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Nach Präsidentenwechsel in Sri LankaBröckelnde Glasfassaden

Sri Lankas Protestbewegung ist geschwächt, jeden Tag werden weitere Mit­strei­te­r:in­nen festgenommen. Derweil spitzt sich die Krise weiter zu.

Gärtnern am Rande des Protestcamps in Sri Lankas Hauptstadt Colombo Foto: Acharya Shunya

Colombo taz | Die schwarzen Transparente wurden entfernt. Der öffentliche Lesesaal im ehemals besetzten Büro des Präsidenten von Sri Lanka ist geräumt. Es ist ruhiger geworden auf der Strandpromenade Galle Face Green in der Hauptstadt Colombo, dem Zentrum des Widerstands gegen die amtierende Regierung. Doch mit jedem Tag wird die Liste der Verhafteten länger. Darauf finden sich jene, die an vorderster Front einen Systemwechsel fordern.

Unter ihnen ist zum Beispiel der 31-jährige Absolvent der Betriebswirtschaftslehre Dhaniz Ali. Vergangene Woche wurde er, der sogar im Fernsehen über die Forderungen gesprochen hatte, aus einem Flugzeug geholt und unter Widerstand abtransportiert. „Wir haben die Überzeugung, dieses Regime zu ändern“, sagte er der taz, bevor er in Gewahrsam genommen wurde.

Er und seine Mit­strei­te­r:in­nen wollen raus aus der Vetternwirtschaft, den massiven Schulden, die den Inselstaat zu erdrücken drohen. Viele der Protestierenden stehen der Aragalaya-Bewegung nahe, was auf Singhalesisch „Kampf“ bedeutet. Ihr Symbol ist eine geballte Faust. Trotz Niederlagen sehen sie die Krise als Chance für Reformen, damit die politische Macht nicht länger in den Händen des Präsidenten konzentriert ist.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, gerade weil das Präsidentenamt so mächtig ist. Staatsoberhaupt, Regierungschef und De-facto-Verteidigungsminister sind in einer Position vereint, die auch den Premier ernennt – und das will Aragalaya langfristig ändern. Sie sind nicht die Einzigen, die Verfassungsreformen fordern.

Auch der neue Präsident soll gehen

Doch dafür müsse erst die politische Elite abtreten, das sind die ersten Punkte ihres Aktionsplans. Das erste Ziel war dabei die Amtsniederlegung von Präsident Gotabaya Rajapaksa, 73, der vor zwei Wochen nach Singapur floh. „Wir wollen nicht nur, dass Gota geht. Wir wollen auch, dass Ranil geht“, sagte Ali der taz. Damit gemeint ist der neue Übergangspräsident, der von Gotabaya vorgeschlagen wurde.

Vor seiner Festnahme lebte Dhaniz Ali in einem der Zelte im größten Protestlager der Insel, das sich seit April am prominenten Küstenstreifen Galle Face Green niedergelassen hat. „Gota Go Gama“ so nennt sich das Hauptlager, das sich ein paar hundert Meter vom Präsidialbüro entfernt befindet. Dahinter türmen sich Luxusbauten. Angelehnt ist der Name des Zeltdorfs an den mittlerweile geflüchteten Ex-Präsidenten Gotabaya Rajapaksa. Viele geben seiner Regierung Mitschuld an der wirtschaftlichen Misere.

Dem Populisten gelang es, mit seiner Familie nach den traumatisierenden Anschlägen von Ostern 2019 in Sri Lanka wieder an die Macht zu kommen. Unter der Führung seiner buddhistisch-nationalistischen Volksfront SLPP wurden erst Steuergeschenke gemacht, dann die Einfuhr von Kunstdünger gestoppt. Denn dem Staat gingen durch den eingebrochenen Tourismus zunehmend die Devisen aus. Um den Wechselkurs eine Zeitlang künstlich niedrig zu halten, wurde Geld gedruckt.

In der Zwischenzeit ist die Inflation auf 60 Prozent gestiegen. Längst wurde Sri Lanka von internationalen Ratingagenturen in seiner Kreditwürdigkeit herabgestuft. Die Ex-Kolonie hatte im April bekannt gegeben, dass das Land seine Auslandsschulden in Höhe von 51 Milliarden Euro erst mal nicht mehr abstottern kann.

Viel Importware gibt es in den Läden nicht mehr

Tägliche Stromausfälle sind seitdem zur Regel geworden. Das gesellschaftliche Leben ist durch den Mangel an Benzin, Gas und Strom gelähmt. Die Straßen sind wenig befahren. Die vielen bunten Autorikschas stehen in langen Schlangen vor Tankstellen geparkt.

Der Bevölkerung fehlt es neben Sprit und Kochgas an speziellen Medikamenten und Lebensmitteln, die noch bezahlbar sind. Reis in den Geschäften kommt immer öfter aus Indien, ebenso der Treibstoff.

Noch gibt es Waren in den Regalen der Geschäfte. Vieles wird aber nicht mehr importiert, sagt einer der Verkäufer im Einkaufszentrum „One Galle Face“. Durch die Inflation sei so manches an Computerzubehör einfach zu teuer geworden, viel hat er nicht mehr in seinem Laden anzubieten. Es sind vor allem Ausstellungsstücke. Wie lange er die Türen des Geschäftes noch öffnet, weiß er nicht. Der Handyladen gegenüber sowie der Sportladen nebenan hätten auch kaum mehr Ware, sagt er.

Der siebenstöckige Konsumtempel, inklusive Luxushotel und Residences, in dem sich die Geschäfte befinden, ist zur Fototapete des Protests geworden. Vor der Glasfassade wehen die Nationalflaggen des Zeltdorfs „Go Gota Gama“.

Kein Vertrauen in die Politiker

Auf vielen Transparenten und Schildern wurde der Name Gota (kurz für Gotabaya) durch Ranil ersetzt. Seitdem Ranil Wickremesinghe im Mai erst Premier und kürzlich vom Parlament zum Präsidenten gewählt wurde, kam es zu Ausschreitungen: Sicherheitskräfte griffen Demonstranten an und zerstörten die Zelte in der Nähe des zuvor besetzten Präsidialbüros, welches die Ak­ti­vis­ti­n:­in­nen am gleichen Tag räumen wollten.

„Wir fühlen uns nicht von den gierigen und egoistischen Politikern vertreten, die Ranil zum Präsidenten gewählt haben“, sagt die Aktivistin Vraîe Balthazaar, die sich der größten linken Partei JVP angeschlossen hat. Sie hat die ersten 50 Tage am Strand übernachtet und pendelt nun. Gerade für Frauen, die beispielsweise in der Textilindus­trie arbeiten, sind es besonders harte Zeiten, sagt die 37-Jährige. „Schwangere, junge Mütter und Kinder leiden unter Unterernährung“, sagt sie. Dazu kommen psychische Probleme. Sie führt den Kampf auch für jene, die es sich nicht leisten können, von den Fabriken oder Teeplantagen fernzubleiben.

Wickremesinghe fehlte es auch vor den Repressionen an öffentlicher Unterstützung. Seine Partei UNP hat nach einer Abspaltung nur noch einen einzigen Abgeordneten im Parlament, das über 250 Sitze innehat. Und Protestierende wie Balthazaar sehen den 73-jährigen Altpolitiker als Verbündeten der Familie Rajapaksa, der sie vor Verfolgung schützt.

Dass Wickremesinghe und die Demonstrierenden es schwer haben werden, sich anzunähern, ist offenkundig. Nachdem ein Mob vor drei Wochen sein Privathaus niederbrannte, der Präsident untertauchte und Regierungsgebäude besetzt wurden, bezeichnete Wickremesinghe Teile der Protestierenden als Faschisten.

Parteiübergreifende Regierung ist kaum realistisch

Die weitgehend friedliche Aragalaya-Bewegung wird dagegen von Gewerkschaften, aber auch religiösen Amtsträgern unterstützt, die zum Teil jetzt ebenfalls auf der Fahndungsliste stehen. „Die Regierung nutzt jede Taktik, um Menschen zu unterdrücken, die sich aktiv an dem Aufstand beteiligt“, sagte der buddhistische Mönch Gna­nan­da Thero.

Der 34-Jährige ist erkennbar an seiner weinroten Robe und einem Aufkleber auf der Wange. Spielt nicht mit uns, ist seine Botschaft. Die Menschen in diesem Land machen die schwerste Zeit ihres Lebens durch, sagt er der taz. Deshalb will er den häufigen kleinen Kundgebungen wie an diesem Wochenende nicht fernbleiben.

„Unter der Rajapaksa-Regierung und auch unter Ranil wurden Religion und Ethnie benutzt, um Stimmen zu gewinnen“, sagt Thero. Das habe zu Spannungen im Land geführt. Die egoistischen Machthaber sollten sich aus der Politik zurückziehen, fordert er. Er teilt die Idee der Bewegung Aragalaya eines vorübergehenden „Volksrates“ als Katalysator für die Regierungsbildung.

Im Camp ist dieser Ruf nach einer parteiübergreifenden Regierung weiter präsent. Aber derzeit ist das wohl kaum möglich, denn die Fronten verhärten sich. Oppositionsparteien schließen wie zuvor unter Rajapaksa auch unter Ranil Wickremesinghe aus, sich zu beteiligen.

Der Tourismus ist eingebrochen

Doch die Probleme werden nicht weniger. Ohne eine Umstellungsphase konnte das Experiment der forcierten Ökolandwirtschaft nicht gelingen. Als Folge schrumpften die Ernteerträge, was die Preise weiter steigen lässt. Laut Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) sind etwa drei von zehn Haushalten von einer unsicheren Ernährungslage betroffen.

Als wichtige Einkommens- und Devisenquelle gilt der Tourismus. Doch Reisende aus China blieben seit der Pandemie aus, sagt Subhashini Abeysinghe, Forschungsdirektorin des Thinktanks Verite Research. Ein anderes Land, aus dem viele Besucher und Rubel ins Land kamen, ist Russland. Doch auch das habe mit dem Krieg abgenommen. Sri Lanka fehlt es somit weiter an Devisen, um wichtige Güter zu importieren. Versuche, weitere Kredite zu erhalten, laufen schleppend.

Einen Ausweg aus der Krise suchen die Menschen auf der Insel schichtenübergreifend im Ausland. Die aktuelle Abwanderung von Arbeitskräften, wie in der Informationstechnologie oder im medizinischen Bereich, könnte für weitere Engpässe sorgen, sagt Abeysinghe. Andererseits könnten sie der Wirtschaft wieder auf die Beine helfen, indem sie Heimatüberweisungen (Remittance) tätigen.

Die Regierung hofft unterdessen, den Tourismus wieder anzukurbeln. Doch die anhaltende Benzinknappheit und Reisewarnungen machen es der Branche nicht leichter. Genauso wenig das harte Durchgreifen gegenüber friedlichen Demonstrierenden, die internationale Kritik von den USA und von europäischen Staaten als Reaktion zur Folge hatte.

Der amtierende Präsident Wickremesinghe, der im Mai Gespräch mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein Rettungspaket begann, musste nun bekannt geben, dass sich die nächste Runde in den September verschiebt.

Unterdessen wird in der Gemeinschaftsküche in Galle Face mit Feuerholz in riesigen Töpfchen wie auch zuvor zwei Mal am Tag groß aufgekocht, wenn auch nicht mehr für fünfhundert Personen. Wenn sich genügend im Zeltdorf für ein Cricket-Match finden, rückt der Protest für kurze Zeit in den Hintergrund.

Mitarbeit: Nishantha Hewage

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1 Kommentar

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  • "Ohne eine Umstellungsphase könnte das Experiment der forcierten Ökolandwirtschaft nicht gelingen. Als Folge schrumpften die Ernteerträge, was die Preise weiter steigen lässt. Laut Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) sind etwa drei von zehn Haushalten von einer unsicheren Ernährungslage betroffen."

    Ich verstehe schon, dass in dr TAZ ungern über diesen Mißerfolg der ökologischen Landwirtschaft gesprochen wird. Könnte es doch der Beweis werden, dass zur Welternährung der konventionelle Dünger notwendig bleibt. Der Verzicht hat zu einem Ertragseinbruch und im weiteren zu einer Lücke in der Versorgung der eigenen Bevölkerung in Sri Lanka geführt. Wie das vermieden werden kann? Mit Geld aus dem Tourismus? Wohl kaum, irgendwo auf der Welt muss ja trotzdem Überschuss produziert werden, der im Öko-Landbau eben nicht mehr zu erzielen ist.