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Nach den Anschlägen von KopenhagenStadt des Friedens

Zehntausende gehen für eine offene Gesellschaft auf die Straße. Die Solidarität mit den dänischen Juden wird erneut herausgestellt.

Kopenhagen am Montagabend. Bild: dpa

KOPENHAGEN taz | „Imagine" treibt ihnen die Tränen die Augen. Weit über 30.000 Menschen hören das Lied des 1980 ermordeten John Lennon nur wenige Meter entfernt vom Schauplatz des ersten Anschlags von Kopenhagen, dem Kulturcafé „Krudttønden". Versammelt haben sie sich, um ein Zeichen zu setzen gegen Gewalt und Hass, für Offenheit und Demokratie.

Ein Meer aus Fackeln erleuchtet den Platz, Menschen jeden Alters sind gekommen, um unter anderem ihre Ministerpräsidentin und eben „Imagine" zu hören. Die Ironie, gerade diese pazifistische Hymne unter dem Schutz von mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten singen zu müssen, ist unübersehbar.

Dabei zeigt sich Kopenhagen recht gelassen an diesem Tag, so kurz nach den Anschlägen. Im Rest der Stadt tritt die Polizei, wenn überhaupt, keineswegs martialisch in Erscheinung. Das Treiben auf den Straßen nimmt seinen gewohnten Lauf, auf Fahrrädern streben die Menschen dem Feierabend entgegen. Die Geschäfte schließen früh.

Selbst eine Kundgebung am frühen Abend auf dem zentral gelegenen Strøget wird nur von wenigen Polizeibeamten begleitet, die noch dazu auf sichtbare Bewaffnung verzichten. Drei- bis vierhundert, vor allem junge Menschen demonstrieren hier gegen Rassismus. Eine Schweigeminute für die Opfer der Anschläge legen sie ein. Die Plakate des linken Bündnisses „Für ein vielfältiges Kopenhagen" sind auch später auf der großen offiziellen Veranstaltung wieder zu sehen.

„Flygtninge og Muslimer er velkomne" - „Flüchtlinge und Muslime sind willkommen" steht da. Die Stimmung am Strøget ist freundlich, es wird gemeinsam gesungen. Ein Redebeitrag verurteilt den Antisemitismus.

Unvermittelt ein Hauch von Eurovision

Das tut auch Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt. Vor Zehntausenden bekräftigt sie die Verbundenheit mit der kleinen, durch den zweiten Anschlag schwer getroffenen jüdischen Gemeinde: „Ein Angriff auf die Juden ist ein Angriff auf Dänemark, auf uns alle." Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Dan Rosenberg Asmussen ruft zum Zusammenhalt, gerade zwischen Muslimen und Juden, auf: „Der Extremismus ist unsere gemeinsame Herausforderung."

Über der demonstrativen Einigkeit kreisen zwei Polizeihubschrauber, nur für die Schweigeminute entfernen sie sich etwas – und für einen Moment ist es beinahe ganz still. In den hinter einem Park liegenden Häusern stehen die Bewohner an den Fenstern. Die Wohnzimmer und Küchen in ihren Rücken werden wie überall hier mit keiner Gardine vor Blicken geschützt. Kopenhagen ist eine offene Stadt, eine Stadt des Friedens. Daran möchten seine Bewohner jetzt so dringend glauben.

Am Ort des Verbrechens an dieser Offenheit, neben dem Kulturcafé, das ausgerechnet den Name „Pulverfass" trägt, wird der Frieden beschworen – vom schwedischen Ministerpräsidenten und vom Polizeipräsidenten. Das Publikum applaudiert. Thorning-Schmidt dankt den ausländischen Gästen für ihr Kommen und für die Solidaritätsbekundungen aus aller Welt – auf englisch und französisch. Dieser unvermittelte Hauch Eurovision wird noch verstärkt durch die kurz darauf folgende Intonation der Simon-and-Garfunkel-Schnulze „Bridge over troubled water".

Nach einer Stunde ist alles vorbei. Die Besucher gehen geordnet nach Hause, an den extra aufgestellten mobilen Toiletten vorbei. Reinigungskräfte sammeln in Minuten die am Boden liegenden Reste der Fackeln ein. Die Polizei muss für die Zehntausenden auf dem Heimweg keine weitere Straße absperren, der Verkehr fließt weitestgehend ungehindert, man wartet an den Ampeln. Man wartet auf die Rückkehr des Alltags.

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2 Kommentare

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  • Ein sehr lesenwerter Artikel, der die Zusammenhänge in das rechte Licht rückt und nicht Ursache und Wirkung verwechselt!

  • Nichts ist momentan wichtiger, finde ich, als gerade dieser Wunsch der Bewohner Kopenhagens, ihre Stadt trotz der Morde für einen Ort der Menschlichkeit zu halten. So lange noch genügend Menschen daran glauben, dass die dänische Hauptstadt "eine offene Stadt, eine Stadt des Friedens" ist, haben all diejenigen Unrecht, die behaupten, 2015 sei wie 1930 oder gar wie 1933.

     

    In den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es keinen breiten Konsens dazu, dass Juden genau so sehr zu Europa gehören, wie Protestanten oder Katholiken. (An Muslime hat man damals überhaupt noch nicht gedacht.) Deswegen war es in den 30-ern auch kaum jemandem ein Bedürfnis, den jüdischen Mitbürgern zu zeigen, dass sie genau so viel Solidarität verdienen und im Ernstfall auch erhalten wie jeder andere.

     

    Anno 2015 reicht die Einigkeit vom regierenden Spitzenpolitiker bis zum autonomen Antifaschisten, auch das ist neu. Mehr "Volksfront" war noch nie, schon gar nicht ganz ohne Gewalt. Das ist zwar schade für Herrn Netanjahu, aber gut für Europas Zukunft – und ein ziemlich guter Grund, Muslime nicht pauschal zu hassen. Selbst noch die kriminellsten und idiotischsten unter ihnen können den Gesellschaften, gegen die sie ihre Aggressionen richten, zeigen, wer sie wirklich sind.