piwik no script img

Nach Beschuss in Libanon und IsraelWaffenruhe in Gefahr?

Im Libanon sterben neun Menschen durch israelische Angriffe nach Raketenbeschuss auf Israel. Gespräche sollen eine größere Eskalation verhindern.

Nach einem israelischen Luftangriff auf das südlibanesische Dorf Sujoud in Iqlim al-Toufah steigt starker schwarzer Rauch auf Foto: STR/dpa

Beirut taz | In Südlibanon und Nordisrael fürchten die Menschen einen neuen Krieg. Am Samstag hatte Israel durch Luftangriffe mindestens 9 Menschen getötet, darunter ein Kind. Mindestens 40 Menschen wurden im Südlibanon verletzt, zählt das libanesische Gesundheitsministerium. Videos in den sozialen Medien zeigen hohe graue Rauchsäulen, ein verbranntes Auto und ein zerstörtes Wohnhaus. Die UN-Mission Unifil sprach von einer „extrem fragilen Situation“.

Zuvor wurden am Samstagmorgen vier Raketen aus dem Libanon auf Israel in der Nähe von Metula abgefeuert, berichtet Unifil. Das israelische Militär sprach von drei Raketen, die es abfangen konnte. Die Hisbollah bestreitet, die Raketen abgefeuert zu haben. Normalerweise bekennt sich die Miliz der Hisbollah zu ihren Angriffen. Die Zeitung Al-Joumhouria berichtet in Bezug auf Sicherheitskreise, dass zwei syrische Staatsangehörige für Befragungen festgenommen worden seien.

Israels Militär gibt an, „Stellungen der Hisbollah“ bombardiert zu haben. Ein Drohnenangriff auf ein Wohnhaus im Bezirk Tyros tötete am Samstagabend den Hisbollah-Kommandant Radwan Salim Awada. Bei dem Angriff wurden mindestens zwei Zi­vi­lis­t*in­nen getötet: Ein 61-jähriger Mann namens Safi und die 37-jährige zweifache Mutter Rania Abbas Houmani, berichtet die Zeitung L’Orient-Le Jour. Rania sei gerade damit beschäftigt gewesen, Wäsche aufzuhängen, als sie getötet wurde, während Safi ferngesehen habe, erzählten Einheimische.

Die libanesische staatliche Nachrichtenagentur berichtet, dass ein Kind in Touline getötet wurde. Insgesamt starben dort fünf Menschen durch israelische Angriffe, darunter auch der Vater des Mädchens.

Beide Seiten verletzen permanent das Abkommen

In Aita asch-Schaab griff eine israelische Drohne ein Auto an und tötete den Insassen Hassan Nehmeh al-Zein, berichtet L’Orient-Le Jour. Der Mann soll ein Café besessen haben, das über Nacht unter Artilleriebeschuss geriet. Einheimischen zufolge wollte er am Sonntagmorgen den Schaden begutachten, als ihn eine Drohne verfolgte und eine Rakete auf sein Fahrzeug abfeuerte. Es ist unklar, ob der Mann Zivilist oder Kombattant ist. Die libanesische staatliche Nachrichtenagentur bezeichnet ihn als „Zivilist“.

Das libanesische Militär erklärte am Sonntag, dass israelische Militärfahrzeuge einen Grenzzaun im Qatmoun-Tal im Bezirk Nabatieh durchbrochen hätten und mit Bulldozern „Planierarbeiten“ durchführten. Die Armee verurteilte das als „eklatante Verletzung“ der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats und der Waffenruhe.

Die Resolution aus dem Jahr 2006 fordert das Ende von Kämpfen und eine waffenfreie Grenzzone. Das Waffenstillstandsabkommen vom 27. November sieht vor, dass sich die Hisbollah-Kämpfer circa 30 Kilometer hinter die Grenze zurückziehen. Israel sagt, die Hisbollah halte sich nicht daran. Trotz Abkommen scheint sie weiter Waffenlieferungen aus dem Iran zu erhalten.

Israel hält noch fünf Punkte im Südlibanon durch seine Militärpräsenz besetzt und verletzt damit seinerseits das Abkommen. Unifil und die libanesische Armee arbeiten nach eigenen Angaben daran, die Waffendepots der Hisbollah aufzusuchen und zu zerstören. Einen Zeitplan für den endgültigen Truppenabzug oder die Räumung der Hisbollah-Stellungen gibt es nicht.

Hoffnung auf Diplomatie

Libanons Regierung wirft Israels Armee zahlreiche Verstöße gegen das Abkommen vor. Parlamentssprecher Nabih Berri sprach am Sonntag von 1.500 israelischen Verstößen. Berri ist Verbündeter der Hisbollah.

Ein Komitee aus der libanesischen Armee, Unifil, Frankreich und den USA überwacht das Abkommen. Das Komitee gibt keine Zahlen heraus. Auf libanesischer Seite ist es auf Daten der libanesischen Armee und von Unifil angewiesen. Bei seiner letzten Sitzung hieß es, dass der Libanon seinen Verpflichtungen nachkomme, die meisten Verstöße von israelischer Seite ausgingen, so eine libanesische Militärquelle gegenüber L’Orient.

Durch das Abkommen ging die Gewalt deutlich zurück, berichtet die internationale Organisation ACLED, die Konfliktdaten sammelt. In den ersten zwei Monaten habe das israelische Militär aber über 330 israelische Granaten- und Luftangriffe durchgeführt und Bodentruppen hätten ihre „Zerstörungsaktionen im Südlibanon erheblich verstärkt“. ACLED zählte im Dezember und Januar über 260 Zerstörungen von Wohnhäusern, Straßen und anderen zivilen Infrastrukturen.

Hoffnung liegt nicht nur darauf, dass der libanesische Staat durch eine neue Regierung gestärkt und die Hisbollah massiv geschwächt ist, sondern auf Gesprächen zwischen Libanon und Israel, vermittelt durch Frankreich und die USA im Unifil-Hauptquartier im südlibanesischen Naqoura. Der libanesische Außenminister Joe Rajji erklärte, er habe diplomatische Kontakte geknüpft, mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Aboul Gheit, und der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, die am Montag Israel besucht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Man muss sich diesen Wahnsinn mal vor Augen führen: es gibt nicht wirklich Grund für Zweifel daran, dass die Angriffe der Huthis auf us-amerikanische und israelische Schiffe - wie die Huthis sagen - aufgrund des Völkermords in Gaza erfolgen und sofort enden würden, wenn selbiger beendet wird. Dass die Beliebtheitswerte dieser Terrortruppe, die zuvor bei der lokalen Bevölkerung aus gutem Grunde sehr gering waren, dadurch stiegen, ist definitiv deprimierend. Aber: noch viel deprimierender bzw. völlig unfassbar ist, dass die USA (wohl auch GB) lieber Bomben auf ein bettelarmes Land werfen (das Leben der Menschen dort ist ihnen ohnehin nichts wert, definitiv weniger als Finanzeinbußen) statt das zu tun, was man ohnehin UNBEDINGT tun sollte: den Genozid beenden statt ihn nach Kräften zu unterstützen. Es scheint mir, als sei derzeit ein neuer Tiefpunkt erreicht - moralisch und intellektuell. Und wenn da nicht gegengesteuert wird, wird´s nicht nur nicht besser - wenn ein bestimmtes Level an Barbarei normalisiert wurde, geht´s danach unweigerlich weiter bergab. Das könnte aber nur von den Bevölkerungen ausgehen, bei ihren Anführern besteht da nicht die geringste Chance.

    • @Merlin von Fantasia:

      Schon mal an die einfachste Erklärung dafür gedacht? Nämlich dass dort kein Völkermord im Gange ist. Selbst zu Bidenzeiten kam von Seiten der US-Regierung nie der Völkermordvorwurf auf, aber auch andere westliche Regierungen mit relevanten nachrichtendienstlichen Fähigkeiten (Fr., Five Eyes) warfen Isr. derartiges nicht vor – auch Regierungen nicht, die keine engen verbündeten Israels sind. Die Ernsthaftigkeit des Vorwurfes kann man daran erkennen, was die Ankläger fordern. Wäre die Bevölkerung dort wirklich von einem Völkermord bedroht, müsste man zuallererst Fluchtmöglichkeiten für sie fordern, um sie außer Gefahr zu bringen – wer dies nicht tut, der ist entweder Unterstützer von Völkermord, oder meint den Vorwurf selbst nicht ernst. Dass Anstelle von Evakuierung Waffenembargos, Druck auf Isr, zur Beendigung der isr. Angriffe etc. gefordert werden zeigt, dass es den Anklägern überhaupt nicht darum geht eine Bevölkerung zu retten, sondern um die Forderung: Waffenembargo gegen Isr., und dass Isr., nicht weiter gegen die Hamas vorgehen soll.



      Im übrigen selbst wenn der Völkermordvorwurf wahr wäre, gäbe dies den Houthi noch kein Recht dazu Schiffe neutraler Länder zu beschießen.

  • Warum heisst es immer noch Waffenruhe, wenn schon wieder so viel geschossen wird? Ist das noch ein Euphemismus oder schon Selbstbetrug?