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Nach der PandemieEndlich wieder krank zur Arbeit

Die Pandemie wird zur Endemie, sagt Christian Drosten. Längst schleicht sich das alte „Normal“ in den Alltag ein. Nur: Wollen wir das überhaupt?

Gesundheit! Foto: Stefan Boness/Ipon

Diese eine zaghafte Hoffnung hatte es von Anfang an gegeben, in der Pandemie, neben all der Angst und Ungewissheit. Diese Hoffnung, dass die Krise langfristig auch Gutes haben könnte. Vielleicht würden wir weniger konsumieren? Uns insgesamt verkleinern, besinnen auf das Wesentliche? Weniger fliegen? Und vielleicht nie, nie, nie wieder krank oder kränklich ins Büro gehen? Schließlich hielten im Frühjahr 2020 plötzlich Menschen Konferenzen vom Küchentisch aus ab. Manche gaben Fernsehinterviews auf der Couch.

Während all das An­ti­ka­pi­ta­lis­t:in­nen und Um­welt­schüt­ze­r:in­nen hoffnungsvoll stimmte, wollten Konservative und Wirtschaftsliberale am liebsten so schnell wie möglich zurück zum „Normal“ der präpandemischen Zeit. Es sind wohl auch diejenigen, die Corona stets ausschließlich als Störung der Abläufe begriffen haben, die jetzt jede Erinnerung an die Pandemie schnellstmöglich tilgen möchten – Masken weg, lieber heute als morgen. Ungeachtet dessen, dass Masken unglaublich nützlich sind und kaum Nachteile haben. FFP2-Masken schützen nicht nur vor Corona, sondern auch vor anderen Atemwegs­erkrankungen. In Zeiten, in denen Kliniken mal wieder am Limit sind und das RS-Virus vor allem Kinder gefährdet, sind sie ein einfaches Mittel. Aber der Diskurs in Deutschland verkämpft sich an ihnen als politisches Symbol.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai rief die Bundesländer vergangenen Mittwoch auf, die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen sofort abzuschaffen: „Es gibt keine Grundlage mehr für Grundrechtseinschränkungen. Auch die Bundesländer müssen handeln und auf die veränderte Lage reagieren.“ Auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) forderte: Weg mit den Schutzmaßnahmen. Hintergrund ist, dass der Chefvirologe der Charité, Christian Drosten, im Tagesspiegel gesagt hatte: Deutschland befinde sich in der ersten endemischen Coronawelle – die Pandemie sei vorbei.

Was meint Drosten damit? Der Übergang von der Pandemie zur Endemie bedeutet erst einmal lediglich, dass die meisten in Deutschland lebenden Menschen eine Grundimmunität haben. Sie werden sich wohl regelmäßig anstecken, aber mit meist vergleichsweise „milden“ Verläufen. Das heißt jedoch nicht, dass Corona oder Long Covid plötzlich auf die leichte Schulter zu nehmen sind. Noch immer sterben viele Menschen daran, selbst milde Verläufe können Gehirn, Lunge, Herz und Nieren schädigen.

Das Wort „vorbei“ ist trügerisch

Nun diskutierten die Koalitionspartner darüber, wie mit dieser Information umzugehen ist. Grüne und SPD sprechen sich für ein Beibehalten der Maßnahmen bis April aus – wie vorgesehen. Die FPD scheint nur das Wort „vorbei“ gehört zu haben.

Das Wort ist trügerisch. Man kann die Lage mit Malaria vergleichen. Malaria ist endemisch, kann aber bekanntermaßen auch tödlich sein. Mike Ryan von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) formulierte es im März so: „Wenn eine Krankheit endemisch wird, kann sie immer noch Leid und Tod verursachen.“ Das macht natürlich Angst. Vor allem, wenn die Gesellschaft mit einem solchen Risiko zu leben lernen muss.

Deutschland befindet sich an einem Punkt maximaler Unentschiedenheit, was die Haltung zu Corona angeht. Laut einer repräsentativen Umfrage von YouGov sagen 64 Prozent, die Pandemie sei für sie noch nicht vorbei. Derweil wollen nur 52 Prozent die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln noch behalten, 41 wollen sie loswerden. Eindeutige Mehrheiten sehen anders aus.

Derweil schleicht sich das präpandemische „Normal“ von selbst wieder ein. Fast jede zehnte Person geht trotz Corona-Infektion zur Arbeit, ergibt eine Befragung der Krankenkasse pronovaBKK vom September. Dafür kann es viele Gründe geben: weil man Kol­le­g:in­nen nicht „im Stich“ lassen will, weil ein Projekt dringend fertig werden muss, weil es „nur“ ein Schnupfen ist, weil man Angst hat, den Job zu verlieren. Es ist schon fast wieder wie die „alte“ Welt, dieser Hyperkapitalismus, in dem die meisten sich dringend unersetzlich fühlen möchten. Klar: Mancherorts müssen Ar­beit­neh­me­r:in­nen damit rechnen, gekündigt zu werden, wenn sie nicht arbeiten. Manche Menschen arbeiten freiberuflich und haben keine Wahl. Aber selbst diejenigen, die eine Wahl hätten, hängen häufig am Anspruch der eigenen Unersetzlichkeit.

Es hängt an allen, dass es besser wird

Es geht nicht um eine Woche Krankschreibung bei jedem Nieser. Aber wer ignoriert, dass der Körper schlapp macht, um alle Aufgaben zu erfüllen, handelt fahrlässig. Wer alle zwei Minuten zum Taschentuch greift („Keine Angst, kein Corona, nur eine Erkältung!“), der hätte vielleicht im Bett bleiben sollen.

Wie schön das wäre, wenn wir durch die Pandemie gelernt hätten, unsere Körper ernster zu nehmen. Gelernt hätten, unserem Organismus die Auszeiten zu gönnen, die er nun mal regelmäßig braucht. Wenn wir unsere psychische Gesundheit ernst genug nähmen. Wenn Deadlines sich selbstverständlicher nach hinten verschieben dürften. Gesundheit und Krankheit müssten dafür als Gegebenheiten akzeptiert werden – statt als etwas, das sich nach Terminen zu richten hat.

Das ist Selbstfürsorge, aber es ist auch systemische Fürsorge. Es hat mit Rücksicht zu tun, die Erkältung nicht ins Büro oder ins Geschäft zu schleppen. Es ist vernünftig, auf Regeneration zu achten, anstatt unsere Leistungsfähigkeit ständig auszureizen.

Es hängt an Ar­beit­ge­be­r:in­nen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es okay ist, krank zu sein. Es ist aber auch an der Politik. Selbstständige etwa müssen gesetzlich besser abgesichert werden. Und auch Ar­beit­neh­me­r:in­nen müssen Körper und Psyche ernster nehmen. Hatschi, hier ist Ihr Kaffee, haben Sie eine schöne postpandemische Zeit, schneuz.

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