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Nach Beginn des WaffenstillstandsExperten halten Hamas in Gaza für geschwächt

Polizisten der Miliz patrouillieren wieder in den Straßen von Gaza, Bilder zeigen Paraden von Kämpfern. Warum Fachleute sie dennoch für angeschlagen halten.

Wer wird die Menschen in Gaza künftig regieren – und versorgen? Die Hamas will zumindest stark wirken Foto: Jehad Alshrafi/ap/dpa

Jerusalem taz | Ein Bild kann eine ganze Geschichte erzählen. Etwa das der Freilassung der israelischen Geisel Doron Steinbrecher am Sonntag: Umringt von vermummten Hamas-Kämpfern in Uniform wird die junge Frau auf offener Straße in Gaza-Stadt dem Roten Kreuz übergeben. Im Hintergrund jubelt und filmt eine scheinbar riesige Masse.

Die Botschaft: Die Hamas sitzt in Gaza fest im Sattel, die Bevölkerung unterstützt sie. Ein Sieg Israels sieht anders aus. Wenig später geht ein Foto viral, das denselben Ort, den Saraia-Platz in Gaza-Stadt, aus der Vogelperspektive zeigt: Die Massen entpuppen sich als einige hundert Menschen.

Solche Bilder sind mitunter schwer zu überprüfen. Ähnliches gilt für die Aufnahmen von Paraden schwer bewaffneter Hamas-Kämpfer auf blitzblanken Pick-ups oder Hamas-Polizisten, die auf der Straße in Khan Jounis ihre Rückkehr in den Dienst verkünden. Doch sie alle werfen Fragen auf: Wie stark ist die Hamas noch? Wie viel Rückhalt genießt sie? Was bedeutet das für die Zukunft der Waffenruhe?

„Lasst euch nicht beeindrucken“, schreibt der israelische Journalist Haviv Rettig Gur beim Onlinedienst X. Die Bilder „waren an die Gaza-Bewohner gerichtet als Machtdemonstration und um jeden Gedanken an eine Revolte zu verhindern“. Die Hamas könne heute keinen Angriff in den Dimensionen des 7. Oktobers ausführen.

„Kriege ohne Ziel können kaum gewonnen werden“

An der tatsächlichen Stärke der Hamas zweifelt auch Miri Eisin, früher israelische Geheimdienstmitarbeiterin und heute Forscherin am International Institute for Counter-Terrorism bei Tel Aviv. „Die Kämpfer in Uniformen und mit Sturmhauben wirken bedrohlich“, sagt sie. „Es bedeutet aber nicht, dass sie noch immer über die Fähigkeiten, die Waffen oder die Führungsstruktur verfügen, um einen erneuten Angriff auf Israel zu starten.“

Israel habe keinem dauerhaften Waffenstillstand zugestimmt, der die Hamas an der Macht lasse

Israels Außenminister Gideon Saar

Und das, obwohl die Hamas laut der US-Regierung unter der ausgebombten und geschundenen Zivilbevölkerung in Gaza fast so viele neue Kämpfer rekrutiert haben soll, wie sie im Krieg verloren hat. Eine militärische Zerstörung der Gruppe, wie von der Regierung oft gefordert, hält Eisin für nicht realistisch.

Der Kritik an der israelischen Führung schließt sich auch Seth Frantzman an: „Kriege ohne Ziel können kaum gewonnen werden“, sagt der Buchautor und Analyst. Doch die Frage nach dem „Tag danach“ sei von der israelischen Regierung nie beantwortet worden. Die Armee habe stattdessen wie in früheren Kriegen 2009 und 2014 agiert: „Sie haben die Hamas geschwächt, aber nicht vertrieben.“

Dabei hätte die Gruppe nach ihrem Überfall am 7. Oktober durchaus militärisch verdrängt werden können, glaubt Frantzman. Als Beispiel nennt er die Rückeroberung Mossuls vom IS zwischen 2016 und 2017. „Die Armee hätte Zivilisten Zugang zu Flüchtlingslagern außerhalb der Kontrolle der Hamas ermöglichen müssen, stattdessen hat Israel keine Verantwortung für die Vertriebenen übernommen.“

Könnte die Palästinensische Autonomiebehörde Gaza regieren?

Eroberte Stadtviertel seien bewusst einem Machtvakuum überlassen worden, in das die Hamas zurückkehren konnte. Stattdessen hätte eine Übernahme durch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) mit Unterstützung aus der Region erfolgen müssen, sagt Frantzman. „Das wäre keineswegs problemlos verlaufen, aber es wäre machbar gewesen.“

Ein weiteres Problem an diesem Plan: Eine PA-Regierung lehnt auch die Mehrheit der Palästinenser ab. Vermehrte Razzien durch PA-Polizisten gegen bewaffnete Gruppen im Westjordanland, unter anderem in Jenin, mögen ihre Position im Westen stärken, sie verspielen aber auch lokalen Rückhalt.

„Es gibt keine Gewinner“, deutet Samer Sinijlawi die Bilder aus Gaza beim Onlinedienst X. Weder Israel noch die Hamas könnten von einem Sieg sprechen: „Die Machtdemonstration ist bedeutungslos für die Millionen Gazaer“, schreibt der Vorsitzender des Jerusalem Development Fund. „Militärparaden werden nicht einen Stein wieder auf den anderen setzen.“

Für den Hamas-nahen Analysten Ibrahim Madhoun ist die Botschaft aus Gaza indes klar: „Die Hamas ist der ‚Tag danach‘ für Gaza“, sagte er. Für jede künftige Einigung zu Gaza sei sie „unumgänglich.“ Noch am Sonntag hatte das von der Hamas geleitete Medienbüro erklärt, dass Tausende Polizisten im Gaza­streifen eingesetzt würden, um „Sicherheit und Ordnung“ zu bewahren.

Siedlerüberfälle im Westjordanland nehmen zu

Kommt die fragile Waffenruhe nicht über ihre erste sechswöchige Phase hinaus, könnte ein „Tag danach“ im Gazastreifen bald wieder in weite Ferne rücken. Außenminister Gideon Saar sagte am Sonntag, Israel habe keinem dauerhaften Waffenstillstand zugestimmt, der die Hamas an der Macht lasse.

Nun sind auch die weiteren Schritte des alten neuen US-Präsidenten Donald Trump entscheidend. Für die Palästinenser verliefen diese bisher wenig vielversprechend: An seinem ersten Tag im Amt beendete er etwa Sanktionen gegen extremistische Siedler im Westjordanland. Das könnte die Lage dort weiter verschlechtern, wo Siedlerüberfälle auf Palästinenser mittlerweile an der Tagesordnung sind – so auch in der Nacht zum Dienstag.

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6 Kommentare

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  • "Außenminister Gideon Saar sagte am Sonntag, Israel habe keinem dauerhaften Waffenstillstand zugestimmt, der die Hamas an der Macht lasse."

    Das finde ich richtig und vernünftig, auch für die Wiederaufbauhelfer und Spender. Ich persönlich gebe gerne Geld für den Wiederaufbau in Gaza, aber nicht, wenn sich die dortige Bevölkerung erneut für Tunnelbau, Waffenkauf und Kriegsvorbereitungen gegen Israel entscheidet. Dann kann auch alles gleich so bleiben wie es ist.

  • Der Tag danach...



    Wie schon zuvor wird sich durch das "kein Plan haben" die Hamas wieder vermehren. Kann man klein reden, sollte man aber nicht. Ohne Perspektiven wird die Hamas erstaken oder unter anderem Gewand wieder kommen. (Es gibt einen ähnlichen Satz aus dem Film "Karol - Ein Mann der Papst wurde")

    Es hilft natürlich auch nicht das rechtsradikale illegale Siedler mit Gewalt ohne Konsequenzen breit machen.



    Mann möchte fast der Israelischen Regierung ein Geschichtsbuch unter die Nase halten um aufzuzeigen wie eine lokal Bevölkerung dagegen vor geht.



    Die Besatzungsmacht nennt es "Terror", die Besetzten Bewohner nennen es "Wiederstand"...



    《- schwierig im Westjordanland da vom Sofa einen "guten" auszumachen.



    Besonders mit der deutschen Geschichte.

  • Ich hab neulich ein Interview mit einem amerik. Soldaten gesehen zur Strategie in Gaza. Der sagte klar, dass Counterinsurgencies nur mit der Unterstützung der Bevölkerung funktionieren und die bekommt man z.B. indem man in ihnen Sicherheit bietet sowie medizinische Versorgung, Versorgung mit Lebensmitteln etc.- all das was in Gaza nicht stattgefunden hat. Man "befreit" ein Gebiet von Militanten, lässt genug Soldaten zurück um der Bevölkerung Schutz zu bieten und kein Machtvakuum entstehen zu lassen und involviert dafür gegenfalls Gegner der Militanten. Er sagte auch, dass wohl amerikanische Militärexperten immer wieder mit den Israelis geredet haben, auch wörtlich gesagt haben "macht nicht die gleichen Fehler wie wir" (wenn ich mich recht erinnere im Irak), aber das ignoriert wurde.



    Das was alle Palästinenser wollen ist ein Ende der Besatzung +souveränen Staat und solange dies politisch nicht passiert oder gerichtlich (Gutachten ICJ das fast alle Punkte weswegen frühere Verhandlungen scheiterten, rechtlich klärt u- Lösungen gibt), werden Gruppen wie Hamas Zulauf finden. Daran sind in erheblichen Maße auch die westlichen Demokratien schuld die Völkerrecht teils komplett missachten.

  • Wer sich auch nur ein wenig im Nahen Osten auskennt und die Situation nicht ausschliesslich durch eine israelisch gefärbte Brille sieht weiss, dass die Widerstand der Palästinenser gegen Besatzung, Entrechtung, Entwürdigung auch nach der fast völligen Zerstörung des Gazastreifens nicht gebrochen werden kann. Im Gegenteil. Solange Israel die Palästinenser, auf deren Grund und Boden sie einen Siedlerstaat errichtet haben, nicht als gleichwertige Partner ansehen, mit denen sie das Land "from the river to the sea" teilen müssen, wird es keinen Frieden geben. Es gilt, die irrsinnige zionistische Ideologie des "Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" zu dekonstruieren, denn das Zeitalter des Kolonialismus hatte bereits seinen Zenith überschritten, als Theodor Herzl seine giftige Ideologie entfaltet hat.



    From the river to the sea, everyone shall be equal, safe and free!

  • Es ist egal ob die Hamas angeschlagen ist oder nicht - die Bilder der Übergabe der drei israelischen Frauen/Geiseln aus Gaza, als sie zwischen den Minibussen durch schwerbewaffnete vermummte Kämpfer sich drängen mussten, während die johlende Zivilbevölkerung ihnen buchstäblich an Leib und Leben wollte, sollte jeden Optimisten geerdet haben - nach dem Krieg ist vor dem Krieg, dieser Hass wird keinen Frieden zulassen. Die Palästinenser und die Hamas werden, wie schon immer, wieder Kräfte sammeln und dann geht es wieder los.

  • "Israel habe keinem dauerhaften Waffenstillstand zugestimmt, der die Hamas an der Macht lasse". In der jetzt folgenden Phase wird man gezielt einzelne Personen ausschalten, sobald die Geiseln frei sind. Das kann der effizientere Weg sein, mit deutlich geringeren monetären und politischen Kosten.