Nach Alexander Zverevs Olympiasieg: Auf der Suche nach Anerkennung
Alexander Zverev dominiert das Tennisfinale gegen Karen Chatschanow. Zuvor hatte er Novak Đoković besiegt. Tritt er nun aus Boris Beckers Schatten?
Der Tennisspieler hatte die vierte Goldmedaille für Deutschland bei den Olympischen Spielen in Tokio gewonnen. Die Bedeutung des Erfolgs ist aber weit größer als ein Strich in der Medaillenbilanz, Zverev wurde im Ariake Tennis Park zu einem Großen seiner Sportart – und wird vielleicht bald zu einem Liebling der Deutschen.
Der Name Boris Becker ist in Deutschland auf ewig mit Tennis verbunden, seit der Leimener 1985 als 17-Jähriger in Wimbledon, dem Mekka seiner Sportart, siegte. Becker gewann 1992 zudem die olympische Goldmedaille in Barcelona – im Doppel mit Michael Stich. Zverev hat am Sonntag im Einzel triumphiert, was zuvor keinem männlichen Deutschen gelungen war. Es gab wenige Möglichkeiten für Zverev, aus dem Schatten Beckers zu treten. In Tokio hat er eine davon genutzt.
In 79 Minuten fegte Zverev im Endspiel über den Russen Karen Chatschanow hinweg, der sich redlich mühte, bei der 3:6- und 1:6-Niederlage aber chancenlos blieb. Beim wichtigsten Auftritt seiner Laufbahn wirkte der Deutsche fokussiert wie selten zuvor, vom ersten bis zum letzten Ballwechsel gab es keinen Zweifel, wer im Anschluss die Goldmedaille in Empfang nehmen würde. Zverev agierte nahe dem Optimum.
Einseitiges Endspiel
Bei den US Open, einem der vier Grand-Slam-Turniere, stand er im vergangenen Jahr im Finale. Die ATP-WM und vier Masters-Turniere hatte er in den zurückliegenden Jahren gewonnen, aber erst in Japan widerlegte er den Vorwurf, große Triumphe könne er nicht feiern. „Die Olympischen Spiele sind so viel größer als alles andere, sie sind das größte im Sport“, sagte Zverev: „Ich habe jetzt diese Medaille um den Hals hängen, das bedeutet alles.“
Der finale Akt auf dem Weg zu Gold war wenig spektakulär, weil einseitig. Doch im Halbfinale hatte er eine Leistung der besonderen Art vollbracht, als er Novak Đoković und damit die Nummer eins der Weltrangliste besiegte, die in diesem Jahr bislang alle Grand-Slam-Titel holte und als unbezwingbar galt. Zwei Tage vor dem Gewinn der Goldmedaille hatte Zverev auf dem Feld Emotionen gezeigt, Tränen rannen über seine Wangen.
„Ich spiele hier nicht für mich, sondern für ein ganzes Land“, hatte er nach dem Erfolg gegen den Serben gesagt und diese Kunde nach dem Endspiel wiederholt. „Diese Medaille gehört ganz Deutschland“, erklärte er ein wenig staatstragend. Die Botschaft dahinter: Seht her, ich denke nicht nur an mich.
Das Verhältnis zwischen Zverev und der deutschen Öffentlichkeit war bislang unterkühlt. Das Supertalent war in Interviews reserviert, wirkte oft egoistisch, zunächst mitunter kindlich trotzig. Auftritte im Davis-Cup, die die Nation bei seinem berühmten Vorgänger Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre vor dem Fernseher fesselte, sagte er regelmäßig ab. Zudem erfüllten sich die Hoffnungen auf schnelle Erfolge bei den ganz großen Turnieren nicht, so dass dem Zverev-Clan in der Heimat Respekt, aber keine Liebe entgegengebracht wurde. Vater Alexander als Trainer und Bruder Mischa, ebenfalls Profi auf der ATP-Tour, bildeten mit dem jüngsten Spross der Familie eine enge Gemeinschaft. Bislang hat niemand dauerhaft Eintritt in diesen Kreis erhalten, auch die Tennisfans in Deutschland nicht.
Der sportliche Wert des Olympiasiegs in Tokio reicht nicht an einen Erfolg bei einem der vier Grand-Slam-Turniere heran, wo sieben Siege im Best-of-five-Modus nötig sind. Für die Wirkung auf seinen Stellenwert in Deutschland könnte der Sieg in Japan trotzdem größer sein. Bei Olympischen Spielen geht die Aufmerksamkeit weit über die Tennisfans hinaus. Selbst ein Finale in Wimbledon würde den Fokus auf einen Tennisprofi nicht derart schärfen wie die Siegerehrung in Tokio. Zverev wird durch die Goldmedaille Anerkennung in der Heimat widerfahren, vielleicht sogar Liebe.
Gleichzeitig würde er am liebsten eine fachliche Diskussion beenden. „Die anderen können sagen, was sie wollen“, erklärte er in Richtung der Tennisexperten und Exprofis, die Zverevs Fähigkeit angezweifelt hatten, die ganz großen Titel gewinnen zu können: „Ich habe Gold bei Olympia“, rief er den Skeptikern zu. Für immer, hätte er anfügen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen