Nach Präsidentschaftswahl in Iran: Immense Probleme, kaum Macht
Um Irans Wirtschaft voranzubringen, wäre ein Kampf gegen Korruption nötig. Doch der Einfluss des Präsidenten ist in der Islamischen Republik gering.
D er überraschende Sieg des vermeintlich moderaten Massud Peseschkian bei den Präsidentschaftswahlen in Iran gibt Anlass zu Spekulationen. Bereits seine Zulassung als Kandidat deutete darauf hin, dass Revolutionsführer Ali Chamenei und der harte Kern des Machtapparats befürchteten, ohne Hinzunahme eines moderaten Kandidaten werde die Wahlbeteiligung noch geringer ausfallen als bei den letzten Parlamentswahlen. Sie lag nach offiziellen Angaben bei 42 Prozent.
ist Journalist und Autor zahlreicher Bücher. Im Dezember erschien: „Der mühsame Weg in die Freiheit – Iran zwischen Gottesstaat und Republik“.
Die Katastrophe blieb dennoch nicht aus. Selbst wenn man den zweifelhaften Angaben des Innenministeriums in Teheran Glauben schenken würde, gingen beim ersten Wahlgang nur knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen. In der Geschichte der Islamischen Republik ist das ein historisches Tief und für die Staatsführung eine beschämende Schlappe. Ob dieses Desaster für die Machthaber ausreicht, um endlich einzusehen, dass ihr Regime keine Legitimation mehr hat?
Und hat die Staatsführung tatsächlich die Rufe der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit nach grundlegenden Veränderungen, nach einem anderen Staat, endlich vernommen und daher den Weg für einen moderaten Präsidenten freigemacht? Die Wähler haben durch den Wahlboykott ihrem Unmut Luft gemacht. Die andauernde und sich vertiefende ökonomische Krise, die immer mehr Menschen in die Armut treibt, und die Zunahme der Repressionen haben das Leben für Millionen Bewohnerinnen und Bewohner unerträglich gemacht.
Das Regime regierte auf jede Kritik und jeden Widerstand stets mit brutaler Gewalt. Wie oft sind die Menschen, hoffend auf grundlegende Reformen, geduldig zu den Wahlurnen gegangen. Ihre Rufe nach Freiheit und Mitbestimmung stießen auf taube Ohren. Die Herrscher waren nie bereit, den Bedürfnissen und Nöten der Bevölkerung entgegenzukommen. Sie beharrten hartnäckig auf die Fortsetzung der ideologisch verbrämten und religiös getarnten Irrwege.
Zwei gegensätzliche Kulturen
Damit haben sie sich vom eigenen Volk weit entfernt. Sie sind zu Fremden im eigenen Land geworden. Längst geht es nicht mehr um einzelne Forderungen. In Iran prallen zwei Kulturen, zwei einander entgegengesetzte Lebensauffassungen aufeinander. Hier eine Zivilgesellschaft, die nach Freiheit, Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit strebt. Dort eine traditionell und fundamentalistisch-islamisch geprägte Herrschaft, die den Menschen gemäß der eigenen moralisch-ethischen Vorstellung vorschreiben will, wie sie zu leben und denken haben.
Dass Peseschkian als Sieger hervorging, lässt die sanfte Hoffnung zu, dass die Machthaber umdenken. Welche Konsequenzen wird die Wahl haben? Und ist Peseschkian in der Lage, grundlegende Reformen in der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik durchzusetzen? Er selbst hat bislang kein konkretes Programm vorgelegt und will sich erklärtermaßen nach den Anweisungen des Revolutionsführers richten. Ohnehin ist der Spielraum des Präsidenten gemäß der Verfassung überschaubar.
Zwar macht es einen Unterschied, ob ein Präsident zu den radikalen Islamisten gehört oder zu den moderaten Reformern. Der Unterschied liegt aber nur in der Art und Weise der Umsetzung der Anweisungen, die von der Machtzentrale, das heißt dem Stab des Revolutionsführers kommen. Sollte also der Revolutionsführer meinen, es gehe nur darum, mit einem „moderaten“ Präsidenten und einigen oberflächlichen Maßnahmen das Volk vorübergehend beruhigen zu können, wird Peseschkian genauso scheitern wie seine moderaten Vorgänger Mohammad Chatami und Hassan Rohani.
Und selbst wenn der Revolutionsführer und seine Berater zu der Ansicht gelangt sein sollten, dem neuen Präsidenten grünes Licht für Reformen zu geben, stellt sich die Frage, ob sich der seit über 40 Jahren in Iran herrschende Gottesstaat überhaupt noch reformieren lässt. Immerhin ist Peseschkian, soweit man weiß, nicht korrupt, eine Eigenschaft, die unter den iranischen Politikern selten ist.
Kaum ein Wille zur Reform
Die neue Regierung müsste sich zunächst um die katastrophale Lage der Wirtschaft kümmern, die Zahl der Arbeitslosen drastisch reduzieren und die hohe Inflationsrate dämpfen. Das wäre nur möglich, wenn sie rigoros gegen die Korruption vorgehen würde, die sich wie ein Krebsgeschwür in der gesamten Verwaltung, in privaten und öffentlichen Institutionen verbreitet hat.
Sie müsste das Monopol vor allem der religiösen Stiftungen, die keine Steuern zahlen, brechen, und noch wichtiger: die Revolutionswächter, die inzwischen die weitaus größte Wirtschaftsmacht des Landes bilden, aus der Wirtschaft verbannen und in die Kasernen zurückschicken, wo sie hingehören. Nicht weniger entscheidend für die Wirtschaft des Landes sind die internationalen Sanktionen.
Hier Erleichterungen zu bewirken, setzt intensivierte diplomatische Anstrengungen voraus und die überzeugende Absage der Islamischen Republik an ihre ideologisch orientierte Außenpolitik. Dabei geht es vor allem um die Front gegen den Westen und gegen Israel. Milliarden Dollar fließen jährlich in die Finanzierung paramilitärischer Organisationen. Nicht zuletzt müsste Teheran das Atomprogramm und die Urananreicherung merklich zurückzufahren und glaubhaft versichern, keine Nuklearwaffen zu produzieren.
Innenpolitisch müsste die neue Regierung die rigorose Zensur aufheben und die Freiheit der Presse, der Meinungsäußerung und der Versammlung, der Kunst und Kultur gewährleisten. Freie Gewerkschaften, Parteien und Verbände müssten zugelassen, die Benachteiligung von Frauen und die Kleidungsvorschriften aufgehoben, Folter und Hinrichtungen strikt verboten und die politischen Gefangenen freigelassen werden.
Jede dieser Maßnahmen ist ein Ast, auf dem die Machthaber sitzen. Diese Äste abzusägen, würde das Ende der Islamischen Republik bedeuten.
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