 waren 61,4 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne gegangen.

Derweil bahnte sich in einigen Stimmbezirken ein juristisches Nachspiel an. Hunderte Wähler, die sich rechtzeitig in den Schlangen vor den Wahllokalen angestellt hatten, waren nicht mehr zum Zuge weggekommen und wurden weggeschickt. In anderen Wahllokalen gingen wegen des Andrangs die Stimmzettel aus.

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