Nach Doku über Sorgerecht: Ordnungshaft nach NDR-Beitrag
Eine Mutter soll für fünf Tage ins Gefängnis. Das Gericht hatte ihr Sätze zuordnet, die in einem NDR-Beitrag aus dem Off eingesprochen wurden.
Aber das hilft ihr nicht. Frau W. ist eine von jenen Müttern, deren Fälle der Soziologe Wolfgang Hammer 2019 für eine kleine Fallstudie untersucht hat. Fazit: Sie wurden zu Unrecht von ihren Kindern getrennt – wegen einer angeblich zu engen Mutter-Kind-Bindung. Ein Grund sei die Verbreitung der veralteten und wissenschaftlich nicht haltbaren Theorie, laut der ein Elternteil ein Kind durch Manipulation dem anderen entfremdet, auch Pariental Alienation Syndrome (PAS) genannt.
Nicht nur die taz, auch andere Medien berichteten über Hammers Thesen. Auch ein Politikmagazin des NDR interessierte sich, über Wolfgang Hammer kam im November 2021 der Kontakt zu Frau W. zustande.
Die Mutter bot sich als Fallbeispiel an. Denn sie hatte ihr Sorgerecht erfolgreich zurück erkämpft. In der mehrjährigen Auseinandersetzung ging es hoch her, und wegen eines längeren Schriftstücks, dass gar nicht sie, sondern ein Verwandter verfasst hatte, erließ das Landgericht Hamburg im Herbst 2021 eine einstweilige Verfügung. Die besagte, dass bestimmte Dinge nicht mehr gesagt oder verbreitet werden dürfen. Diese Unterlassung galt für Frau W. gleich mit, auch sie sollte diese Äußerungen nicht mehr verbreiten.
Reporterin wurde vorgewarnt
Sie zeigte diese der Reporterin und bat darum, darauf zu achten, dass die ihr dort gesetzten Grenzen gewahrt werden. Bei den Filmaufnahmen, für die extra ein Haus angemietet worden sei, habe sie sehr auf ihre Worte geachtet, sagt Frau W. Sie habe darüber gesprochen, wie es ihr als Mutter mit dem Manipulationsvorwurf erging. Sehr nervös sei sie gewesen. „Ich habe sogar einmal die Antwort auf eine Frage unterbrochen.“
Die Journalistin habe ihr zugesichert, dass das Justiziariat des NDR den Beitrag mit der Unterlassung abgleichen würde. Den ganzen Film, in dem es auch um eine andere Mutter ging, hatte sie vor Ausstrahlung nicht gesehen.
Doch spätestens zwei, drei Wochen später wurde der Frau gewahr, dass sie ein Problem hat. In dem Beitrag wurden Sätze aus dem Off gesprochen, die Frau W. selber nicht hätte sagen dürfen. Die Partei, die schon die Unterlassung erwirkt hatte, zog nun vor Gericht und beantragte, ein Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft gegen die Mutter festzusetzen.
Dem stellte W.s Anwältin eine Argumentation gegenüber, die auf einer Expertise des NDR beruhte, wonach W. nicht gegen die Unterlassung verstoßen habe. Doch das Gericht ließ sich davon nicht überzeugen und verurteilte die Interviewte zu 2.500 Euro oder eben zu fünf Tagen Haft.
NDR antwortet erst nicht auf Hilfeersuchen
Leider sei die Mail mit dem Beschluss von ihrer inzwischen neuen Anwältin im Spamordner gelandet, berichtet W. „Ich sah die erst einen Monat später, als die Frist für einen Widerspruch schon abgelaufen war“. Sie schrieb daraufhin im Juli 2022 dem NDR-Justiziariat, bat um Unterstützung, erhielt aber keine Antwort.
Nachdem nun fast ein Jahr später die Aufforderung zum Haftantritt gekommen war, schrieb die Frau am 25. Mai erneut dem NDR mit der dringenden Bitte um Kontaktaufnahme und der Frage, ob man ihr bei Zahlung des Ordnungsgelds helfen kann. Wieder kam zunächst keine Antwort.
Auf Nachfrage der taz bestätigt der NDR, dass es vor Veröffentlichung des Beitrags einen Abgleich mit den zu unterlassenden Äußerungen gab. „Das Ergebnis des Abgleichs war, dass Frau W. in den sogenannten 'O-Tönen’ im Beitrag keine Äußerung tätigt, die ihr untersagt worden war“, schreibt Sprecherin Iris Bents. Die Mutter habe ausschließlich über ihre Erfahrungen mit der PAS-Theorie gesprochen. Die im Off von der Sprecherperson getroffenen Aussagen beruhten auf anderen Quellen.
„Der NDR hat der Mutter zugesagt, darauf zu achten, dass ihre Aussagen im Bericht keinen Verstoß gegen die einstweilige Verfügung enthalten“, bestätigt die Sprecherin. Nur habe das Gericht dies anders gewertet und den „Sprechertext“ der Mutter zugeordnet.
Es bleibt nur der Gang in die Zelle
Auf die Frage nach der Unterstützung der Frau verweist der Sender auf jene „ausführliche juristische Expertise“, welche die NDR-Rechtsabteilung der Anwältin der Mutter zur Verfügung stellte. Die sei dafür gedacht gewesen, die Argumentation von W. vor Gericht zu stützen.
Zwar habe sich die erste Instanz der Einschätzung des NDR nicht angeschlossen. Aber nach Kenntnis des Senders habe deren Anwältin die Mutter darüber informiert, dass sie Beschwerde einlegen kann. Ob das geschah, sei dem Sender nicht bekannt, aber er bleibe bei der Rechtsauffassung, dass W. in ihren Aussagen nicht gegen die Unterlassung verstoßen hat.
Und da die Berichterstattung des NDR an sich nicht juristisch angegriffen wurde, gebe es „keine Grundlage für eine Zahlungsübernahme durch den NDR“. Gleiches antwortete der Sender am Montag auch der Mutter.
Derweil erhielt W., ebenfalls am Montag, von ihrem neuen Anwalt die Einschätzung, dass er keinen Ansatz mehr für die Einlegung von Rechtsmitteln sieht. Ihr bleibt nur der Gang in die Zelle. Eine Anfrage der taz bei der Justizbehörde ergibt: Sie muss in die Justizvollzugsanstalt Billwerder.
Sie darf eigene Kleidung mitbringen, aber kein Handy. Sie hat eine Einzelzelle mit Fernseher, Bücher muss sie vor Ort ausleihen. Und der Tagesablauf ist eng getaktet, allein dreimal am Tag wird gezählt. „Dass ich da hin muss, wo andere aus der Verantwortung gehen“, sagt Frau W, „das ist für mich schwer ertragbar.“
Aktualisierung: Wie der NDR am Donnerstag mitteilte, muss Frau W. die Haftstrafe nicht antreten. Der NDR habe „nach nochmaliger Prüfung aufgrund der besonderen Umstände und wegen der Verantwortung gegenüber der Protagonistin des Beitrags“ entschieden, das Ordungsgeld zu übernehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen