Nach der Karlsruher Klima-Entscheidung: Schneller, höher, weiter!
Nach dem Karlsruher Beschluss will die Union „entfesselte“ Politik, die sie selbst lange blockiert hat. Die SPD legt ein neues Klimagesetz vor.
Mut zu neuen Ideen wollte jedenfalls CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet zeigen, nachdem das Verfassungsgericht am Donnerstag Nachbesserungen am Klimaschutzgesetz (KSG) angemahnt hatte. Da ist er nicht allein: auch CSU, SPD und Grüne überbieten sich jetzt in neuen Plänen zu mehr Klimaschutz.
CDU-Parteiline: „Klimaschutz ist Chance!“
Ab sofort wollen etwa die ChristdemokratInnen mit einem „Entfesselungspaket“ Dinge vorantreiben, die sie bislang selbst gefesselt und geknebelt haben: Klimaneutralität „deutlich vor 2050“, ein Klimaziel von minus 65 Prozent in 2030 und Vorgaben für 2035 und 2040, einen Mindestpreis um EU-Emissionshandel, einen höheren nationalen CO2-Preis, die Erneuerbaren „kräftig ausbauen“, etwa durch Solarenergie-Dächern auf Häusern und Parkplätzen.
Was weiten Teilen der Union noch vor zwei Jahren als „Planwirtschaft“ im KSG ablehnten, kann jetzt gar nicht schnell genug gehen. Das sei auch kein „Schnellschuss“, wie es Friedrich Merz genannt hatte, sagte Laschet, „sondern ein lang durchdachtes Konzept.“
Schließlich heißt die neue Pateilinie: „Klimaschutz ist auch eine Chance, die wollen wir ambitioniert angehen“, sagte Fraktionsvize Andreas Jung, der mit Laschet auftrat und für solche Konzepte in der Union schon lange – und bisher vergeblich – geworben hat.
Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Noch in dieser Woche will die SPD-Umweltministerin Svenja Schulze einen neuen Entwurf für das KSG präsentieren, auch ihr Parteifreund Olaf Scholz ist für Tempo. Noch in dieser Wahlperiode soll das neue Gesetz durchs Parlament.
Die Grünen haben dazu in der Regierung konkret angeboten, das Klimaziel 2030 auf minus 70 Prozent zu erhöhen, jährlich Wind- und Solarenergie-Anlagen von 15 bis 20 Gigawatt zu bauen, den CO2-Preis auf 60 Euro zu erhöhen und Subventionen zu streichen. Und CSU-Chef Markus Söder will es natürlich echt bayerisch noch größer und grüner: Klimaneutralität in seinem Land schon bis 2040, mit mehr Geld einen schnelleren Kohleausstieg erkaufen, bis 2030 „65 Prozent plus x“ beim Ökostrom.
Parallel zur politischen Debatte laufen derzeit im Bundesumweltministerium unter Hochdruck die Vorbereitungen für ein nachgebessertes Klimaschutzgesetz. „In der zweiten Wochenhälfte“ sei mit einem Entwurf zu rechnen, hieß es. Darin wird wohl ein neues Klimaziel von etwa minus 65 Prozent bis 2030 stehen und zumindest ein Zwischenziel für 2040.
Als sicher gilt auch, dass der bisher schon beschlossene „Reduktionspfad steiler wird“ – dass also die im Gesetz vorgeschriebenen Reduzierungen von Treibhausgasen bis 2030 für jedes einzelne Jahr und einzelne Sektoren wie Bauen, Energie, Verkehr, Landwirtschaft oder Industrie noch verschärft werden. Erst vorigen Monat hatte der neue Expertenrat für Klimafragen die Bilanz von 2020 begutachtet – wegen der Corona-Rezession hatten alle Sektoren außer den Gebäuden ihre Ziele eingehalten.
Agora: Höhere Ziele, mehr Kontrolle, finanzielle Strafen
Man habe „das Wochenende durchgearbeitet“, hieß es aus dem Ministerium. Und auch die Verbände und Thinktanks verbreiten ihre Ideen, wie der Karlsruher Klima-Knaller möglichst effektiv umgesetzt werden soll. Die „Agora-Energiewende“ hatte bereits letzte Woche einen Vorschlag gemacht, die für 2050 geplante Klimaneutralität in Deutschland auf 2045 vorzuziehen, auch um darauf zu reagieren, dass das EU-Klimagesetz verschärft wurde.
Nun legte sie nach: Mit sechs Eckpunkten für eine KSG-Reform solle der Zustand beendet werden, dass die „Klimapolitik in Deutschland weder kompatibel mit dem Grundgesetz noch mit europäischen Green Deal“ ist, sagte Agora-Chef Patrick Graichen.
Die Agora schlägt ebenfalls vor, das deutsche Klimaziel für 2030 von minus 55 auf minus 65 Prozent zu erhöhen. Anders als die CDU hat sie aber auch konkrete Zwischenschritte: 2035 bei minus 77 und 2040 bei minus 90 Prozent zu sein. Jedes Jahr müssten demnach etwa 30 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespart werden, um der „temporalen Freiheitssicherung“ der zukünftigen Generation aus dem Urteil zu entsprechen.
Auch nach 2030 sollten die „Sektorziele“ für die einzelnen Bereiche fortgeschrieben werden – und mit einer deutlichen finanziellen Drohung gekoppelt werden: Sobald ein Jahresziel verfolgt werde, müsse der deutsche CO2-Preis um 15 Euro die Tonne steigen oder das Parlament entsprechende Maßnahmen für mehr Klimaschutz beschließen.
Der Expertenrat der Regierung, bislang nur ein Beratungsgremium, das Zahlen prüft, soll nach diesen Vorstellungen gestärkt werden und eigene Vorschläge machen. Schließlich solle die Regierung mit einem „Schattenpreis“ von 195 Euro pro Tonne CO2 rechnen, wenn es etwa um Wirtschaftlichkeit von Gebäudesanierungen oder neue Straßenprojekte geht.
„Das Klimaschutzgesetz spart allerdings keine Tonne CO2“, sagte Graichen. Es brauche daher dringend ein „Sofortprogramm Klimaschutz“ für mehr Erneuerbare, CO2-arme Heizungen und Mobilität, eine klimaverträgliche Landwirtschaft, mehr grünen Wasserstoff und einen höheren CO2-Preis. „Politik ist Handeln, nicht Ankündigen“, meinte Graichen mit Blick nach Bayern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz