Nach Festnahme von İmamoğlu: Wie die türkische Justiz gegen die Opposition vorgeht
Kritische Medien und Politiker unter Druck: Nach dem Istanbuler Oberbürgermeister İmamoğlu geraten jetzt CHP-Chef Özel und ein TV-Sender ins Fadenkreuz.
Und nun gerät der nächste ins Fadenkreuz der Justiz: Gegen Özgür Özel, Vorsitzender der größten Oppositionspartei CHP, wird nun wegen angeblicher Beleidigung und Bedrohung des berüchtigten Istanbuler Generalstaatsanwalts Akın Gürlek ermittelt. Außerdem untersucht die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara angebliche Unregelmäßigkeiten während eines CHP-Parteitages 2023, auf dem Özel zum Vorsitzenden gewählt worden war.
Seit İmamoğlu im März dieses Jahres verhaftet und seines Amtes enthoben wurde, organisiert Özel an vorderster Front die Proteste gegen die Festnahme des wichtigsten Konkurrenten des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Fast täglich tritt er bei Kundgebungen und Protesten im gesamten Land auf, außerdem besucht er İmamoğlu regelmäßig in der Haftanstalt in Silivri, um mit ihm die Kampagne zu seiner Freilassung abzustimmen.
Özel ist in den Wochen nach der Verhaftung von İmamoğlu über sich hinausgewachsen. Galt er nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden bei vielen als etwas farbloser Funktionär, hat er nun in der Öffentlichkeit die Rolle als wichtigster Gegenspieler Erdoğans übernommen. Özel ist in seiner Rolle als Protestführer so erfolgreich, dass er von Erdoğan mittlerweile offenbar als Bedrohung empfunden wird. Hatte die Regierung zunächst gehofft, die Proteste gegen die Verhaftung İmamoğlus würden sich nach den ersten ein bis zwei Wochen von selbst erledigen, sieht sie sich stattdessen auch zweieinhalb Monate später mit einer immer besser organisierten und ständig wachsenden Bewegung konfrontiert. Und diese reicht weit über die CHP als Partei hinaus.
Dass die Proteste auch öffentlich breit gewürdigt werden, ist das Verdienst des TV-Senders Halk TV. Der landesweite Sender lässt die Opposition zu Wort kommen und kompensiert so ein wenig, dass alle anderen großen Fernsehanstalten voll auf Regierungslinie senden. Das hat Folgen: Der Generalstaatsanwalt hat einen Haftbefehl gegen Halk-TV-Besitzer Cafer Mahiroğlu verkündet. Da der Mann seit Jahrzehnten in London lebt, ist er allerdings für die türkische Justiz kaum zu greifen. Stattdessen könnte nun ein Verbot des Senders drohen.
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