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Nach den Ausschreitungen in BrasilienLula und Justiz greifen durch

Präsident Lula entlässt mindestens 40 Militärs wegen ihrer Rolle beim Sturm auf Brasília. Gegen Randalierer sind erste Anklagen erhoben worden.

Nicht nur der Präsidentenpalast wurde attakiert, auch auf Präsident Lula war wohl ein Anschlag geplant Foto: Adriano Machado/reuters

Brasília/Washington ap/afp/dpa | Mindestens 40 Mitglieder des brasilianischen Militärs sind nach dem Sturm auf das Regierungsviertel in Brasília von ihren Tätigkeiten in der Präsidentenresidenz entbunden worden. Entsprechende Erlasse wurden im Amtsblatt der Regierung am Dienstag (Ortszeit) veröffentlicht. Betroffen sind vor allem niederrangige Militärs wie einfache Soldaten, Gefreite und Unteroffiziere, die beispielsweise in der Verwaltung und im Sicherheitsdienst des „Palácio da Alvorada“, der Residenz des neu vereidigten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, in der Hauptstadt Brasília tätig waren.

Am 8. Januar hatten Anhänger des kurz zuvor von Lula abgelösten Staatschefs Jair Bolsonaro den Kongress, den Regierungssitz und den Obersten Gerichtshof in Brasília gestürmt und erhebliche Schäden verursacht. Rund 1.500 Sympathisanten Bolsonaros wurden vorläufig festgenommen. Der Linkspolitiker Lula warf seinem rechten Vorgänger vor, seine Anhänger aufgestachelt zu haben, was Bolsonaro bestreitet.

Zudem äußerte Lula den Verdacht, dass es Absprachen der Krawallmacher mit Mitgliedern der Streitkräfte und der Bundespolizei des Hauptstadtdistrikts gegeben haben müsse. Die Generalstaatsanwaltschaft leitete am Dienstag eine Untersuchung ein, um die mögliche Verantwortung von Politikern und Militärs zu untersuchen.

Am Montag waren die ersten 39 Anklagen gegen mutmaßlich an den Krawallen beteiligte Bolsonaro-Anhänger erhoben worden. Ihnen wird unter anderem die Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung, Beschädigung von öffentlichem Eigentum und ein versuchter Staatsstreich vorgeworfen.

Die Staatsanwälte einer neuen Arbeitsgruppe gegen antidemokratische Aktionen beantragte, dass die Verdächtigen in Untersuchungshaft kommen. Zudem sollten Vermögen im Umfang von 40 Millionen Reais (mehr als 7 Millionen Euro) eingefroren werden.

Zweite Festnahme nach gescheitertem Attentat auf Lula

Nach einem gescheiterten Attentat auf Luiz Inácio Lula da Silva kurz vor seinem Amtsantritt ist ein zweiter Verdächtiger festgenommen worden. Der 32-Jährige habe sich im Bundesstaat Mato Grosso der Polizei gestellt, hieß es am Dienstag in einer Polizeimitteilung. Ein dritter Verdächtiger sei noch auf der Flucht.

Ein erster Verdächtiger war kurz nach dem gescheiterten Sprengstoffattentat an Heiligabend in Brasília festgenommen worden. Der Mann, ein Anhänger von Lulas rechtsextremem Vorgänger Jair Bolsonaro, soll Sprengsätze an einem Tanklaster platziert und so versucht haben, vor dem Machtwechsel Chaos zu verbreiten. Er habe die „Einführung des Kommunismus in Brasilien“ verhindern wollen, sagte der Beschuldigte den Ermittlern.

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4 Kommentare

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  • „Der Linkspolitiker Lula warf seinem rechten Vorgänger vor, seine Anhänger aufgestachelt zu haben, was Bolsonaro bestreitet”

    Etiketten, auch wenn es falsche sind, halten (scheint’s) für immer. Zumindest im Dunstkreis von Nachrichtenagenturen. Denn was an Lula links sein soll, haben wir, die wir nun in seiner dritten Amtszeit sind, noch nicht entdeckt. Was seinen Vorwurf gegen seinen faschistischen Vorgänger betrifft hat er selbstverständlich recht: die Bolsonarobande hat während Jahren ihre AnhängerInnen an- und aufgestachelt. Und dass es in Militärpolizei und Militär Leute gibt, die am Putschversuch vor zehn Tagen beteiligt waren, ist offenkundig. Viele der Randalierer – und das steht in diesen Nachrichtenagenturstenos interessanter Weise nirgends – haben sich ja nach ihrem Angriff in Brasília in eine nahegelegene Kaserne geflüchtet. Und deren General liess Lula’s Justizminister Dino auch gleich ausrichten: „Hier bei uns verhaftet ihr niemanden!“



    Dass dies alles so kam ist freilich auch Teilschuld von Lula und seiner „Arbeiterpartei“. Hätten sie sich nicht zu einer weiteren Korruptionsmaschine-als-Partei-getarnt entwickelt, ein Irrer wie Bolsonaro wäre nie ins Amt gekommen. Und dass die Militärpolizei, die mordeifrigste Polizeieinheit der Welt und ein Kind der Diktatur, überhaupt noch existiert, ist ja u.a. auch den zweieinhalb „Arbeiterpartei“-Regierungen zu verdanken. Denn diese aufzulösen haben sie nicht einmal ansatzweise versucht.

    • @Ardaga:

      "Denn diese aufzulösen haben sie nicht einmal ansatzweise versucht."

      Weil sie nicht die Macht dazu hatten. Die Militärdiktatur hatte über 20 Jahre Bestand in dem Land und wurde erst 1985 abgelöst. Ihr Argument wäre stichhaltig, wenn man die Militärs damals zur Rechenschaft gezogen und dann aber die Militärpolizei beibehalten hätte. De facto hat das Militär nie wirklich an Macht eingebüßt in dem Land und hat immer wieder Einfluss genommen auf die Politik, siehe Bolsonaro.



      Oder andersrum gesagt, Brasilien hat den Demokratisierungsprozess noch nicht ganz abgeschlossen. Ein Probleme, das man in vielen Ländern beobachten kann, die aus Diktaturen kommen (siehe unseren Nachbarn Polen z.B.).

      • @Shasu:

        Nicht nur manches Mal wäre es so dienlich sich die Zeit zu gönnen, zu überlegen, statt den Überlegenen zu mimen. Noch dazu auf nicht angestammtem, noch bewohntem Feld, und weil in fieberhafter [re]-Tätigkeit holistischer (Besser-) Wissermanier.



        Die (PT-)Regierungen hatten ALLE konstitutionelle Macht UND Zeit es anzugehn. Aber das haben sie ebenso „vergessen“, wie ihre Vor-Macht-Ergreifungs-Aushänge-Versprechen (sehr ähnlich dem „sich versprechen“, im Deutschen) von Korruptionsbekämpfung und Landreform.