Nach Sturm auf israelische Botschaft: Ausnahmezustand in Kairo
Nach dem Angriff auf die israelische Botschaft in Kairo gehen die Demonstrationen weiter. Die Regierung schränkt das Demonstrationsrecht ein.
KAIRO taz | Die ägyptische Militärregierung hat nach der Erstürmung der israelischen Botschaft am Freitag das Notstandsgesetz in vollem Umfang wieder in Kraft gesetzt und ein hartes Vorgehen gegen die Beteiligten angekündigt.
Mehrere tausend DemonstrantInnen hatten am Freitag die Botschaft attackiert, Militär und Polizei erst nach Stunden eingegriffen. Bei anschließenden Straßenschlachten kamen mindestens 3 Menschen ums Leben. Zunächst hatten am Freitag mehrere zehntausend Menschen friedlich auf dem Tahrirplatz in Kairo und in vielen anderen Städten des Landes demonstriert. Sie forderten einen Zeitplan für Wahlen und die Übergabe der Macht vom Militär an eine zivile Regierung.
Zu den Demonstrationen aufgerufen hatten die Jugend- und Protestbewegungen - islamistische Gruppen lehnten eine Teilnahme ab. Am späten Freitagnachmittag zogen dann rund 3.000 der DemonstrantInnen vom Tahrirplatz zur israelischen Botschaft. Mit mitgebrachten Hämmern und Eisenstangen zerschlugen sie in rund drei Stunden die drei Meter hohe Mauer vor dem 20-stöckigen Gebäude, in dem sich die Botschaft befindet. Die Mauer war nach Protesten vor der Botschaft in der Woche zuvor errichtet worden.
Während diese symbolische Aktion geplant und im Internet angekündigt wurde, ist unklar, wer die vier jungen Männer waren, die zeitgleich an der Außenfassade des Botschaftsgebäudes hochkletterten. Ungeklärt ist auch, warum das anwesende Militär sie nicht stoppte. Im 18. Stockwerk angekommen, verbrannten sie die israelische Flagge, legten Feuer im Gebäude und begannen Dokumente aus den Fenstern zu werfen, die sie im Botschaftsarchiv fanden. Offenbar drang zudem eine Gruppe von rund 30 Leuten über den Haupteingang ins Gebäude ein.
Sechs israelische Staatsbürger evakuiert
Auch wenn die jungen Protestierenden einheitlich eine weniger unterwürfige Israelpolitik von Ägypten fordern, war und ist das Eindringen in die Botschaft unter den Aktivisten umstritten. Während ein Teil der Protestierenden den Platz verließ, trafen mehr Leute vor der Botschaft ein, die den "Triumph" teils euphorisch feierten.
Die Demonstranten tanzten, hebräisch beschriebene Papiere in der Hand, auf den Panzern der Armee. Erst am späten Abend, rund sieben Stunden nach Beginn der Aktion, griff zunächst die Polizei, dann das Militär ein. Soldaten evakuierten sechs israelische Staatsbürger.
Straßenschlachten brachen aus, die sich bald zum nahen Polizeiquartier Giza verlagerten. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein, das Militär schoss später scharf in die Menge. DemonstrantInnen warfen Steine und Molotowcocktails, das Polizeihauptquartier geriet in Brand, ebenso ein Teil des Zoos und der saudischen Botschaft.
Sturm auf das Innenministerium gescheitert
Früher am Nachmittag hatte es bereits einen versuchten Sturm auf das Innenministerium gegeben, auch dort war Feuer ausgebrochen. Gegen 6 Uhr morgens beruhigte sich die Lage. Drei Menschen starben laut Gesundheitsministerium bei den Auseinandersetzungen, 1.049 wurden verletzt. Am Sonntag sammelten sich erneut Gruppen von Demonstranten nahe der Botschaft, zwei ausländische Reporter wurden beschuldigt, "israelische Spione" zu sein, und angegriffen.
Während ein Teil der bekannten Blogger und Aktivisten die Aktion stolz als Ausdruck neuen ägyptischen Selbstbewusstseins und als "Internationalisierung der Tahrir-Revolution" feiert, kritisieren andere den Angriff auf die Botschaft als "Dummheit", "emotionalen Scheiß" oder als fatale Ablenkung von Problemen im Land.
Zahlreiche Protestierende wunderten sich zudem über das Verhalten des Militärs, das die Stürmung der Botschaft über Stunden hinweg mit angesehen hat, und äußern die Vermutung, dass da "etwas faul" sei. Die islamistischen Gruppen äußerten sich positiv zum Angriff auf die Botschaft, verurteilten aber Gewalt gegen andere Gebäude und gegen Polizei und Militär. Salafisten sammelten sich am Samstag vor dem Polizeiquartier in Giza, um es vor weiteren Angriffen zu schützen.
Ausnahmezustand in vollem Umfang
In einer am Samstag veröffentlichten Erklärung führte die Regierung die Vorfälle am Freitag auf die allgemein prekäre Sicherheitslage zurück. Der Ausnahmezustand soll wieder in vollem Umfang gelten. Damit sind unbegründete Verhaftungen möglich, Demonstrationen müssen genehmigt werden. Bereits Freitagabend hatte die Regierung die Polizei in Alarm versetzt und alle Polizisten aus dem Urlaub zurückgerufen.
Das lang erwartete Verhör von Armeechef Hussein Tantawi im Mubarak-Prozess, das an diesem Sonntag stattfinden sollte, ist unter Verweis auf die Sicherheitslage auf den 24. September verschoben worden. Am Sonntagnachmittag ließ die Regierung 16 internationale TV-Stationen durchsuchen und schloss das Büro von al-Dschasira Ägypten. Die Sendeanlagen wurden beschlagnahmt, ein Mitarbeiter verhaftet.
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