Jetzt erst recht

Wie geht es denjenigen im Osten, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, nach dem Wahlabend in Thüringen und Sachsen? SiebenMenschen berichten über ihre Angstvor einer Normalisierung der AfD – und über den eigenen Mut zumWiderstand

Wir müssen darüber sprechen, wie demokratische Parteien den Rechten den Boden bereitet haben, sagt Sultana Sediqi. Hier auf einer Kundgebung vor der Wahl in Erfurt Foto: Jacob Schröter/imago

Wir müssen mehr über Lösungen sprechen, glaubt Uwe Dziuballa, Gastwirt aus Chemnitz Foto: John Macdougall/afp

Besorgt, dass so viele junge Menschen AfD gewählt haben: Donata Porstmann (r.), Oma gegen Rechts Foto: Franz Michel

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.

Protokolle Tobias Bachmann, Anne Fromm, Marie Sophie Hübner, Konrad Litschko, Dinah Riese, Louise Ringel

„Unter der Oberfläche gegrummelt“

„Für jemanden, der sich seit Jahrzehnten für die Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen einsetzt, ist es einfach nur erschütternd und deprimierend, wenn erstmals seit 1945 Rechtsextreme in einem Bundesland stärkste Kraft werden. Das ist ein ganz dunkler Tag für Thüringen. Natürlich hat der AfD-Wahlerfolg etwas mit dem Thema Migration zu tun oder damit, wie zuletzt mit dem Solingen-Attentat umgegangen wurde, mit einem Überbietungswettbewerb der demokratischen Parteien in migra­tionsfeindlicher Rhetorik. Oder mit antiamerikanischen, anti­liberalen Geschichtsbildern der SED, die nachwirken. Aber ich fürchte, es hat auch etwas mit der Abwehr gegen eine Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen zu tun, die seit 1945 immer stark gewesen ist und in den letzten 30 Jahren etwas überdeckt wurde. Unter der Oberfläche aber hat es immer gegrummelt, jetzt ist es durchgebrochen.

Und nun ist ja völlig unklar, wie die demokratische Mehrheitsfindung im Landtag ausgeht. Wenn die AfD, als schlimmstes Szenario, in irgendeiner Form eine Regierungsbeteiligung erreicht, wäre das für uns desaströs. Unsere Arbeit ist abhängig vom Landeshaushalt. Und auch mich abzulösen, wie die AfD es angekündigt hat, würde nicht so leicht. Aber 90 Prozent unserer Führungen etwa machen freie ­Guides, also Honorarkräfte, deren Etat man theoretisch auf null setzen könnte. Damit würde unsere Bildungsarbeit ausgetrocknet und beendet.

Und für mich persönlich heißt das wohl auch, dass die Angriffe gegen mich weitergehen. Ich hatte ja vor der Wahl 350.000 Haushalte angeschrieben und um ein demokratisches Votum gebeten – und darauf teils wüste Drohschreiben erhalten. Auf einer Fotomontage hieß es: „Ein Galgen, ein Strick, ein Wagner-Genick.“ Das lässt sich auch direkt auf die AfD zurückführen, die mit gezielter Desinformation auf den Brief reagiert hat: Dass ich Steuergelder verschwendet hätte oder gegen das Neutralitätsverbot verstoßen – alles Mumpitz.

Aber das Ziel der Rechtsextremen ist ja gerade, Menschen einzuschüchtern, und diesen Gefallen werde ich ihnen nicht tun. Selbstverständlich werde ich mich weiter für die Aufarbeitung von NS-Verbrechen einsetzen und darauf hinweisen, welche Partei unsere Arbeit angreift. Und was meine Briefaktion auch gezeigt hat: Die positiven Rückmeldungen waren deutlich mehr als die negativen. Das ist ja schon mal ein hoffnungsvoller Punkt.“

Jens-Christian Wagner ist ­Stiftungsdirektor der KZ-­Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

„Gegenseitig den Rücken stärken“

„Dass genau 85 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs eine faschistische Partei in Thüringen stärkste und in Sachsen zweitstärkste Kraft geworden ist, beschäftigt mich sehr. Wie wenig wollen wir aus unserer Geschichte lernen?

Immerhin, dass es Linke und Grüne in den Landtag geschafft haben, ist gut. Neben der SPD haben sie sich in der letzten Legislatur als einzige für queere Menschen im sächsischen Landtag eingesetzt. Vermutlich werden sie aber weniger als bisher für uns tun können, schon allein aufgrund der wenigen Sitze, die sie zusammen bekommen haben. Das ist bitter. Wenn uns Fördermittel und Räume verloren gehen, können wir weniger gegen Queerfeindlichkeit aufklären und antifaschistische Bildungsarbeit machen. Gerade im ländlichen Raum, wo es mancherorts schon jetzt, wenn überhaupt, dann nur noch ein einziges soziokulturelles Zentrum gibt, ist es dramatisch, wenn das wegbrechen würde.

Gerade als queere, migrantische oder antifaschistische Personen werden wir uns immer schwieriger sicher und frei bewegen können, wenn wir nicht in Gruppen unterwegs sind. Schon in den letzten Monaten wurden wir immer häufiger angegriffen und angefeindet. Die Faschos, die es hier schon immer gab und mit denen es immer mal Stress gab, aber nach den ‚Baseballschläger-Jahren‘ eben doch seltener – die verspüren politischen Rückhalt und drängen mit ihrer rechten Gesinnung in die Mitte der Gesellschaft zurück.

Dass in der künftigen Landesregierung neben der CDU wohl das BSW stärkste Kraft sein wird, lindert diese Sorgen nicht. Im Gegenteil. Das BSW ist für mich eine weitere rechte Partei unter einem linken Deckmantel. Zwar ist ihre Sozialpolitik links, doch hetzen sie massiv gegen Mi­gran­t*in­nen und queere Menschen, schimpfen aufs Gendern und auf das Selbstbestimmungsgesetz. Sie tragen zu der rechten Stimmung im Land bei, unter der wir leiden. Auch die CDU ist daran nicht unbeteiligt.

Wenn wir dagegen ankommen wollen, müssen wir laut sein, uns wehren. Wir müssen weiterhin ganz viel Aufmerksamkeit in den ländlichen Raum lenken. Und wir müssen uns noch stärker vernetzen, unsere Strukturen eng zusammenziehen, wie ein Spinnennetz. Wir müssen uns gegenseitig den Rücken stärken, sodass niemand das Gefühl bekommt, allein auf weiter Flur zu stehen. Das klappt schon ganz gut, auch zwischen Stadt und Land. Daran werden wir anknüpfen.“

Ocean Hale Meißner, 27, aus Döbeln, engagiert sich bei „Döbeln bleibt bunt“ für queeres Leben im sächsischen Hinterland.

„Der Kampfgeist ist erstarkt“

„Ich habe die Stimmzettel der Briefwahl ausgezählt. Da habe ich das Ergebnis relativ nüchtern aufgenommen. Für den Abend haben wir eingeladen, und die Omas, Opas und Freun­d:in­nen sind gekommen. Niemand sollte alleine sein. Wir haben das als sehr bitteres ­Ergebnis wahrgenommen. Die Stimmung war gedämpft. Ich hätte mir denken können, dass die AfD so stark wird, aber dann war es doch schwierig.

Ich versuche jetzt, mit vielen Menschen Kontakt aufzunehmen, die ähnlich denken. Ich möchte den Solidaritätsgedanken spüren. Es macht mir Sorgen, dass soziokulturelle Vereine und andere demokratische Projekte jetzt nicht mehr gefördert werden oder ihnen immer mehr Steine in den Weg gelegt werden könnten. Hier in Döbeln hat der AfD-Kandidat gewonnen und das könnte den Rechten noch mehr Auftrieb geben.

Wir haben schon vor der Wahl Anfeindungen von beispielsweise den Freien Sachsen bekommen, aber das könnte jetzt mehr werden. Ich habe das Gefühl, dass rechtes Gedankengut jetzt normalisiert wird und die Rechten moralisch gestärkt sind. Ich glaube, die Situation wird unbequemer werden für uns. Es macht mir Hoffnung, dass wir so viele sind bei den „Omas gegen Rechts“. Wir haben eine Gemeinschaft, die uns hilft und tröstet.

Demokratische Initiativen haben es zwar schwerer im Moment, aber sie sind trotzdem erstarkt in der letzten Zeit. Es könnte auch sein, dass jetzt alle sehen, dass die AfD nicht für Regierungsverantwortung gemacht ist. Sie hat kein geschultes Personal und wird dann vielleicht ihren Aufgaben nicht gerecht. Aber das müssen wir sehen.

Ich bin besorgt darüber, dass so viele junge Menschen die AfD wählen. Deshalb ist unser nächster Schritt bei „Omas gegen Rechts“, mehr Aufklärung bei diesen jungen Leuten zu machen. Wir möchten an Schulen gehen und Vorlesetage in Kindergärten machen. Vielleicht reichen die Demonstrationen nicht mehr. Wir treffen uns diese Woche und ich bin froh, dass es so schnell nach der Wahl ist. Der Kampfgeist ist nur erstarkt.“

Donata Porstmann setzt sich schon lange für ein demokratisches Miteinander ein. Zuletzt hat sie eine Ortsgruppe der „Omas gegen Rechts“ in Döbeln (Sachsen) gegründet.

„Trotzdem ziehe ich aus der Realität Kraft“

„Überrascht bin ich von den Wahl­ergebnissen nicht. Alarmierend und schmerzhaft sind sie trotzdem. Die allgegenwärtige rechte Bedrohung bekommt politische Ämter und mehr Handlungsspielraum. Da kann ich so resilient sein, wie ich möchte: Es macht mir Angst.

Trotzdem ziehe ich aus dieser Realität Kraft. Wir versuchen bei Hillel Deutschland hier in Leipzig für junge jüdische Menschen und ihre Bedürfnisse da zu sein und so eine starke und widerständige Gemeinschaft weiter auszubauen. Denn: Gerade da, wo es viele strukturelle Leerstellen gibt, gibt es auch das größte Potenzial für Veränderung.

Wir stehen hier vielen intersektionalen Herausforderungen ge­gen­über: Zu den generellen ostdeutschen Probleme von Struktur­schwäche, Lohngefälle, Fördermittelknappheit kommen noch Altersarmut – gerade unter den sogenannten Kontigentflüchtlingen – sowie Antisemitismus und die damit einhergehende reale Bedrohung der eigenen Sicherheit.

Wie stark ist jüdisches Leben in Sachsen eigentlich repräsentiert? Wir sind wenige und verstreut. Anders als in westdeutschen Flächenländern oder in Berlin ist die Zukunft jüdischen Lebens in Ostdeutschland keineswegs ohne Weiteres gesichert. Viele Menschen aus meinem Freundes- und Familienkreis dürfen nicht wählen.

Es ist wichtiger denn je, als Zivilgesellschaft insgesamt in den Austausch zu gehen und gemeinsam Projekte auf die Beine zu stellen. Demokratische Projekte brauchen jüdische Perspektiven, und die jüdische Gemeinschaft braucht demokratische Strukturen. Aber gerade für uns als Jüdinnen und Juden ist es spätestens seit dem 7. Oktober schwer, Verbündete zu finden. Ich selber habe mich seitdem aus fast allen linken Räumen zurückgezogen.

Im Juni saß ich im Bus auf der Anreise zu den Protesten gegen den AfD-Parteitag in Essen und habe dort Leute von sehr einseitigen Pro-Palästina-Protesten aus Leipzig erkannt. Da dachte ich: Das muss ich jetzt vielleicht aushalten, es geht um einen gemeinschaftlichen Kampf gegen den Faschismus. Ich glaube, wir müssen, um die Demokratie zu schützen, noch viel stärker nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner suchen – und versuchen, dabei Diskrepanzen auszuhalten. Zumindest fürs Erste.

Meine Resilienz ist unfassbar auf die Probe gestellt. Erst der Halle-Anschlag auf die Synagoge vor fünf Jahren, dann der 7. Oktober, jetzt die Landtagswahl. Ich wache mehrmals nachts auf und weiß nicht, wohin mit diesen existenziellen Ängsten. Gleichzeitig ist das jüdische demokratische Leben auch in Ostdeutschland gerade so stark und sichtbar und lebendig wie lange nicht mehr. Das mit aufbauen, formen und auf die Ressource der Gemeinschaft zurückgreifen zu können gibt mir unglaublich viel Kraft und Hoffnung.“

Yael Burchak arbeitet in Leipzig bei Hillel Deutschland, einer Organisation für junge jüdische Menschen. Außerdem baut sie beim jüdischen LGBTQIA+ Verein Keshet Deutschland die Regionalgruppe „Ost“ mit auf.

„Es wird schwerer, Fördergelder zu bekommen“

„Wir wussten aus den Prognosen ja schon, was in Thüringen auf uns zukommt. Und trotzdem ist es ein Schock, dass wir nun vor einem kompletten politischen Umbruch stehen. Dabei sind wir es in Gera längst gewohnt, im Alltag mit der AfD kon­frontiert zu sein. Die Partei hat bereits seit den Kommunalwahlen 2019 eine Mehrheit im Gemeinderat, sie ist in sämtlichen ­Strukturen – der Verwaltung, in den ­Beiräten und wichtigen Gremien – ­vertreten.

Wir sehen seitdem immer wieder, dass es schwerer wird, Geld für Demokratieförderung zu bekommen. Das sagt uns keiner offen, aber die Leute in den Behörden werden vorsichtiger, wenn es darum geht, Geld zu verteilen. Es wird sehr genau darauf geachtet, dass ja nicht zu viel Geld an Leute oder Projekte geht, die als irgendwie links oder alternativ gelten. Der Rechnungshof dreht jeden Cent Fördergeld fünfmal um, in den Behörden erleben wir kaum noch Kulanz.

Alle haben Angst, etwas falsch zu machen, was die AfD wieder für eine Kampagne nutzen könnte. Was uns auch zu schaffen macht, sind Sticheleien der hiesigen Lokalzeitung Neues Gera. Die ist eigentlich nur ein Anzeigenblatt, aber in der Hand eines rechten Verlegers und mit Verbindungen zur AfD. Von dort kommen immer mal merkwürdige Anfragen und Texte, die uns zeigen, dass wir aus deren Sicht hier nicht erwünscht sind. Bisher konnten wir uns aber immerhin auf die rot-rot-grüne Landesregierung verlassen, der Kultur und Soziokultur wichtig war.

Was jetzt auf uns zukommt, ist ungewiss: Wofür stehen die CDU und das BSW in Sachen Kulturförderung? Das wissen wir nicht. Dazu kommt, dass auch die Kulturförderung vom Bund knapper wird, wenn die Ampelregierung ihre Sparpläne durchsetzt. Dann fürchten wir also sowohl um Gelder aus der Kommune, aus dem Land als auch vom Bund. Wir arbeiten nun also noch mehr als bisher daran, uns finanziell komplett unabhängig zu machen von staatlichem Geld. Viele in der Thüringer Zivilgesellschaft sind genauso verunsichert wie wir.

Aber was ich auch erlebe, ist eine ganz große Solidarität: Leute vernetzen sich stärker, wir diskutieren unter einander, wie sichergestellt werden kann, dass auch die kleinen Projekte weiter ausreichend gefördert werden. Und wir kriegen viel ­Zuspruch von außerhalb Thüringens: Allein im vergangenen halben Jahr hatten wir so viele Anfragen von Leuten aus Berlin, Köln und Westdeutschland, die bei uns Projekte machen wollten, wie nie zuvor. Das zeigt uns, dass wir weitermachen müssen. Egal, wie heftig der Gegenwind wird.“

Philipp Venghaus ist Projektmanager beim Kulturhaus Häselburg Gera. Die Häselburg bietet Werkstätten, Proberäume, Ateliers, eine Galerie und Büros für die lokale Kreativwirtschaft. Sie war in diesem Jahr für den taz Panter Preis nominiert.

„Vor allen Dingen: Nicht hysterisch werden“

„Ich habe am Sonntag normal im Restaurant gearbeitet und dabei die Wahl mit den Gästen geguckt. Wir haben uns gefreut, dass die AfD nicht stärkste Kraft ist. Aber es macht mir Angst, dass so viele Menschen eine Partei wählen, die so radikale und menschenfeindliche Gedanken hat. Ich weiß noch nicht, wie ich mit dem Ergebnis umgehen werde. Das müssen die nächsten Tage zeigen. Vor allen Dingen: Nicht hysterisch werden.

Das Ergebnis war abzusehen, aber es ist trotzdem ein Schock. Ich hoffe, dass unser Ministerpräsident eine Regierung hinbekommt.

Wir werden sowieso schon länger von der Polizei bewacht. Für uns ändert sich gar nicht so viel. Aber es macht mir Sorgen, dass ich häufiger höre: „Gegen euch haben wir nichts, aber wir wählen trotzdem die AfD.“ Heute bedeutet das Ergebnis noch nicht so viel, aber das kann sich schnell ändern. Ich glaube, dass die Menschen von rechts jetzt mehr Wind unter den Flügeln haben und sich mehr trauen. Ich habe das Gefühl, dass die Gesellschaft schon gespalten ist und dass der gesellschaftliche Solidargedanke weg ist.

Ich kann nur hoffen, dass die Ergebnisse ein Signal an die Bundespolitik sind. Es funktioniert nicht, die Einwände der Bevölkerung wegzulächeln. Sie müssen sich damit auseinandersetzen und das Volk mitnehmen. Wir sollten mehr miteinander denken und nicht gegeneinander. Es wurden Fehler gemacht im Umgang mit dem Osten, und die AfD nutzt das aus.

Mein Stammtisch gibt mir im Moment Hoffnung. Das sind Leute, die seit 24 Jahren jeden Sonntag zusammenkommen. Niemand wählt die AfD, aber sonst wählen alle ganz unterschiedlich. Es ist ein bunter Mikrokosmos aus Leuten. Ost und West, viel und wenig Geld und ganz unterschiedliche Berufe. Wir argumentieren, diskutieren, streiten und bleiben trotzdem Freund:innen. Alle können Ideen und Bedenken äußern. Schubladendenken verhindert Diskussion. Das ist gelebte Meinungsfreiheit. Wir sollten mehr über Lösungsansätze sprechen anstatt über alles, was schlecht ist und wegmuss.“

Uwe Dziuballa betreibt seit 20 Jahren das jüdische Restaurant „Schalom“ in Chemnitz.

„Ich frage mich: Kann ich hier bleiben?“

„2021 habe ich ein Video gesehen, das zeigt, wie ein Mann in der S-Bahn in Erfurt ­verprügelt wird. Ich habe mich hilflos gefühlt und mich gefragt, was ich tun kann. Damals habe ich angefangen, mich zu engagieren, habe den Verein ‚Jugendliche ohne Grenzen‘ gegründet. Heute, nach der Wahl, habe ich wieder viele Fragen, aber es sind andere als damals. Ich frage mich: Wie können wir uns schützen? Was braucht es von mir? Ich frage mich nicht wie damals, ob ich etwas tun muss, sondern: was?

Vor zwei Jahren habe ich meinen Onkel auf dem Mittelmeer verloren. Die Menschen, die damals da waren, die mit mir nach Griechenland gefahren sind, die ge­trauert haben: Mit diesen Menschen habe ich in den vergangenen Monaten eine Demo organisiert. Mit ihnen habe ich gestern die Wahl geschaut. Es war wichtig, mit den Ergebnissen nicht allein zu sein. Wir sind spazieren gegangen, haben versucht, so gut es geht, uns einen schönen Abend zu machen.

Für die nächsten Wochen haben wir noch keine Projekte geplant. Das liegt daran, dass ich einfach nicht die Ressourcen hatte, nicht die Energie. Was ich weiß, ist, dass wir noch näher zusammenrücken müssen. Das Gewaltvolle ist die Ungewissheit. Nicht zu wissen, wie die nächsten Wochen aussehen werden. Jetzt will ich erst mal für meine Familie da sein. Wir fangen die Gefühle voneinander auf.

Mein Studium beginnt im Oktober und ich frage mich: Kann ich hier ­bleiben? Meine Mutter hat in den letzten ­Monaten immer wieder betont, dass sie ­eigentlich wegwill. Dass sie nicht mit ­dieser ­Unsicherheit leben will. Aber ich weiß nicht, woher wir die Kraft nehmen sollten, ­wieder neu anzufangen. Ich möchte auch nicht weg. Es gibt viele Menschen hier, die mir Hoffnung geben, die mich tragen.

Heute frage ich mich: Wie kann es sein, dass die demokratischen Parteien es nicht geschafft haben, uns den Rücken zu stärken? Es wurde immer wieder dazu aufgerufen, demokratisch zu wählen. Aber was für eine Politik wählt man dann? Eine Politik, die dann auch zu Abschiebungen führt, zu Hanau, zum europäischen Asylabkommen Geas, zu Toten im Mittelmeer. Darüber müssen wir jetzt auch sprechen. Darüber, wie die demokratischen Parteien den Rechten den Weg bereitet haben.“

Sultana Sediqi ist als Kind aus Afghanistan geflohen und lebt seit zehn Jahren in Erfurt. Sie hat die Organisationen „Jugendliche ohne Grenzen“ und „MigraFem“ ­mitgegründet.