Nach Brand in Notre-Dame: Jetzt wird in die Hände gespuckt
Macron macht Tempo. Ganz Frankreich diskutiert und plant die Wiederherstellung seines Nationalschatzes Notre-Dame de Paris.
Schließlich konnten er und mit ihm die ganze Nation aufatmen, die Notre-Dame war keineswegs nur noch Schutt und Asche, die wesentlichen Elemente der Struktur samt der Fassade mit den beiden Türmen sind erhalten geblieben. Und so konnte Macron schon Mitte der Woche etwas konkreter versprechen: „Wir werden die Kathedrale Notre-Dame noch schöner als bisher wiederaufbauen, und ich will, dass dies in fünf Jahren geschieht. Das können wir machen.“
Das ist dann doch eine sehr kurz erscheinende Frist für die Restaurierung, doch Macron wenigstens glaubt daran, dass sie realistisch ist, denn die Franzosen, so meinte er stolz, seien ja ein „Volk von Erbauern“, das so viel Prächtiges geschaffen hat. Mit viel Pathos fügte er an, es gehe nicht ausschließlich um den Wiederaufbau einer der bedeutendsten Kirchen der Welt und einer jährlich von 13 Millionen Menschen besuchten Touristenattraktion, sondern um den Zusammenhalt der Nation, den sie ohne Notre-Dame zu verlieren drohe. Die Kathedrale sei nämlich so etwas wie ein roter Faden in der Geschichte der vergangenen neun Jahrhunderte. Macron macht so aus der Frage der Restaurierung eine Frage der nationalen Identität. Bestimmt trägt dies dazu bei, dass nun so viele Spendenangebote aus dem In- und Ausland kommen.
Dass Macron es mit der Reparatur so eilig hat, hat sicherlich auch einen zweiten Grund. Am liebsten möchte er selbst mit einem zweiten Mandat als Staatschef der Bauherr bei der Rekonstruktion sein. Der frühere Kulturminister Jack Lang, der unter Präsident François Mitterrand für den Bau der Pyramide des Louvre zuständig war, drängte sogar zu einem noch schnelleren Tempo; er meinte, drei Jahre müssten reichen. Das aber schließen Fachleute fast kategorisch aus.
Nichts überstürzen
Frédéric Letoffé, Chef der für die Restaurierung der historischen Monumente tätigen Unternehmen (GMH), meinte dazu: „Von drei oder vier Jahren zu sprechen ist schon deshalb unrealistisch, weil wir vorher erst mal damit beginnen müssen, das Bestehende abzusichern.“ Wie auch andere von den Medien befragte Experten hält er den Zeitraum von „zehn bis fünfzehn Jahren“ für eine Instandsetzung der Notre-Dame für „vernünftig“.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Er möchte nichts überstürzen. Zunächst komme die Diagnose, dann die Konsolidierung und erst danach der Wiederaufbau. Vorerst muss die Brandruine trocknen. Da mit dem Dach samt dem historischen Dachstuhl die Decke über dem Kirchenschiff weitgehend eingestürzt ist, muss das Innere möglichst schnell mit einem Regenschutz gegen die Witterung geschützt werden. Allein das ist bereits ein gigantisches Unterfangen. Unmöglich sei dies nicht, erklärt der Vorsitzende der französischen Bauunternehmen, Jacques Chanut, der überzeugt ist, dass in Frankreich das benötigte Knowhow für die Restaurierung existiert. Selbst die historischen Techniken aus der Zeit der Gotik, die noch heute Bewunderung verdienen, seien nie in Vergessenheit geraten.
Hingegen ist der Wunsch nach einer schnellen Rekonstruktion mit einem Mangel an qualifizierten Handwerkern konfrontiert. Laut ersten Schätzungen braucht es 100 Steinmetze, 150 Zimmerleute und 200 Dachdecker. Das aber sind Berufe, die in Frankreich mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben, sie sind nicht sehr attraktiv, außerdem bilden die Betriebe zu wenige Lehrlinge zu Gesellen und Facharbeitern aus.
Offen ist auch, in welcher Weise die Restaurierung geplant werden soll. Soll sie den Zustand vor dem Brand möglichst identisch wiederherstellen, soll sie gar früheren Plänen folgen oder völlig innovativ mit neuen Elementen und modernen Techniken vorgehen? Dazu ist laut dem Religionshistoriker Jean-François Colosimo noch gar nichts entschieden. Er glaubt, schon deshalb sei es vorschnell, wie Macron von ein paar Jahren zu reden. „Wenn man einen Dachstuhl aus Eichenholz [wie beim zerstörten Original] will, dauert das sehr viel länger als fünf Jahre. Wenn man dagegen ein Dach mit Stahl und Beton wählt, wie bei der Rekonstruktion der im Ersten Weltkrieg bombardierten und danach wiederaufgebauten Kathedrale von Reims, geht das effektiv viel schneller.“
Notre-Dame ist das Ergebnis zahlreicher Veränderungen
Mit diesem technischen Dilemma ist eine grundsätzliche Problematik angesprochen. Was ist eigentlich die Idee bei der Wiederherstellung? Soll die Notre-Dame nach langjährigen Arbeiten exakt gleich aussehen wie am Tag vor dem Brand, soll das aus Jahrhunderten Überlieferte repariert, restauriert oder aber erneuert und mit zeitgenössischen Elementen und Technologien modernisiert werden?
Notre-Dame, wie wir sie kennen, ist das Ergebnis zahlreicher Renovierungen und Veränderungen seit dem Mittelalter. „90 Prozent der Nordfassade datiert aus dem 19. Jahrhundert, auch wenn man meint, das stamme alles aus dem 13. Jahrhundert. Man glaubt, vor etwas Ewigem zu stehen, in Wirklichkeit ist es aber zusammengesetzt“, erklärt Cédric Trentesaux, Chefarchitekt für den Denkmalschutz in Frankreich, in der Libération. Auch die flèche, der Spitzturm, der durch den Brand des Daches eingestürzt ist, war erst Mitte des 19. Jahrhunderts nach Plänen von Eugène Viollet-le-Duc gebaut worden, der sich von Zeichnungen inspirieren ließ, die zeigen, dass schon früher und bis ins 17. Jahrhundert hinein ein Glockenturm an derselben Stelle existiert haben muss.
Mit welchem Konzept der Wiederaufbau oder die Instandsetzung der Kathedrale nach einer gründlichen Bilanz angepackt werden soll, wird zweifellos heftige Diskussionen auslösen. Weniger Probleme dürfte dagegen die Finanzierung bieten. Seit der Trennung von Kirche und Staat ist Notre-Dame wie fast alle der vor 1905 erbauten katholischen Gotteshäuser öffentliches Eigentum und wird den Diözesen und Gläubigen zur Verfügung gestellt. Je nach Fall ist der Staat oder die Kommune für den Unterhalt und die Restaurierung verantwortlich. Dies gilt erst recht für die Monumente, die unter Denkmalschutz stehen und für die das Kulturministerium zuständig ist. Notre-Dame war aus diesem Grund auch nicht gegen Brandschäden versichert. Demnach müsste also der Staat vollumfänglich für die Wiederherstellung aufkommen.
Wenn nun Unternehmen, Mäzene und viele weitere Menschen spontan großzügige Spenden ankündigen, kann dies der finanziell haftbaren Staatsführung nur recht sein. Die generösen Konzerne, die bereits zum Teil Beträge von 100 oder 200 Millionen Euro versprochen haben, agieren im Übrigen nicht ganz uneigennützig. Ihre Spenden können sie zu 60 Prozent von den Steuern absetzen; falls die Notre-Dame zum trésor national (Nationalschatz) erklärt wird, was wahrscheinlich ist, kann dieser Steuerrabatt sogar 90 Prozent betragen. Ihnen ist so „Paris wohl eine Messe wert“, wie vor seiner Krönung 1593 Heinrich IV. zu seiner Konvertierung zum katholischen Glauben in der Notre-Dame sagte. Auch kommt man nicht ganz darum herum, sich ein wenig sarkastisch die Frage zu stellen, warum für ein historisches Monument in wenigen Tagen mehr als eine Milliarde Euro gespendet wird, während bei einer schweren Naturkatastrophe oder für den Kampf gegen den Hunger und Krankheiten weit weniger Geld zusammenkommt.
Wie auch immer, damit die Gläubigen der Notre-Dame nicht lange „obdachlos“ bleiben, plant die Diözese den Bau eines „Provisoriums aus Holz“ auf dem großen Platz vor der Kathedrale. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat für dieses Projekt auf öffentlichem Grund bereits die grundsätzliche Zustimmung der Stadt erteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern