Nach Bürgermeister-Rücktritt in Tröglitz: Der Landkreis knickt nicht ein
Parteiübergreifend gibt es bestürzte Reaktionen auf den Bürgermeister-Rücktritt in Tröglitz. Der Landkreis will trotz allem 40 Asylbewerber dort unterbringen.
TRÖGLITZ/ BERLIN dpa/afp | In Tröglitz in Sachsen-Anhalt, wo Rechtsextreme seit Wochen ihre Ablehnung demonstrieren, sollen ab Ende Mai 40 Asylbewerber unterkommen. Das sagte eine Sprecherin des Burgenlandkreises am Dienstag.
Zuvor sollen die Einwohner auf einer Versammlung am 31. März informiert werden. „Wir wollen den Einwohnern die Chance geben, Fragen zu stellen“, sagte die Kreissprecherin weiter. Am Montagabend hatte der Kreistag beschlossen, dass in dem 2700-Einwohner-Ort insgesamt 40 Asylbewerber untergebracht werden sollen.
Gegen die Pläne des Kreises, in Tröglitz Wohnungen für Asylbewerber anzumieten, hatten Rechtsextreme mehrfach demonstriert. Der ehrenamtliche Ortsbürgermeister Markus Nierth (parteilos) war zurückgetreten, weil es auch vor seinem Privathaus Proteste geben sollte und er sich vom Landkreis und der Nachbarschaft, aber auch den Parteien alleingelassen sah.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte laut einem Sprecher: „Es ist eine Tragödie für unsere Demokratie, wenn ein gewählter Bürgermeister wegen Anfeindungen von Neonazis zurücktreten muss.“ Und weiter: „Wer sich für Flüchtlinge einsetzt, die gerade alles verloren haben und bei uns Hilfe suchen, hat unsere volle Unterstützung verdient.“ Politik und Zivilgesellschaft müssten klar Position beziehen.
„Alarmglocken müssen schrillen“
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger, der Fall bewege sie. „Und ich verstehe die Verzweiflung, die Nierth angesichts der Untätigkeit der Behörden verspürt hat, die offenbar zu wenig getan haben gegen die rechtsextremistischen Umtriebe in dem Ort.“
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der Berliner Zeitung: „Wenn sich in unserer rechtsstaatlichen Demokratie ein gewählter Bürgermeister vor einem braunen Mob nicht mehr geschützt sieht, müssen alle Alarmglocken schrillen.“
CDU-Bundesvize Armin Laschet nannte es „bestürzend“, wenn sich Kommunalpolitiker so sehr allein gelassen fühlten, dass sie keinen anderen Ausweg als den Rücktritt sähen. Dieser Fall müsse eine „Mahnung“ sein, sagte Laschet dem Kölner Stadt-Anzeiger. Den Gegnern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung müssten die Grenzen klar aufgezeigt werden.
Rücktritt nach Demo vor Privathaus
Der ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth (parteilos), war vergangene Woche zurückgetreten, weil Rechtsextreme vor seinem Wohnhaus gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in der Gemeinde demonstrieren wollten. Nierth sah sich und seine Familie vom Landratsamt und anderen Behörden nicht ausreichend geschützt und zog die Konsequenzen. Der Bürgermeister hatte monatelang versucht, wegen der geplanten Aufnahme der Flüchtlinge auch unter den Bürgern zu vermitteln.
Der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag sagte Nierth: „Ich fühle mich im Stich gelassen.“ Er hätte die Demos und „den Druck der NPD und der Wutbürger“ weiter ausgehalten. Wenn aber der Schutz des Landratsamts und der Politik wegbreche, „dann ist das sehr enttäuschend“.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bedauerte den Rücktritt. Es müssten frühzeitig Signale auch aus den Kommunen aufgenommen werden, wenn sich dort etwas ereigne, das dem „Grundgedanken der Weltoffenheit“ entgegenstehe, sagte Haseloff der Mitteldeutschen Zeitung vom Dienstag. Das Landeskabinett wollte sich am Dienstag mit dem Thema befassen.
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