Nach dem Mord in London: „England, England, EDL! EDL!“
Nach der Hinrichtung eines Soldaten in London versammeln sich in der Nähe des Tatorts afrikanische Muslime – und englische Rechtsextremisten.
LONDON taz | Vor der Kaserne in Woolwich haben ein paar Leute Blumen hingelegt. Eine Gruppe steht an der Kreuzung daneben. „Die haben den Mann geköpft“, erzählt Lee, ein 39-jähriger Elektriker, „und dann hat der Mörder auf die Polizei gewartet.“
In der Diskussion mit seinen Kumpels folgert Lee, dass der Mord eine Konsequenz der britischen Politik sei. „Wir Briten haben 100.000 Tote in Irak und Afghanistan zu verantworten. Entschuldige, aber hier starb nur ein Soldat. Was machen wir in diesen Ländern?“, fragt er.
Die Gruppe muslimischer Jugendlicher auf der anderen Seite der Kaserne, vor der S-Bahnstation Woolwich Arsenal, sieht das nicht so gelassen. Die Mörder waren Extremisten, sagt Abdul, ein Pharmaziestudent aus Somalia, und er hat Angst: Nun könnten er und seine Freunde auch Opfer werden, weil sie ebenso wie die Täter dunkelhäutig und Muslime sind. Einer seiner Freunde will nicht, dass Abdul mit der Presse spricht, und redet auf Somalisch auf ihn ein. Abdul beschwichtigt: Sein Freund sei voll nervös.
Auf einmal ertönt Geschrei vom anderen Ende des Woolwich Arsenal Platzes. „England, England“, oder eher „Ingerland“, wie es englische Fußballfans grölen. Dann folgen die Buchstaben „EDL! EDL!“ Das steht für „English Defence League“, eine ultrarechte Vereinigung.
Moschee unter Polizeischutz verlassen
Eine Gruppe von knapp 100 zum Teil mit Sturmhauben maskierten Leuten, viele mit weißen Sportschuhen, laufen direkt auf eine Gruppe Polizisten zu, manche davon haben Biere in einer Hand, als ob sie geradewegs aus dem Pub kämen. Es wird gebrüllt, Flaschen fliegen durch die Luft und einige EDL-Mitglieder wird von der Polizei eingekesselt.
Einer der EDL-Demonstranten ist James, 17, ein Holzhandwerker. „Das war inakzeptabel, was heute hier passiert ist“, sagt er. Er ist extra aus der Grafschaft Essex angereist, mindestens eine Dreiviertelstunde von hier entfernt. Jetzt regt er sich über die Polizei auf: „Die beschweren sich über uns, obwohl wir hier nur friedlich protestieren wollen.“
Ganz friedlich war es aber wohl nicht gewesen. Zuvor mussten einige Muslime unter Polizeischutz die lokale Moschee verlassen, während streitsüchtige EDL-Anhänger vor dem Gebäude herumstolzierten. In Kent und Essex, Hochburgen der Rechten, sollen zwei Moscheen angegriffen worden sein.
Der Gabelstaplerfahrer Frank, 42, hält die EDL-Demo für richtig. Es gebe hier seit Jahren ein Drogenproblem, um das sich keiner kümmere. Seiner Meinung nach gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und, wie er sagt, „fanatisierten Muslimen auf Crack.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht