Nach Großbrand in London: Viele Fragen bleiben offen
Der Brand des Grenfell Tower erregt Großbritannien. Schon vor der Katastrophe hatten Bewohner auf eklatante Versäumnisse hingewiesen.
„Das passierte, weil sie arm waren, in einem der reichsten Viertel nicht nur Londons, sondern auch der Welt“, gibt der Rapper Akala im TV-Sender ChannelFour eine verbreitete Meinung wieder. „Es ist unvorstellbar, dass reiche Leute in einem Hochbau ohne adäquaten Feuerschutz leben. Es wurden hübsche Verkleidungen an die Außenwand geklebt, damit die reichen Leute kein hässliches Hochhaus anschauen müssen.“
Die Zahl der geborgenen und identifizierten Toten von Grenfell Tower erhöhte sich am Freitag auf 30. Sie wird weiter steigen, warnte die Polizei. Mindestens 600 Menschen befanden sich vor dem Brand im Hochhaus, genau weiß es niemand, auch eine dreistellige Opferzahl wird nicht ausgeschlossen.
Bis auf die Tatsache, dass das Hochhaus abbrannte, ist alles Spekulation: dass die Ursache eine defekte Waschmaschine gewesen sein soll oder dass die schnelle Ausbreitung des Feuers auf neues Dämmmaterial an der Außenwand zurückzuführen sei.
Auf Kamerabildern ist klar ersichtlich, dass sich das Feuer außen am Bau schnell nach oben fraß. Um Verantwortlichkeiten zu klären, kündigte Premierministerin Theresa May am Donnerstag eine umfassende öffentliche Untersuchung an, nach dem Vorbild der Untersuchung des Irakkrieges.
Hunderte Demonstranten versammelten sich am späten Freitagnachmittag vor dem Rathaus im Londoner Bezirk Kensington und Chelsea und forderten Antworten von den Behörden im Zusammenhang mit der Brandkatastrophe. Dutzende trommelten gegen die Scheiben und verlangten Einlass. Einige schafften es, in das Rathaus zu kommen, wo sich ihnen Polizisten und Sicherheitskräfte entgegenstellten. (dpa)
Bei der 10-Millionen-Pfund-Renovierung von Grenfell Tower vor wenigen Jahren wurde nicht nur die Fassade wärmedämmend erneuert, sondern auch ein neues Heizungssystem installiert. Einige fragen, weshalb es nicht auch eine Sprinkleranlage gab. Das Hochhaus ist öffentliches Eigentum, im Besitz des Londoner Bezirks Kensington & Chelsea. Der Chef der Bezirksverwaltung, der Konservative Nick Paget-Brown, gab die Frage nach einer neuen Sprinkleranlage an die Bewohner zurück: „Es war nicht der Wunsch der Mehrheit.“
Die Bezirksverwaltung übertrug 1996 nach Druck von Mietern und Pächtern die Verwaltung ihrer 10.000 Wohnungen auf das von Mietern, Pächtern und Stadtvertretern gemeinsam geführte Konsortium KCMTO (Kensington and Chelsea Tenant Management Organisation). Prüfung des Feuerschutzes und Renovierungsarbeiten waren also Aufgabe von KCMTO.
Eine kleine Gruppe organisierter Bewohner des nun abgebrannten Hochhauses, die Grenfell Action Group (GAG), hatte KCTMO schon früh auf Probleme hingewiesen: defekte Stromleitungen, wodurch Elektrogeräte Feuer fingen, nicht gewartete Notlicht- und Alarmsysteme. Erst letzten November hatte die Gruppe auf ihrem Blog bemängelt, dass es keine richtigen Brandschutzvorkehrungen gebe – trotz eines gefährlichen Kurzschlusses 2013 und eines Feuers in einem benachbarten Bau.
Von Rot-Rot-Grün träumt die linke SPD-Politikerin Angela Marquardt. Hugo Müller-Vogg ist ein konservativer Publizist, den das gruselt. Dennoch verbindet beide eine fast 20-jährige Freundschaft. In der taz.am wochenende vom 17./18. Juni reden sie über die Freude am Streit und die gemeinsame Liebe zur „Lindenstraße“. Außerdem: Genau eine Bernsteinfischerin gibt es in Deutschland. Ein Besuch auf Rügen. Und: Nestlé verändert die Rezeptur von Maggi. Ein Rundgang durch die Welt der Geschmacksverstärker und Würzsoßen. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Vorläufige Vorschriften, dass die Bewohner bei Brandgefahr in ihren Wohnungen bleiben sollten – ein fataler Fehler –, seien nur kurz im Fahrstuhl aufgehängt worden, ordnungsgemäße Anweisungen fehlten. Prophetisch die Worte: „Die Grenfell Action Group prognostiziert, dass es nicht lange dauern wird, bis die Worte dieses Blogs das KCTMO-Management heimsuchen.“
Statt auf die Gruppe einzugehen, drohte die Bezirksverwaltung ihr mit rechtlichen Schritten. Wegen staatlicher Kürzungen in der kostenlosen Rechtsberatung für ärmere Bevölkerungsgruppen war es der Gruppe ihrerseits nicht möglich, selbst gegen KCTMO und den Bezirk vorzugehen.
Inzwischen laufen überall in Großbritannien Risikoprüfungen in Hochbauten. In Shadwell in Ostlondon kam es am Freitag in einem ebenfalls vor Kurzem renovierten Hochhaus zu einem Feuer, aber die Bewohner wurden rechtzeitig evakuiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren