Nach den Krawallen in Heidenau: In Dunkeldeutschland
In Heidenau vereinen sich Pegida und die NPD. Nirgendwo sitzt braunes Gedankengut so fest wie südlich von Dresden.
Die Gebete, anonym auf Zettel geschrieben, gleichen verzweifelten Fragen: Warum greift Verblendung um sich? Woher dieser Hass? Woher diese Wut? Einer hat sich schon an Antworten versucht. Hinten in der letzten Bank hockt Jürgen Opitz, immer noch in Schlips und Anzug, nur die Haare sind etwas verschwitzt. Seit Montagfrüh hat der Bürgermeister von Heidenau Interviews gegeben, hat versucht zu erklären, warum in seiner Stadt, ein Vorort südöstlich von Dresden, der rechte Mob gewütet hat. Er hat eingeräumt, dass auch Heidenauer mit gebrüllt haben als Steine und Pyrotechnik flogen, hat auch von „vielen Auswärtigen“ geredet, die als Einpeitscher agierten. Jetzt wirkt er erleichtert, dass das Telefon für eine Stunde schweigt.
Will nicht auch sie ein Gebet niederschreiben? Christl Bialluch winkt ab. „Ich rede selber mit Gott.“ Die Rentnerin hat eine direkte und friedfertige Art. Im Kofferraum ihres Autos liegt schon ein Kochtopf, den sie heute Abend fünf jungen Männern aus Pakistan schenken wird, die hier in Heidenau untergekommen sind. Dann können sie endlich ausreichend Reis zubereiten. Sie sind erst seit zwei Wochen hier, nennen Bialluch aber schon „Mama“.
Wenn nur alle so wären wie Christl Bialluch. Woher kommt der Hass? Auf diese Frage lässt sie sich gar nicht erst ein. Es gebe so viel Gutes, so viele gute Menschen, in Heidenau, im benachbarten Pirna, wo die 76-Jährige mit ihrem Mann wohnt, in der ganzen Region. Da ist der Pfarrer Dimitri Mierau von der Freien evangelischen Gemeinde aus Pirna, da sind die Helfer von der AG Asylsuchende, die vielen Freiwilligen, die Deutschkurse geben und natürlich all die Menschen, die sich hier versammelt haben. Zählt das nicht viel mehr? Nur einmal entfährt ihr ein Seufzer, wie aus Versehen. „Ach, wir sind Christen. Alle anderen sind dagegen.“
Ab Freitagnachmittag gilt ein öffentliches Versammlungsverbot im gesamten Gebiet der Kleinstadt nahe Dresden. Das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hat zwischen Freitag 14 Uhr und Montag 6 Uhr alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel untersagt. Anlass sei das Vorliegen eines polizeilichen Notstandes. „Danach sind die zur Verfügung stehenden Polizeikräfte nicht in der Lage, der prognostizierten Lageentwicklung gerecht zu werden“, hieß es in einer Mitteilung des Landratsamtes. Für Freitagnachmittag war ein Willkommensfest für Flüchtlinge geplant, parallel dazu hatte auch die rechte Bürgerinitiative Heidenau im Internet zu einer Demonstration aufgerufen. Sie wird dabei von anderen rechten Gruppen wie der Bürgerwehr Freital und der Meißener Initiative Heimatschutz unterstützt. (dpa)
Viele gute Menschen
Pfarrer Dimitri Mierau, Sohn russlanddeutscher Einwanderer, ist ein agiler junger Mann. Eben hat er in morgendlicher Gebetsgemeinschaft mit den Bialluchs zusammengesessen. Auch er hat gestern vor der Kirche das Engagement der vielen Menschen gelobt. Ob es Widerstände gebe? Nein, davon wisse er nichts. Aber von irgendwoher müssen die Einpeitscher und Claqueure von Heidenau doch kommen? Ein angestrengtes Lächeln huscht über sein Gesicht. Eine Ursache sei wohl die Arbeit der NPD weiter oben im Elbtal.
Jetzt spricht er als Hausherr im Gottesdienstraum das Tischgebet. André Hahn, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, und sein Tross hören andächtig zu. Selten kommen die Genossen mit dem Häuflein entschiedener Christen zusammen. Spontan hatte die sächsische Linke ihre Sommertour nach den Heidenauer Ausschreitungen in das Neubaugebiet Pirna-Sonnenstein gelenkt, um auch hier mit Flüchtlingen zu reden.
Die Flüchtlingsarbeit der Freien evangelischen Gemeinde von Dimitri Mierau ist vorbildlich. Obwohl Sonnenstein ein sozialer Brennpunkt ist, sind 250 Flüchtlinge dezentral untergebracht, berichtet Mierau. Insgesamt laufe es gut. Die vier jungen Frauen, die mit Familienangehörigen das syrisch-libanesische Frühstück vorbereitet haben, finden zunächst auch nur freundliche Worte. Pirna sei sehr schön und es gebe viele gute Menschen.
„Scheiß Moslems!“
Wissen die vier auch von den Ausschreitungen? Aber natürlich! Ihre Mienen verdunkeln sich. Arabische Fernsehsender haben davon berichtet. Auf Facebook haben sie sich informiert. Und sie haben große Probleme. Insbesondere wegen ihrer Kopftücher. Viel Deutsch können sie noch nicht, aber Sprüche wie „Scheiß Kopftuch!“ und „Scheiß Moslems!“ verstehen sie ohne Sprachkurs. Ausgespuckt habe man vor ihnen. Als sie beim Einkaufen schüchtern mit „Hallo“ grüßten, seien sie angeblafft worden: In Deutschland grüßt man mit „Guten Tag“! Ramia aus dem Libanon gibt zu, dass sie inzwischen das Kopftuch abgelegt hat und auch nicht mehr zum Deutschkurs nach Dresden fährt. „Abends gehen wir nie raus“, versichert Neamat. Die drei anderen nicken. „Wir haben Angst.“
In Heidenau hat sich am letzten Wochenende die NPD mit Pegida vereinigt, schätzt Petra Schickert. Die schlanke Frau vom Mobilen Beratungsteam Pirna, das Kommunen und Vereine zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus berät, hat in der Frühstücksrunde gesessen, nun steht sie etwas abseits. Die christliche Zurückhaltung ihrer Mitstreiter entspricht nicht ihrem Naturell.
Die Proteste in Freital gegen die Unterbringung von Flüchtlingen Ende Juni waren noch von Pegida organisiert, ist sie sich sicher. Lutz Bachmann, der Pegida-Gründer, wohne schließlich in Freital. Dort, vor den Toren Dresdens, sei die Pegida-Hochburg. Anders verhalte es sich in der Sächsischen Schweiz. Von Pirna über Bad Schandau bis Sebnitz sei die NPD fest verankert, getragen von Einheimischen. Proteste gegen Flüchtlinge werden von Einheimischen angemeldet, erzählt sie. Kundgebungen, die sich für das Recht auf Asyl aussprechen, melden hingegen oft Auswärtige an. Bei Wahlen kandidiert der Handwerksmeister und der Landarzt – rechtschaffene Bürger. So hetzt die NPD gegen Flüchtlinge.
Eine Protestdemo wegen zwölf Flüchtlingen
Es müssen nicht immer Hunderte sein. Anfang des Jahres demonstrierte sie in Bad Schandau – wegen zwölf Flüchtlingen. In Heidenau hat der 27 Jahre alte NPD-Stadtrat Rico Rentzsch die Demo angemeldet. NPD-Mandatsträger waren am Lautsprecherwagen aktiv. Alte Kader haben neue Aufgaben. Als die NPD 2014 aus dem sächsischen Landtag flog, mag es ruhiger um sie geworden sein. Verschwunden war sie nie.
Wenn im August 2014 alle so gewählt hätten wie zwischen Heidenau und tschechischer Grenze, wäre die NPD immer noch im Landtag: 8,7 Prozent. Die NPD hat die Strukturen, Pegida das Potenzial und in Heidenau, das auch geografisch zwischen beiden Zentren liegt, haben sich die Fronten vereint – mit verheerenden Folgen. Petra Schickert redet nachdrücklich. Es klingt unerbittlich für diese christliche Oase mit dem Holzkreuz an der Wand. Christl und Horst Bialluch stehen kurz daneben, hören hinein, gehen wieder. Die Worte schmerzen.
Am anderen Ende von Pirna in der Hauptstraße fällt ein eingeschossiger Anbau auf. Er ist karminrot gestrichen, das Schaufenster verhangen. Es ist das „Haus Montag“, die Parteizentrale der NPD. Kreisvorsitzender ist Thomas Sattelberg, verurteilter Rädelsführer der „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS). Bis vor einem Jahr hatte der NPD-Landtagsabgeordnete Johannes Müller, Allgemeinmediziner in Sebnitz, hier sein Büro. Das Wort Heimat ist der NPD zur beliebten Chiffre geworden: Heimat im Herzen! – Heimat schützen! – Asylmissbrauch bekämpfen! Plakate sucht man an der Baracke vergebens, die Propaganda läuft auf Facebook: „Refugees, go home!“.
Drei Polizisten beobachten
Shadi aus Syrien hat sich in seinem Heimatland mehrere Jahre politisch engagiert. Als er deswegen verfolgt wurde, flüchtete er und ließ Eltern und Geschwister zurück. Auf diese Geschichte könnten Passanten auf dem Marktplatz von Pirna stoßen. Die Genossen der Linkspartei, die am Morgen in Sonnenstein frühstückten, haben Pavillon, Tische, Aufsteller herbeigeschafft. Broschüren liegen bereit über Asylverfahren, Flüchtlingsschicksale, Fakten. Allerdings ohne Resonanz. Der parteilose Oberbürgermeister ist aus dem Rathaus gekommen. Das schon. Urlauber hocken in den Straßencafés, viele sind mit dem Rad an der Elbe unterwegs. Drei Zuschauer interessieren sich wirklich – aber aus der Ferne. Die Streifenbeamten lehnen am Marktbrunnen und beobachten.
„Die haben Angst, dass noch was passiert“, mutmaßt Lutz Richter, seit 2014 Landtagsabgeordneter der Linken. Richter führt in die Kirchgasse. Im Erdgeschoss der Nummer 2 ist das Alternative Kultur- und Bildungszentrum untergekommen. Im Schaufenster ist einiges über das einstige jüdische Leben in Pirna zu erfahren, auch über Flüchtlingsarbeit. Im Juli wurden die Scheiben eingeschmissen. „Das war ein Nazi-Angriff“ steht auf einem Zettel. Die Scherben, die noch dort liegen, sollen Mahnung bleiben, erzählt Richter.
Während Richter redet, kommen zwei Männer vom DGB herein. Thomas Dißelmeyer, der DGB-Kreisvorsitzende, hat im Januar beim NPD-Protest in Bad Schandau die Gegendemo organisiert. Dißelmayer ist ein erfahrener Organisator, der schon lange in der Region lebt. Mit der politischen Kultur hat der Mann aus NRW aber noch Probleme. Bei wesentlichen Fragen stehen anderswo alle demokratischen Kräfte beieinander, sagt Dißelmeyer – Parteien, Kirchen Gewerkschaften. „Dat is hier nich!“ Dißelmeyer ist aber wegen was anderem gekommen.
Leute aus Berlin und Dresden wollen am Freitag vor dem Baumarkt in Heidenau ein Willkommensfest feiern, erzählt Richter. Man suche noch Unterstützer. „Macht ihr mit?“, fragt Richter. Dißelmeyer zögert. Personell sei man am Limit. Wegen eines bandagierten Fußes stützt er sich auf Krücken, schwankt hinaus. Etwas später hat er sich entschieden. Der DGB ist mit dabei. Das Fest findet trotzdem nicht statt. Am Donnerstagabend hat der Landrat für Heidenau ein Versammlungsverbot verhängt, das von Freitagnachmittag an gilt – aus Sicherheitsgründen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind