Wahlsieger Tories: Camerons schönster Albtraum

Auch wenn sie ihre Macht teilen müssen: Die Konservativen sind die Sieger. Cameron wird als Premierminister Thatcher ähnlicher, als er vorhatte – allerdings mit anderen Mehrheiten.

Sieger ohne Macht: Die Konservativen haben die Wahl gewonnen, doch zum Regieren benötigt David Cameron einen Koalitionspartner. Bild: reuters

LONDON taz | David Cameron hat die Wahlen gewonnen, aber nicht die Macht. Mit 306 von 650 Sitzen werden seine Konservativen zwar mit Abstand die stärkste Fraktion im britischen Unterhaus, aber die absolute Mehrheit von 326 Mandaten haben sie verfehlt. Statt sich wie üblich bei der Queen am Tag nach der Wahl den Auftrag zur Regierungsbildung abzuholen und als Premierminister nach 10 Downing Street zu fahren, trat der konservative Parteichef daher am Nachmittag in seiner Parteizentrale vor die Presse und gab eine Regierungserklärung in Konditionalform ab.

"Großbritannien braucht eine starke, stabile und entschiedene Mehrheit, und es liegt im nationalen Interesse, dass wir das auf einer sicheren Basis bekommen", sagte Cameron. Die Briten hätten für "eine neue Politik, nicht für Parteiengeschacher" gestimmt. Daher mache er den Liberaldemokraten ein "großes, offenes und umfassendes Angebot" für eine Zusammenarbeit, die über eine tolerierte Minderheitsregierung hinausgehen könnte.

Die Wahlnacht von Donnerstag auf Freitag war eine kuriose Zitterpartie. Camerons Partei legte um fast 100 Sitze zu, ihr stärkster Zuwachs seit 1931, sie hat in ihren Hochburgen im ländlichen England die auftrumpfenden Clegg-Liberaldemokraten in die Schranken gewiesen. Aber immer wieder verfehlten die Konservativen dann doch noch knapp den Sieg in einzelnen Orten, auf die sie sich konzentriert hatten.

Das Wahlvolk hatte sich emanzipiert und ließ sich nicht mehr einfangen. Auch nicht von David Cameron.

Es ist ein kurioses Ergebnis für einen Parteichef, der bis vor wenigen Monaten uneinholbar vorn in den Umfragen lag. Eigentlich war Cameron 2005 als Erneuerer angetreten. Er verpasste der Partei einen grünen Baum als Parteisymbol, sprach von Umweltschutz und Fortschrittlichkeit. Er organisierte den Parteiapparat neu und zog aus dem alten verwinkelten Hauptquartier in Smiths Square in den Gassen hinter Westminster Abbey in die einstige New-Labour-Schaltzentrale in Millbank an der Themse.

Die alten Aktivisten an der Basis fühlten sich missachtet, aber gigantische Siege bei Kommunalwahlen sowie Höhenfluge in den Umfragen gaben Cameron recht. Erst als der Wahlkampf begann, zeigte sich die Kehrseite der Modernisierung. Die Alten wussten mit dem neuen Inhalt wenig anzufangen, die Botschaften aus der Zentrale blieben schwammig. Das unscharfe Wahlergebnis spiegelt diesen Zustand nun wieder.

Eigentlich hat David Cameron ein hohes Regierungstempo vor. Er will einen Nationalen Sicherheitsrat gründen, unter anderem für den Afghanistan-Krieg, und ein "Amt für Haushaltsverantwortung" . Innerhalb von 50 Tagen planen die Konservativen einen Nothaushalt zur Kürzung des außer Kontrolle geratenen Defizits.

Kern der ersten Cameron-Thronrede soll eine Great Repeal Bill sein, ein "großes Abschaffungsgesetz" zur Entschlackung der Bürokratie und Abschaffung diverser unbeliebter Labour-Maßnahmen der letzten Jahre. Und die Parlamentsferien sollten verkürzt werden, damit die Abgeordneten nach der Sommerpause nicht wie bisher erst im Oktober wieder arbeiten, sondern schon Anfang September.

Zentral auf der konservativen Agenda ist ein Schulgesetz, das nach dem Vorbild Schwedens nichtstaatlichen Initiativen die Gründung und Leitung öffentlicher Schulen erlaubt. Was die Wirtschaftspolitik angeht, will eine Cameron-Regierung kurzfristig sechs Mrd. Pfund (sieben Mrd. Euro) aus dem laufenden Haushalt nehmen, zum Beispiel durch einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst, und dafür die von Labour beschlossene Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge um dieselbe Summe rückgängig zu machen. Mittelfristig ist auch ein Einfrieren von Sozialausgaben und eine Gesamtkürzung von 15 bis 20 Prozent der Staatsausgaben denkbar. Das bedeutet massive Einschnitte.

Der Beamtenapparat arbeitete schon vor der Wahl an parteiübergreifend gültigen Plänen für Einsparungen von 30 Mrd Pfund (35 Mrd. Euro) im Jahr - angesichts eines Haushaltsdefizits von 163 Mrd. Pfund im laufenden Jahr oder 12 Prozents des Nationaleinkommens, mehr als in Griechenland. Die Zeiten stehen auf Sparen, und das sind traditionell konservative Zeiten.

Damit wird Cameron als Premierminister Margaret Thatcher ähnlicher als er eigentlich vorhatte. Aber er verfügt nicht über die Mehrheiten, die Thatcher das Durchregieren ermöglichten. Er muss jetzt den Spagat meistern, sowohl auf seine eigene Basis zuzugehen, die traditionalistischer eingestellt ist als er selbst, als auch auf die Liberaldemokraten, die in den meisten konservativen Wahlkreisen der Hauptgegner seiner Partei waren. Da müssen ganz viele Leute ganz viele Kröten schlucken.

Gestern machte er schon mal klar, was für ihn nicht verhandelbar ist: die EU soll keine weiteren Kompetenzen bekommen, schärfere Einwanderungskontrollen und eine "starke" Landesverteidigung stehen nicht zur Disposition. Aber Bildungspolitik, Klimaschutz, eine Steuerreform zugunsten von Geringverdienern, eine Stärkung der Bürgerrechte hat Cameron als "Felder der Gemeinsamkeiten" mit den Liberaldemokraten genannt. Er bietet ihnen auch eine Allparteienkommission zur Reform des Wahlsystems an. Das ist schwächer als Labours Angebot einer Volksabstimmung, bietet aber mehr Mitsprachemöglichkeiten für die dritte Partei.

Aber eines kann Cameron nicht ändern: Wahlverlierer Gordon Brown sitzt weiter als Premierminister in 10 Downing Street. Bis zum 18. Mai, wenn das neue Parlament eröffnet wird, will Cameron das ändern. Aber dafür muss er sich den Segen bei Nick Clegg abholen statt bei der Queen. Das hätte sich Cameron in seinen kühnsten Alpträumen wohl nicht vorgestellt.

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