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Nach dem Krieg um BergkarabachAus der Mitte der Gesellschaft

In Armenien erhalten die Fliehenden aus Bergkarabach Hilfe. NGOs sammeln Kleidung, Ak­ti­vis­t:in­nen suchen nach Wohnraum.

Eine Armenierin nach ihrer Ankunft in Kornidzor in der Region Syunik, 25. September 2023 Foto: Vasily Krestyaninov/ap

Berlin taz | Über 13.000 Menschen aus Bergkarabach haben in den vergangenen Tagen Armenien erreicht. Nach dem Angriff Aserbaidschans und der nur einen Tag später erfolgten Kapitulation der Truppen des armenisch besiedelten Gebietes beginnt nun der Exodus der Bergkarabach-Armenier in Richtung Armenien.

Dort ist die Solidarität groß. Das war schon 2020 so. Damals eroberte Aserbaidschan Teile der an Bergkarabach grenzenden Regionen, die seit Anfang der 1990er Jahre armenisch besetzt waren, zurück sowie Teile des Gebietes selbst.

Wir alle haben Freunde und Familie in Arzach

Shushana Sirakanyan

Damals sei die größte Unterstützung von den Menschen in Armenien gekommen, sagt Shushana Sirakanyan von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Armenien. Nun zeichnet sich ab, dass es wieder so kommen könnte: „Das liegt daran, dass die Zivilgesellschaft ihre Ressourcen nutzt und wir helfen wollen“, sagt Sirakanyan. „Wir alle haben Freunde und Familie in Arzach (armenischer Name des Gebiets, Anm. der Red.).“

Vor dem, was jetzt in Bergkarabach passiert ist, haben viele Ar­me­nie­r:in­nen und organisierte Gruppen seit über neun Monaten gewarnt. So lange blockierte Aserbaidschan den Latschin-Korridor, die Verbindungsstraße von Bergkarabach nach Armenien. Brot und Benzin wurden knapp, Hilfsorganisationen warnten vor einer humanitären Katastrophe.

Graphik von Bergkarabach Foto: taz

Zusammenarbeit von NGOs und Regierung

Seit Tagen sammeln verschiedene Organisationen und Einzelpersonen Lebensmittel und Kleidung. Eine Anlaufstelle in Jerewan ist die Wohltätigkeitsorganisation Armenian Food Bank. Nach eigenen Angaben haben sie in den vergangenen sechs Tagen 25 Tonnen an Hilfsgütern gesammelt – vor allem Nahrungsmittel und warme Kleidung. „Wir werden uns auf entlegene Dörfer und Städte fokussieren und die Menschen aus Arzach dort versorgen“, sagt Gründer Michel Avetikian. „Wir arbeiten mit der Regierung zusammen, um unsere Ressourcen gegenseitig zu ergänzen“, sagt er. Sogar über eine Lieferdienst-App können Ar­me­nie­r:in­nen an Armenian Food Bank spenden.

Es sind nicht nur die Armenier:innen, die sich in die Versorgung der Geflohenen einbringen wollen. In der armenischen Hauptstadt Jerewan sind auch Rus­s:in­nen aktiv, die seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, der im Februar 2022 begann, nach Armenien zogen.

Für die Organisation ethos sammeln seit April 2022 Freiwillige aus Russland, Armenien und der Ukraine Hilfsgüter für verschiedene Geflüchtete. In den letzten Tagen bereiten sie sich auf die Ankunft einer neuen Gruppe Geflohener vor. Laut eigenen Angaben haben sie über zwei Tonnen Nahrungsmittel gesammelt sowie 500 Decken und Kissen gekauft.

Die Solidarität in der Zivilgesellschaft beschränkt sich nicht nur auf Jerewan. In der zweitgrößten Stadt Gjumri, in Westarmenien, sammeln die Be­woh­ne­r:in­nen mithilfe der Kirche Hilfsgüter, wollen Wohnraum zur Verfügung stellen und den Geflohenen Arbeit geben. „Natürlich helfen wir uns gegenseitig, das steht überhaupt nicht zur Debatte“, berichtet eine engagierte Armenierin. Ihren Namen möchte sie aber nicht veröffentlicht sehen. Sie sagt auch, dass sie in der ersten Zeit, wenn Tausende Menschen in Armenien ankommen, Chaos befürchtet.

Auch Stressbewältigung und Gespräche sind wichtig

Die Regierung soll derweil Unterkünfte für 40.000 Menschen in der Grenzregion Syunik bereitgestellt haben. Laut Shushana Sirakanyan gibt es auch in der nördlichen Lori-Region Aktivist:innen, die Informationen über verfügbaren Wohnraum zusammentragen.

Unterstützung kann auch andere Formen annehmen: Ein Kunstraum in Jerewan bietet etwa Platz für Diskussionen, und ein veganes Restaurant veröffentlicht Anleitungen zur Meditation gegen Stress.

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