Nach dem Attentat auf linke Brasilianerin: Wurde nun ein Zeuge ermordet?

In Rio wird der Mitarbeiter eines rechten Stadtrats getötet. Womöglich, weil er zu viel wusste über den Mord an der linken Politikerin Marielle Franco.

Menschen tragen ein Transparent durch die Straße

„Marielle lebt“: Protestzug gegen die Ermordung der linken Stadtverordneten Marielle Franco in Rio Foto: ap

RIO DE JANEIRO taz | Rätsel um einen neuen Mordfall in Rio de Janeiro: Carlos Alexandre Pereira wurde am Sonntagabend im Westteil der Stadt in einem Auto mit mehreren Schüssen getötet. Er war informeller Mitarbeiter des Stadtverordneten Marcello Siciliano, der vor Kurzem im Mordfall der Menschenrechtlerin und Abgeordneten Marielle Franco als Zeuge verhört wurde.

Jetzt wird darüber spekuliert, inwiefern die beiden Mordfälle zusammenhängen. Die Ermittlungen zum Mord an Marielle Franco, der Mitte März in ganz Brasilien Entsetzen auslöste, kommen bislang nicht voran.

Siciliano von der rechten Splitterpartei PHS war politischer Widersacher von Marielle Franco und steht seit Langem im Verdacht, Verbindungen zu den in Rio aktiven Milizen zu haben. Dabei handelt es sich um paramilitärische Gruppen, die aus ehemaligen Polizisten, aktiven Feuerwehrleuten und anderen Bewaffneten bestehen und im eigenen Auftrag gegen Drogengangs vorgehen und ganze Stadtviertel mit Mafiamethoden schikanieren.

Auch Pereira wird nachgesagt, mit Milizionären zusammenzuarbeiten. Im Fall Marielle Franco zählen die Milizen zu den Hauptverdächtigen. Mehrfach kritisierte sie das Vorgehen von Milizen und die Gewaltorgien von Polizisten bei Einsätzen in Armenvierteln.

„Wir müssen ihn zum Schweigen bringen!“

Laut Zeugenaussagen riefen Pereiras Mörder „wir müssen ihn zum Schweigen bringen“, bevor sie abdrückten. Laut Zeitungsberichten weist dies und der Kontext des Mords darauf hin, dass ein potenzieller Zeuge ausgeschaltet wurde, weil er zu viel wusste.

Siciliano schweigt zu diesen Spekulationen. Er bedauerte den Tod von Pereira, den er als beliebten Aktivisten in seinem Stadtteil bezeichnete. Kürzlich bezeichnete er Marielle Franco als „große Freundin“ und bedauerte ihren Tod.

In Rio nimmt derweil die Kritik an den schleppend verlaufenden Ermittlungen zu. Das Vertrauen in die Polizei ist auch im Fall Marielle äußerst gering. Statistisch gesehen tötet die Polizei jeden Tag drei Menschen, zumeist bei Auseinandersetzungen in Armenvierteln.

Aufsehen erregte die Erstürmung einer Party im Vorort Santa Cruz am Samstag. Über 150 Personen, denen Kontakt zu Milizen vorgeworfen wird, wurden festgenommen. Gefunden wurden auch die Papiere von zwei Polizisten, die jetzt im Verdacht stehen, einem flüchtigen Milizenboss als Bodyguards zu dienen. Zudem sind Presseberichten zufolge drei Armeeangehörige unter den Festgenommenen.

Mit den Milizen, die sich in den letzten zehn Jahren immer schneller ausbreiteten, droht die Sicherheitslage in Rio de Janeiro endgültig aus den Fugen zu geraten. Da sie eng mit Polizei und einflussreichen Lokalpolitikern verquickt sind, agieren sie zumeist ungestraft. Marcelo Freixo, Zweitplatzierter in der letzten Bürgermeisterwahl und Parteikollege von Marielle in der linken PSOL, wurde aufgrund seiner Untersuchungen zur Macht von Milizen innerhalb des Establishments mehrfach bedroht.

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