Nach dem rechten Terror in Neuseeland: „Einer der finstersten Tage“
Nach dem rechtsextremen Terrorangriff mit 49 Toten wird in Neuseeland der Ruf nach einem Waffenregister laut. Der Haupttäter ist Australier.
Kurze Zeit danach kam die Meldung, in der fünf Kilometer entfernten Moschee im Stadtteil Linwood seien ebenfalls Schüsse gefallen. Dort starben nach Angaben der Polizei mindestens 7 Menschen. 48 Verletzte wurden mit Schusswunden in Krankenhäuser gebracht, viele von ihnen schwebten auch am Abend noch in Lebensgefahr, teilte das Krankenhaus in Christchurch mit.
Farid Ahmed beschrieb gegenüber dem neuseeländischen Fernsehen die Szene in der ersten Moschee: „Es war sehr friedlich und ruhig, als das Gebet begann. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.“ Dann seien plötzlich Schüsse gefallen. „Ich war in einem Seitenraum“, so der Mann, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Dann habe er Menschen rennen gesehen. „Einige hatten Blut am Körper, einige hinkten.“
Es sei ihm dann klargeworden, dass es sich um eine ernste Sache handelte. Er fuhr im Rollstuhl zu seinem Auto. Dort habe er die Schüsse gehört, „sechs Minuten lang“. Knapp verschont wurden Mitglieder des pakistanischen Kricketteams. Ihr Mannschaftsbus war gerade an der Moschee angekommen, als die ersten Schüsse fielen.
Die Polizei hatte nach den Vorfällen Muslime in ganz Neuseeland dazu aufgerufen, keine Moschee zu betreten. Schulen wurden angewiesen, Kinder in den Klassenzimmern festzuhalten. Am Abend hob die Polizei die Abriegelung wieder auf. Während der Einsatz der Polizei hatte die Lokalregierung die Bevölkerung aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Das Zentrum von Christchurch wurde abgesperrt.
Des Mordes angeklagt
„Das ist einer der finstersten Tage Neuseelands“, meinte Premierministerin Jacinda Ardern in einer ersten Reaktion. Und sprach bald von einem „Terroranschlag“. Es sei offensichtlich, dass der Angriff „gut geplant“ gewesen sei. Nach kurzen Fahndungen verhaftete die Polizei vier Verdächtige – drei Männer und eine Frau. Ein Fahrzeug war offenbar von Beamten gerammt und der Insasse festgenommen worden. Zwei Autos seien mit Sprengladungen versehen gewesen. Diese seien durch die Armee entschärft worden. Ein Mann wurde am Abend des Mordes angeklagt.
Jacinda Ardern, Premierministerin von Neuseeland
Wie der australische Premierminister Scott Morrison am Abend (Ortszeit) erklärte, handelt es sich bei einem der mutmaßlichen Täter um einen 28-jährigen australischen Rechtsextremisten, der seit einiger Zeit in Neuseeland lebe. Der Mann hat im Internet offenbar nicht nur ein Video von seinen Taten hinterlassen, sondern auch ein 74-seitiges Manifest, in dem er seine politische Haltung klarmachte.
Die Polizei warnte auf Twitter vor „extrem erschreckenden Bildern“ aus einer der angegriffenen Moscheen. Im Video ist ein weißer, kurzhaariger Mann zu sehen, der bei einer der Moscheen vorfährt. Auf seinem Beifahrersitz liegen Waffen, aus dem Lautsprecher dröhnt ein nationalistisches serbisches Lied. Als er aussteigt, ist das Gesicht des Mannes zu sehen, er blickt bewusst in die Kamera. Dann betritt er die Moschee. Er zielt auf einzelne Personen und auf Gruppen von Menschen. Betreiber sozialer Netzwerke bemühten sich am Abend, das Video aus dem Internet zu entfernen.
Neuseeland hat kein Waffenregister
Wie australische Medien in der Nacht auf Samstag berichteten, soll es sich bei dem Hauptverdächtigen um einen Fitnesstrainer aus der Stadt Grafton nördlich von Sydney handeln. „Er war ein sehr engagierter Trainer“, zitiert der australische Fernsehsender ABC eine ehemalige Arbeitskollegin, habe Kindern sogar kostenlos Unterricht gegeben. Er sei durch Europa und Asien gereist und auch in Nordkorea gewesen. Der mutmaßliche Attentäter beschreibe sich selbst als „regulärer weißer Mann, der aus einer normalen Arbeiterfamilie mit niedrigem Einkommen stammt“, so ABC.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Untersuchungen von Polizei, Gerichten und Geheimdiensten werden in den kommenden Wochen und Monaten zutage bringen, wie es zum folgenschwersten Massaker in der jüngeren Geschichte Neuseelands kommen konnte. Der oder die Täter waren offenbar mit Hochleistungswaffen ausgerüstet. Eine mögliche Erklärung dafür: Neuseeländer sind begeisterte Jäger – Waffen haben Kultstatus.
Trotzdem ist der Erwerb nicht so einfach wie etwa in den Vereinigten Staaten. „Wie war es möglich, dass ein Mann, der nur ein paar Wochen im Land war, ein solches Gewehr erwerben konnte?“, fragte am Freitag der australische Terrorismusexperte Greg Barton. Neuseeland hat kein Waffenregister. In dem Land mit 4,8 Millionen Einwohnern befinden sich schätzungsweise eine Million Waffen.
50.000 Muslime leben in Neuseeland
Gegenstand der Untersuchungen wird auch sein, welche Rolle neuseeländische Nachrichtendienste und die Polizei gespielt haben. Obwohl die Gefahr terroristischer Bedrohung von Experten generell als gering eingeschätzt worden war, hätte die Vorbereitung der Attentate von den Behörden aufgedeckt werden müssen, so mehrere Kritiker in den Medien. Anscheinend gab es aber keinen Hinweis auf die Existenz ultrarechter Gruppierungen von substanzieller Größe.
Nur rund 50.000 Muslime leben in Neuseeland, sie machen etwa 1 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die größte Religion ist das Christentum. Wie die große Mehrheit der Einwanderer sind Muslime gut eingegliedert. Neuseeland gilt als vorbildliche multikulturelle Gesellschaft, größere Konflikte zwischen den Ethnien gibt es selten.
In den letzten Jahren richtete sich die Opposition aus gewissen Kreisen der Bevölkerung jedoch gegen asiatische Einwanderer, die Immobilien kaufen und damit die Preise für Wohneigentum und Mieten dramatisch in die Höhe getrieben hätten, so Kritiker. Die Regierung Ardern schränkte jüngst für Ausländer die Möglichkeiten ein, Immobilien zu kaufen.
„Kein isolierter Vorfall mit mysteriösem Hintergrund“
Im Verlauf des Tages kondolierten Persönlichkeiten aus aller Welt den Neuseeländern. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ über Twitter verlauten, sie „trauere mit den Neuseeländern um ihre Mitbürger, die friedlich betend in ihren Moscheen überfallen und aus rassistischem Hass ermordet wurden“. Auch Papst Franziskus und Länder wie die USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Indien, Israel und die Türkei verurteilten die Attacke und drückten Neuseeland ihre Solidarität aus.
Die Folgen der Anschläge zogen sich in der Nacht bis nach Australien. Dass es sich bei dem mutmaßlichen Haupttäter um einen Australier handeln könnte, sorgte für Aufruhr in den Medien und in der Bevölkerung. Ein Kritiker meinte, er habe die „gegen Einwanderer gerichtete Polemik der konservativen Regierung umgesetzt“. Der ultrarechte Politiker Fraser Anning reagierte auf die Nachricht mit der Frage, ob „irgendjemand noch den Zusammenhang zwischen muslimischer Immigration und Gewalt“ infrage stelle. Er wurde sowohl von Premierminister Scott Morrison als auch anderen Politikern für die Bemerkung verurteilt.
Die aus Pakistan stammende Grünen-Abgeordnete im australischen Parlament, Mehreen Faruqi, hingegen meinte, der Angriff sei „kein isolierter Vorfall mit mysteriösem Hintergrund“. „Das ist eine Folge des islamophoben, rassistischen Hasses“, der in Australien durch gewisse Politiker und Medien „normalisiert und legitimiert“ werde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“