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Nach Chanukka-Anschlag in SydneyEin Jahr des antisemitischen Terrors

Das Massaker am Bondi Beach in Australien war der tragische Höhepunkt. Doch 2025 grassierte der antisemitische Terrorismus weltweit.

Nach dem Attentat: Blumengebinde vor dem Bondi Pavilion am Bondi Beach in Sydney, am 18. 12. 2025 Foto: Steve Markham/ap/dpa

Das antisemitische Massaker am australischen Bondi Beach in Sydney war der traurige Gipfel eines tödlichen Jahres für jüdisches Leben weltweit. 15 Menschen sind bislang tot, nachdem mutmaßlich zwei Täter – ein Vater und Sohn, offenbar vom „Islamischen Staat“ inspiriert – das Feuer bei einer Feier zum ersten Chanukka-Tag eröffnet hatten. Das jüngste Todesopfer war erst zehn Jahre alt, der älteste war ein 87-jähriger Shoah-Überlebender. Dutzende wurden dabei verletzt, teils schwer.

Im Auto der Täter wurden neben IS-Flaggen auch Sprengsätze entdeckt. Dass der Anschlag nicht noch tödlicher verlief, ist unter anderem Ahmed al-Ahmed zu verdanken, einem muslimischen Obstverkäufer, der einen der Schützen entwaffnete und dabei selbst verletzt wurde.

Der Anschlag in Sydney war jedoch nicht der einzige dieser Art 2025. Und im Schatten des Hamas-Angriffs auf Israel vom 7. Oktober 2023 und des darauffolgenden Gaza-Krieges, der nach zwei Jahren im Oktober mit einem Waffenstillstand beendet wurde, richtete sich terroristische Gewalt gegen jüdische Communitys in vielen Ländern.

Im Februar verletzte ein Täter, mutmaßlich aus Syrien, einen spanischen Touristen am Berliner Holocaust-Mahnmal. Der Angriff wird von Ermittlungsbehörden als antisemitisch eingestuft, weil er Jüdinnen und Juden habe töten wollen und aus diesem Grund den Tatort ausgewählt haben soll.

Im Mai erschoss ein Mann, der zuvor in einer kommunistischen Kleinpartei Mitglied war, Yaron Lischinsky und Sarah Milgrim in Washington. Zwei weitere Personen wurden bei dem Anschlag verletzt. Sie wurden angegriffen, als sie eine Veranstaltung im Jüdischen Museum des American Jewish Committee verließen, die das Ziel hatte, junge Jüdinnen und Juden mit Diplomaten zusammenzubringen, um über die humanitäre Krise in Nahost zu sprechen.

„Eskaliert für Gaza“

Milgrim und Lischinsky, der auch deutscher Staatsbürger war, arbeiteten bei der israelischen Botschaft, die Auswahl der Opfer scheint nach dem bisherigen Stand jedoch willkürlich gewesen zu sein. Eine Art Manifest, das der Täter in den sozialen Medien hochlud, trägt den Titel: „Eskaliert für Gaza, bringt den Krieg nach Hause“. Als er direkt nach der Tat von der Polizei festgenommen wurde, rief er „Free, free Palestine.“

Knapp zwei Wochen später, Anfang Juni, warf ein Mann Molotowcocktails auf friedliche De­mons­tran­t*in­nen in Boulder, Colorado, die an einem Solidaritätsspaziergang für die damals noch von der Hamas und anderen Terrororganisationen in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln teilnahmen. Laut Medienberichten setzte der Täter auch einen Flammenwerfer ein. Er verletzte dabei mindestens sieben Menschen, darunter eine 88-jährige Shoah-Überlebende. Die 82-jährige Karen Diamond starb später im Krankenhaus.

Und im Oktober, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, fuhr ein mutmaßlich islamistischer Täter sein Auto in eine Menschengruppe vor einer Synagoge im britischen Manchester, bevor er auf mehrere Personen mit einem Messer einstach und einen dabei ermordete. Polizisten erschossen den Täter – eine Kugel traf auch ein Mitglied der jüdischen Gemeinde tödlich.

Für die jüdische Community in Australien insbesondere war das vergangene Jahr eines des Terrors: gegen zwei Synagogen in Melbourne sowie gegen ein koscheres Restaurant und einen jüdischen Kindergarten in Sydney wurden Brandanschläge verübt. Weitere Synagogen wurden mit antisemitischen und antiisraelischen Graffiti beschmiert, darunter Hakenkreuze. Autos in jüdischen Nachbarschaften wurden angezündet. In einigen Fällen sollen Agenten der Islamischen Republik in Iran involviert gewesen sein – der iranische Botschafter in Australien wurde inzwischen des Landes verwiesen.

Rund 117.000 Jüdinnen und Juden leben dort, die allermeisten davon sind Nachfahren der Shoah, die aus Europa unter der Nazi-Herrschaft geflohen waren. Das Executive Council of Australian Jewry – eine Art Zentralrat der australischen Juden – verzeichnete zwischen Oktober 2024 und September 2025 rund 1.600 antijüdische Vorfälle, darunter Brandanschläge und Sachbeschädigungen – etwa dreimal so viele Fälle wie in jedem Jahr vor dem Krieg im Gazastreifen.

Antisemitismus im Mainstream

Seit dem 7. Oktober sei Antisemitismus „aus den Randbereichen der Gesellschaft in den Mainstream vorgedrungen“, schreibt die australisch-jüdische Organisation, Judenhass sei inzwischen normalisiert worden und könne sich ausbreiten. „Es ist nichts Neues, dass Antisemitismus von Neonazis, der antiisraelischen Linken oder Islamisten ausgeht. Neu ist jedoch die zunehmende ideologische Annäherung zwischen ihnen.“

In vielen Ländern sind antisemitische Straftaten auf Rekordniveau. Die Anti-Defamation League, eine NGO in den USA, die politischen Extremismus und Antisemitismus bekämpft, verzeichnete für das Vorjahr mehr als 9.300 Vorfälle – der Höchststand seit Beginn ihrer Aufzeichnung 1979. In Großbritannien zählte die Community Security Trust, die die jüdische Gemeinde schützt und Antisemitismus dokumentiert, 3.500 Vorfälle – die zweithöchste Jahresgesamtzahl nach 2023, was wiederum eine Verdopplung gegenüber 2022 war. In Deutschland verzeichnet Rias, eine Antisemitismus-Meldestelle, für 2024 mehr als 8.600 Vorfälle – ein Anstieg von 77 Prozent.

Die Chanukka-Feier am Bondi Beach in Australien, die angegriffen wurde, war eine Veranstaltung der chassidischen Chabad-Bewegung, auch Lubavitch genannt. Zwei der Todesopfer waren Chabad-Rabbiner: Eli Schlanger und Yaakov Levitan. Chabad ist zwar eine ultraorthodoxe Strömung, rekrutiert aber gerne neue Mit­strei­te­r*in­nen und agiert im Vergleich zu anderen Haredi-Sekten sehr offen.

Weltweit sind Chabad-Häuser entstanden: von Bangkok bis Timbuktu. Das macht Chabad-Vertreter, die teilweise mit langen Bärten und schwarzen Hüten in der Öffentlichkeit als gläubige Jüdinnen und Juden leicht zu erkennen sind, zunehmend zur Zielscheibe antisemitischer Gewalt.

Im November 2024 wurde der Rabbiner Zvi Kogan in den Vereinigten Arabischen Emiraten entführt und ermordet. 2019 überfiel ein Rechtsextremer am letzten Tag des Pessach die Chabad-Synagoge in Poway, Kalifornien, und erschoss dabei die 60-jährige Lori Gilbert-Kaye. Und 2008 wurde das Chabad-Haus in Mumbai angegriffen: Sechs Menschen, darunter der Rabbiner Gavriel Holtzberg und seine schwangere Frau Rivka, wurden entführt und dann ermordet.

Nach dem Anschlag am Bondi Beach in Australien wird die Kritik laut: Die Chanukka-Feier wurde lediglich von zwei Polizisten geschützt. Gleichzeitig geben antiisraelische Ak­ti­vis­t*in­nen in den sozialen Medien den „Genozid-Zionisten“ für das Massaker selbst die Schuld und rufen nach wie vor zur „Globalisierung der Intifada“ auf – eine Anspielung auf zwei Wellen tödlicher, terroristischer Gewalt in Nahost. Der Krieg in Gaza scheint vorbei zu sein. Antisemitische Gewalt grassiert jedoch weiterhin weltweit.

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1 Kommentar

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  • Vielen Dank für die erschütternde Zusammenstellung von Terrorakten gegen jüdische Menschen.

    In Berlin wird heute an den islamistischen Terroranschlag gegen den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gedacht. 14 Menschen starben und mehr als 60 Menschen wurden verletzt.