Nach dem Klima-Abkommen von Paris: Große Hoffnung, Kleingedrucktes
Umweltschützer, Delegierte und Diplomaten feierten bis in die Nacht. Das Pariser Abkommen wurde weltweit bejubelt. Wie geht es jetzt weiter?
Es war die wildeste Party, die es je auf einer Klimakonferenz gegeben hat: Vier Stunden nach dem Hammerschlag, mit dem der französische Außenminister Laurent Fabius das „Pariser Abkommen“ besiegelt hatte, tanzten am Morgen des 13. Dezember die Sieger im Nachtclub „Le Players“. Hunderte UmweltschützerInnen, Delegierte und Diplomaten lagen sich bei Bier und Beats in den Armen und feierten ihren Erfolg mit einer ohrenbetäubenden Karaoke-Version von „We are the Champions!“
Wirklich? Das wird sich zeigen. Denn das Abkommen von Paris ist bei aller historischen Bedeutung in entscheidenden Bereichen vage, es stellt großen Ambitionen kleine Instrumente zur Umsetzung gegenüber und verschiebt dringend nötige Entscheidungen in die Zukunft. Der Text drückt gleichzeitig aufs Gas und auf die Bremse und wird in den nächsten Jahren heftig umkämpft sein. Einige der wichtigsten Fragen, die sich jetzt stellen:
Wie geht es weiter? Das Pariser Abkommen liegt ab dem 22. April 2016 bei der UNO in New York zur Unterschrift aus. Das ist der internationale Umwelttag Earth Day. Ein Jahr lang haben die 195 Staaten Zeit, den Vertrag zu unterzeichnen, dann müssen sie ihn in nationales Recht umsetzen. Dafür ist Zeit bis 2020, wenn der Vertrag in Kraft tritt. Er wird gültig, wenn 55 Staaten ratifizieren, die zusammen mindestens 55 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen. Es reicht also nicht, wenn nur Afrika an Bord ist – aber auch China, die USA und die EU können nicht allein das Abkommen in Kraft setzen.
Retten 1,5 Grad die Welt? Tja. Beim jetzigen Trend der Emissionen sind wir fast schon da: Um 1 Grad ist die Temperatur seit 1850 gestiegen, ein weiteres halbes Grad ist durch die Gase in der Atmosphäre praktisch nicht mehr zu verhindern. Um bis 2100 die 1,5 Grad zu halten, müssten sofort radikale Schnitte bei den Emissionen gemacht werden. All das geht nach den Berechnungen des UN-Klimarats IPCC nur mit „negativen Emissionen“ – also CO2 aus der Luft binden und wegsperren.
Wie sähe das aus? Bisher steigen die weltweiten Emissionen pro Jahr um 2 Prozent. Für 1,5 Grad müssten sie ab sofort um etwa 5 Prozent sinken, schätzen Experten. Das hat es noch nie gegeben. Für „negative Emissionen“ braucht es ungeprüfte, teure und riskante Techniken, warnt Lili Fuhr, Klimaexpertin der Böll-Stiftung: Massive Aufforstung durch Plantagen, die nicht nachhaltig sind und die Landrechte von Einheimischen bedrohen können; Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS), eine bislang kaum erforschte und energiefressende Technik; oder das umstrittene und risikoreiche Climate-Engineering durch künstliche Wolken oder die Düngung von Ozeanen oder Wolken.
Was sagen die Inselstaaten? „Ich bin zum ersten Mal optimistisch“, meint Maria Tiimon Chi-Fang von der Delegation des Inselstaats Kiribati. Zum ersten Mal habe die Welt anerkannt, dass „die Rettung der Pazifikinseln auch heißt, den ganzen Planeten zu sichern“. Ihrem Volk bleibe nichts anderes als die Hoffnung, aber die sei gewachsen. „Für die Industriestaaten geht es beim Klimaschutz um Geld. Für uns geht es ums Überleben.“
Steht schneller Klimaschutz auf dem Programm? Schön wär’s. Das Pariser Abkommen basiert auf freiwilligen Plänen zum Klimaschutz, die erst ab 2020 gelten. Die müssen ab 2023 alle fünf Jahre ehrgeiziger werden. Aber die Zeit drängt, um vor 2020 einzugreifen. Darüber wollen die Staaten erst bei der nächsten Klimakonferenz beraten – in einem Jahr in Marrakesch. „Da wird sich zeigen, wie ernst die Staaten das Pariser Abkommen nehmen“, sagt Lutz Weischer von Germanwatch.
Wer trägt jetzt die Verantwortung? Grundsätzlich alle, das ist das Neue am Vertrag. Aber je nach Klimaschuld und Wirtschaftskraft differenziert. Beim Klimaschutz sollen die Industriestaaten weiter vorangehen und den anderen helfen. Messung von Emissionen und Überprüfung der Klimaaktionen sollen durch ein einheitliches System erfolgen, in dem die armen Länder aber zuerst mehr Freiheiten haben.
Und wer zahlt? Erst mal weiter die Industriestaaten: Ab 2020 insgesamt 100 Milliarden Dollar jährlich in Entwicklungshilfe, Krediten und privaten Investitionen. Dann soll bis 2025 über eine neue Zahl verhandelt werden. Alles über 100 Milliarden könnten sich die Industriestaaten und die reichen Schwellenländer wie Katar oder Singapur teilen. Das könnte noch eine Menge Ärger machen. Allerdings: Im Abkommen steht, dass „Finanzflüsse mit einem Pfad zu niedrigen Treibhausgasemissionen in Einklang gebracht“ werden sollen. Klimaschützer, die Investitionen in Kohle und Öl verhindern wollen, jubeln: So würden „die Billionen umgeleitet“.
Wie reagieren die Märkte? Erst einmal positiv: Die Aktien von europäischen Wind- und Solarfirmen kletterten am Montag nach Paris um zwischen 2 und 10 Prozent. Die Investment-Bank Goldman-Sachs sieht weiteres Wachstum für den weltweiten „low carbon“-Markt, der weltweit über 600 Milliarden Dollar schwer ist. Andere Investoren warnen: Was passiert, wenn nächstes Jahr ein klimaskeptischer Republikaner US-Präsident wird?
Ist die Kohle die Verliererin von Paris? Zumindest wütet der Chef des Unternehmensverbandes Euracoal, seine Branche werde in Zukunft „gehasst wie Sklavenhändler“. Die internationale Energieagentur IEA sieht den weltweiten Kohleboom zum ersten Mal gebrochen. Sie sagt voraus, der Kohleverbrauch werde demnächst nicht mehr steigen. Die Gründe: Die Umstellung der Wirtschaft in China – und das Abkommen von Paris. Jedes Jahr bleibe der Umwelt die Verbrennung von 500 Millionen Tonnen Kohle erspart.
Was sonst ist positiv am Abkommen? An dem Beschluss von Paris müssen sich alle Staaten messen lassen. Unter dem UN-Dach wird über Entschädigung für Klimaopfer geredet, das gab es so noch nicht. Fast jedes Land außer gescheiterten Staaten wie Nordkorea, Syrien oder Libyen legt eine Art von Klimaplan vor, bei vielen wird das Thema erstmals akut. Das hat auch schon vor Paris eine Dynamik in Gang gesetzt, die die starren Fronten zwischen Nord und Süd aufbricht. So hat Brasilien etwa die Klimapläne von Katar und Singapur als „völlig unzureichend“ bezeichnet, mit denen es eigentlich zusammen in der G-77-Gruppe verhandelt. Und wenn auch kleine Staaten wie Kolumbien oder Vietnam in den Grünen Klimafonds einzahlen, steigt der politische Druck auf reiche Ölländer, sich ebenfalls zu engagieren.
Wo lauert Ärger? Das Papier birgt einige Bomben: So gibt es keinen Zeitplan für die Debatte um Schadenersatz für Klimaopfer, wohl aber einen Haftungsausschluss für die Industrieländer. Das kann für Krawall sorgen. Ebenso wie der Begriff der „Klimagerechtigkeit“ in der Präambel, an dem sich der alte Nord-Süd-Streit über die Verantwortung entzünden kann. Und Saudi-Arabien bekam seinen Passus zu „response measures“: eine Debatte, die darauf hinausläuft, Öl- und Kohleländer zu entschädigen, wenn sie ihre Rohstoffe im Boden lassen. Da werden die Fetzen fliegen.
Können sich Flugzeuge und Schiffe weiter drücken? Vordergründig ja – die Emissionen aus Luftverkehr und Seefahrt werden nicht einzelnen Staaten zugeordnet; wie bisher ist niemand für sie verantwortlich. Aber Klimaschützer und fortschrittliche Staaten argumentieren: Da es jetzt ein Langfristziel für „menschengemachte Emissionen“ gibt, fallen auch die Klimaschulden von Flugzeugen und Schiffen darunter. Manche sehen einen „deutlichen Handlungsauftrag“ an die zuständigen UN-Organisationen ICAO und IMO.
Wie sind die Staaten verpflichtet? Das Abkommen ist völkerrechtlich bindend. Aber Details und Finanzierungsfragen stehen in einer eigenen „Entscheidung“ der Konferenz, die beim Treffen 2016 verändert werden könnte. Es gibt keinen Sanktionsmechanismus wie bei der Welthandelsorganisation WTO. Wer austreten will, kann das innerhalb eines Jahres tun.
Alles nur heiße Luft? Der Schaden für ein Land, den Vertrag mit allen anderen Staaten zu kündigen, wäre groß. Es hätte keine Mitsprache bei politischen und technologischen Entscheidungen, keinen Zugang zu grünen Finanzströmen oder den Marktmechanismen. Russland und die Ukraine haben das erfahren, als sie das Kioto-Protokoll verließen und ihre überschüssigen Emissionen nicht mehr versilbern konnten. Auswirkungen auf Handel und diplomatische Beziehungen sind nicht ausgeschlossen. Als Klima-Schmuddelkind dazustehen ist schlecht fürs Bonitätsranking. Der Finanzsektor überprüft daraufhin gerade die Firmen. Auch klimariskante Staatsanleihen könnten ein Problem bekommen.
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