Nach Moskau-Besuch von Borrell: EU-Chefdiplomat unter Druck
Außenbeauftragter Borrell hat in Moskau keine gute Figur gemacht. Nun fordern EU-Abgeordnete seinen Rücktritt und einen harten Kurs.
Nach dem missglückten Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Moskau ist in Brüssel ein heftiger Streit über die Außenpolitik und den weiteren Kurs gegenüber Russland entbrannt. Der Konflikt belastet die geopolitische Kommission um EU-Präsidentin Ursula von der Leyen und führt zu Spannungen im Europaparlament.
In einem Brief an von der Leyen forderten 81 vorwiegend osteuropäische Europaabgeordnete am Dienstag Borrells Rücktritt und eine knallharte Linie gegenüber Moskau. „Wir glauben, dass die Präsidentin der EU-Kommission handeln sollte, falls Herr Borrell nicht freiwillig zurücktritt“, heißt es. Die Mehrheit der Abgeordneten hält jedoch zu dem Spanier. Noch. „Es ist zu früh, den Rücktritt zu fordern“, sagte die CSU-Parlamentarierin Angelika Niebler. Borrell habe in Moskau einen „peinlichen Auftritt“ hingelegt und stehe „unter genauer Beobachtung“. Das eigentliche Problem sitze aber nicht in der EU-Kommission, sondern im Kreml.
Borrell war bei einer Pressekonferenz in Moskau von seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow vorgeführt worden. Lawrow brachte den Spanier mit Hinweisen auf die umstrittenen US-Sanktionen gegen Kuba – die die EU ablehnt – ins Schleudern. Zudem ließ er drei EU-Diplomaten ausweisen, ohne Borrell zu informieren. „Das ist die größte (Selbst-)Erniedrigung in der Geschichte europäischer Diplomatie“, twitterte der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky hinterher. Borrell klagte, „dass die russische Regierung diese Gelegenheit nicht ergreifen wollte, um einen konstruktiveren Dialog mit der EU zu führen“. Dies werde Konsequenzen haben.
Welche das sein könnten, will Borrell beim nächsten Treffen der EU-Außenminister am 22. Februar sagen. Es sei Sache der Mitgliedsstaaten, über den nächsten Schritt zu entscheiden, sagte er. „Aber ja, das könnte Sanktionen einschließen.“ Er werde sein Initiativrecht nutzen und konkrete Vorschläge vorlegen.
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell:
Zunächst stellte er sich jedoch den Fragen der Europaabgeordneten. Es sei ihm darum gegangen, mit Lawrow den Fall von Kremlkritiker Alexei Nawalny zu besprechen, sagte er. Zudem habe er versucht, sich gegen die Verschlechterung der Beziehungen mit Russland zu stemmen. Die Antwort sei jedoch „Nein“ gewesen. „Ich hatte vor meiner Reise keine Illusionen, nun bin ich noch mehr besorgt“, sagte Borrell am Dienstag in Brüssel. Es gebe kaum noch Raum für eine demokratische Entwicklung in Russland. Die gegenwärtige „Machtstruktur“ in Moskau stelle sich gegen den Rechtsstaat und liberale Werte. „Wir sind auch geopolitisch am Scheideweg“, so Borrell.
Trotz der Spannungen sei es jedoch im eigenen EU-Interesse, den Dialog fortzuführen. „Wir dürfen den Menschen nicht den Rücken zukehren.“ Das Parlament quittierte es mit müdem Beifall.
Borrell hätte gar nicht erst nach Moskau fliegen sollen, kritisierten mehrere Abgeordnete in der Aussprache. Sein „Misserfolg“ sei jedoch auch auf die EU-Staaten zurückzuführen, die sich in der Russland-Politik nicht einig seien, sagte der grüne Parlamentarier Reinhard Bütikofer. Vor allem Deutschland und Frankreich müssten sich bewegen.
Mehrere Abgeordnete forderten auch das Aus für die umstrittene deutsch-französische Gaspipeline Nord Stream 2. Der katalanische Abgeordnete Carles Puigdemont kritisierte dagegen „Doppelstandards“. In seinem Land gebe es nicht nur einen, sondern gleich neun „politische Gefangene“, so Puigdemont. Doch dazu schweige die EU, sagte er mit Blick auf Borrell, der die harte spanische Linie gegen die Unabhängigkeitsbewegung unterstützt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit