Sie trauern fassungslos mit Blumen in der Hand

Nach dem russischen Großangriff vom Montag, der unter anderem in Kyjiw die größte Kinderklinik der Ukraine zerstört hat, versammeln sich die Menschen vor den Trümmern

Montag, 8. Juli: Bergungsarbeiten unmittelbar nach dem Raketeneinschlag in der Kyjiwer Kinderklinik Ochmadyt Foto: Madeleine Kelly/Zuma Press/imago

Aus Kyjiw Bernhard Clasen

Die Fahnen vor dem Bürgerbüro wehen auf Halbmast. Die ­Kyjiwer Behörden haben nach dem montäglichen russischen Luftangriff auf die Stadt den Dienstag zum Trauertag erklärt. Wer weiterfahren will, in Richtung der bombardierten Kinderklinik Ochmadyt, muss viel Geduld an diesem heißen Sommertag mitbringen. Kilometerlang stauen sich die Fahrzeuge. Hermetisch hat die Polizei den Bereich vor der Klinik abgeriegelt. Vorbeifahren ist nur mit Sondererlaubnis möglich. Alle anderen Autos werden über eine Umleitung in die Stadtmitte geleitet.

Mehrere Dutzend Menschen harten geduldig vor dem Klinikgelände unter der prallen Sonne aus. Sie winken denen zu, die aus der Klinik herauskommen. Sie halten Getränke, Blumen oder Kinderspielzeug in der Hand. Sie sind einfach nur gekommen, weil sie nicht glauben konnten, was sie gehört hatten, weil sie fassungslos sind, dass sich das Ganze vor Ort noch schlimmer anfühlt als im Internet. Alles starrt gebannt auf den Eingang des Klinikgeländes. Doch das darf nur betreten, wer eine Erlaubnis hat.

Und wer bis zum Betreten des Klinikgeländes noch gehofft hat, vielleicht mit den Anblick von ein paar zersplitterten Fensterscheiben davonzukommen, wird erneut geschockt. Die Klinik ist ausgebombt. Verkohlt sind die Fassaden, ein Gebäude ist völlig zerstört, die Fenster klaffen wie schwarze Löcher. Emsig räumen Feuerwehrleute Schutt zur Seite, baggern einen kleinen Krater zu. Irgendwo steht ein mit Müll überdeckter Operationstisch. Daneben liegen einige Matratzen.

Als „schwarzen Tag für die Ukraine“ bezeichnet das Portal nv.ua den 8. Juli. Diese Angriffe auf die Ukraine seien die schwersten seit Jahresbeginn gewesen. Landesweit seien 40 Menschen ums Leben gekommen, 31 davon in Kyjiw, über 190 verletzt worden.

Das Kinderkrankenhaus, so Präsident Wolodymyr Selenskyj, sei mit einem Marschflugkörper des Typs X-101 angegriffen worden. Diese sehr treffsichere Waffe ist von der Flugabwehr kaum auszuschalten. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass die Kinderklinik vorsätzlich beschossen wurde.

Auf Instagram hat auch Alla Pugatschowa, seit Sowjetzeiten Primadonna der russischen Rockmusik, ihre Abscheu vor dem Angriff auf die Kinderklinik geäußert. „Gott ist geduldig, aber alles hat seine Grenzen“, textet sie neben dem Bild einer Mutter, die ihr blutendes Kind in den Armen hält.

In der ukrainischen Geschäftswelt zeigt man sich solidarisch mit der Kinderklinik. Man habe alle Krankenwagen der Kinderklinik zur Verfügung gestellt – kostenlos, lässt die Privatklinik Dobrobut wissen. „Das neue Gebäude für Toxikologie und Dialyse wurde zerstört. Zum Zeitpunkt des Beschusses waren Operationen im Gange, und auch Ärzte wurden verletzt, natürlich steht Dobrobut in dieser Situation nicht abseits“, erklärt Dobrobut-Chef Vadym Shekman auf Facebook.

Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass das Kinderkrankenhaus in Kyjiw von einer russischen Rakete direkt getroffen wurde. „Die Analyse des Videomaterials und eine vor Ort vorgenommene Begutachtung deuten auf eine hohe Wahrscheinlichkeit hin, dass das Kinderkrankenhaus einen direkten Treffer erlitten hat und nicht durch ein abgefangenes Waffensystem beschädigt wurde“, erklärt die Leiterin des UN.Menschenrechtsbeobachtungseinsatzes in der Ukraine, Danielle Bell. (rtr)

Dreizehn kleine Patienten aus der Kinderklinik hat Dobrobut nach eigenen Angaben aufgenommen und steht bereit, weitere Opfer des Luftangriffs zu behandeln, so Shekman. Der Mobilfunkbetreiber Kyjiwstar, die Musikband Okean Elsy, das Einkaufszentrum Epizentr, das Ölunternehmen Ukrnafta und die Oligarchen Viktor und Olena Pintschuk wollen Millionen spenden.

Auch im ostukrainischen Krywyi Rih herrscht am Dienstag Trauer. Dort wurden elf Bewohner der Stadt am Montag bei einem russischen Angriff getötet, weitere 59 verletzt. Umgekehrt wurden im russischen Gebiet Belgorod am Montag nach amtlichen Angaben drei Menschen getötet und 19 verletzt.