Nach Protesten gegen Robert Habeck: Bauer spielt Sau
Im Kieler Landtag versuchen sich die Abgeordneten an einer ersten Aufarbeitung der Bauernproteste am Fähranleger in Schlüttsiel.
Bislang steht für die Staatsanwaltschaft als Ablauf fest, dass sich nach der Nachricht in sozialen Medien, Habeck lade zu einem „Bürgerdialog“ ein, Traktoren in Bewegung setzen. Der Bürgermeister einer Gemeinde vor Ort alarmierte die Polizei, die sofort reagierte und sieben Streifenwagen – mehr waren im dünn besiedelten Nordfriesland nicht in der Nähe – losschickte.
Insgesamt erreichten 20 Beamt:innen den Hafen, bevor die Demonstrierenden eintrafen und mit rund 70 Traktoren und Lastwagen die Straßen versperrten. Der „überwiegende Teil“ der Demonstrierenden verhielt sich friedlich, rund zehn Prozent seien „emotional und verbal aggressiv“ gewesen, sagte die Leitende Staatsanwältin Stephanie Gropp. Habeck sei aufgefordert worden, an Land zu kommen oder an der Reling zu sprechen, dies lehnte der Sicherheitsdienst des Ministers aber ab. Es gab „Geschrei und Sirenengeheul“ und die Drohung, man „komme an Bord, wenn der Habeck nicht käme“.
Nachdem einige weitere Fahrgäste, die mit auf der Fähre waren, von Bord gehen durften, legte das Boot mit der Ministerfamilie wieder ab, während die Menge in Richtung Anleger drängte. Auf dem Deich wurde Pyrotechnik abgebrannt, allerdings nicht auf die Fähre geschossen. „Der Vorfall ist unter keinen Umständen zu akzeptieren“, betonte Gropp.
Staatsanwältin bleibt beim „Anfangsverdacht“
Dennoch müsse geschaut werden, welche einzelnen strafbaren Handlungen es gegeben habe. Da die rund 20 Polizist:innen, die zwischen der Menge und der Fähre standen, keine Personalien aufnehmen konnten – wegen ihrer Unterzahl und weil sie eine Eskalation der Lage befürchteten –, müssen die Beteiligten nun durch Videos und Aussagen von Zeug:innen festgestellt werden. Das sei nicht einfach, denn „alle trugen Schals, Mantel und Mützen“.
Bernd Buchholz (FDP) reichte diese Formulierung nicht aus, er wollte die „klare Aussage, dass es Straftaten sind: Wenn auf der Straße eine Leiche liegt, braucht es auch keine langen Ermittlungen, um die Straftat zu erkennen.“ Es gehe nicht an, dass Menschen – der Minister, aber auch Unbeteiligte – gehindert würden, eine Fähre zu verlassen: „Hier muss der Rechtsstaat durchgesetzt werden.“ Der Oppositionspolitiker erhielt Unterstützung von Jan Kürschner, dem Ausschussvorsitzenden und Abgeordneten der Grünen, die als Juniorpartner mit der CDU regieren: „Man sieht deutlich Straftaten.“
Doch die Staatsanwältin blieb bei der juristischen Wortwahl: Mehr als den „Anfangsverdacht“ wollte sie nicht bestätigen. Es sei abzuwägen, was durch das Recht auf Demonstration und Meinungsfreiheit abgedeckt sei. „Wir müssen das sauber zu Ende ermitteln, lapidare Beschuldigungen helfen nicht weiter“, so Gropp.
Abgeordnete der CDU verwiesen darauf, dass einige Personen, die dem Aufruf an den Hafen gefolgt waren, möglicherweise davon ausgegangen seien, es gebe wirklich einen Bürgerdialog. Bina Braun (Grüne) wies das zurück: „Ich denke, da brauchen wir uns keine Illusionen machen“, sagte sie. Niemand könne nach dem Ton der Social-Media-Nachrichten geglaubt haben, es handele sich um eine Einladung des Ministers. Auch warum die Menge in Richtung Anleger gedrängt habe, sei klar: „Das „Gebrüll,Wir wollen auf die Fähre' ist ziemlich eindeutig“, so Braun.
Dennoch machte sich Heiner Rickers (CDU) Gedanken um Landwirt:innen, die vielleicht in gutem Glauben an Protestveranstaltungen teilnahmen. „Wie sollen sie erkennen, ob es eine angemeldete Veranstaltung ist oder wer da mitmarschiert?“, fragte er im Ausschuss.
Für Jan Kürschner war das ziemlich deutlich: „Wenn da Galgen oder die Fahne des antisemitischen Landvolks gezeigt wird, geht man nicht mit“, sagte der Ausschussvorsitzende. Er wandte sich auch an die Bauernverbände: „Die Signalwirkung ist wichtig. Die Verbände haben sich später distanziert, das ist zu begrüßen.“ Dennoch sei klar: „Wer zu „Protesten aufruft, wie sie das Land nie gesehen hat, muss sich nicht wundern, wenn jemand wilde Sau spielt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich