piwik no script img

Nach Abschuss eines russischen KampfjetsNato mahnt zur Ruhe

Eine Viertelminute lang soll der abgeschossene russische Jet türkischen Luftraum verletzt haben. Jetzt droht Moskau Ankara und rüstet weiter auf.

Erdoğan und Putin am 22. November. Foto: dpa

Istanbul taz | Der Mann, der für den Abschuss des russischen Bombers verantwortlich ist, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, gab sich am Mittwoch etwas kleinlaut. Nachdem die Nato die Türken heftig ermahnt hatte, zukünftig die Finger vom Abzug zu lassen, und US-Präsident Barack Obama persönlich in einem Gespräch mit Erdoğan darauf gedrungen hatte, jeden Nebenkriegsschauplatz im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ zu vermeiden, gab sich dieser reumütig.

„Wir haben absolut nicht die Absicht, eine Eskalation herbeizuführen“, sagte der türkische Staatschef. „Wir wollen nur unsere Sicherheit verteidigen“, fügte er hinzu. Aus der türkischen Regierung wird nun gestreut, man habe zum Zeitpunkt des Abschusses nicht gewusst, dass es sich um eine russische und nicht um eine syrische Militärmaschine gehandelt habe.

Ganz andere Töne kamen aus Moskau. Der russische Außenminister Sergei Lawrow nannte nach einem offenbar unfreundlichen Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Çavuşoğlu den Abschuss eine geplante Provokation. „Sie haben im Hinterhalt gelegen und auf eine Gelegenheit gewartet“, sagte er. Erdoğan habe sein wahres Gesicht gezeigt.

Auch Wladimir Putin legte nach und sagte, Erdoğan betreibe die Islamisierung der Türkei und wolle deshalb den Kampf gegen die Islamisten in Syrien behindern. Als Beleg veröffentlichen russische Newsportale Berichte von der türkischen Unterstützung beim Schmuggel von Öl durch die IS-Terroristen. In Moskau warfen Demonstranten unter den Augen der Polizei Fensterscheiben der türkischen Botschaft ein.

Russland gab sich aber nicht nur empört, sondern will auch militärische Stärke zeigen und die Türkei wirtschaftlich bestrafen. Verteidigungsminister Sergei Schoigu sagte, künftig würden russische Bomber über Syrien durch Abfangjäger begleitet, die jeden Angriff zurückweisen würden. Außerdem wird Russland seinen modernsten Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“ ins östliche Mittelmeer schicken und ein neues Flugabwehrsystem im syrischen Latakia stationieren. Die „Bombardierung von Terroristen“ entlang der türkischen Grenze werde im Übrigen unvermindert fortgesetzt.

Türkische Firmen sollen büßen

Ministerpräsident Dmitri Medwedjew kündigte an, türkische Firmen, die bislang in Russland aktiv sind, würden für die „verbrecherische Tat“ ihrer Regierung büßen müssen. Schon am Dienstag hatte Außenminister Lawrow die russische Bevölkerung aufgefordert, nicht mehr in der Türkei Urlaub zu machen, was für die türkische Tourismusindustrie einer Katastrophe gleichkommt.

Es gab aber auch positive Meldungen. Der zweite russische Pilot, der aus der Maschine per Fallschirm zu Boden ging, konnte gerettet werden. „Er ist auf unseren Stützpunkt sicher eingetroffen“, bestätigte Putin entsprechende Berichte.

Mittlerweile wird auch klarer, was am Dienstagvormittag im Luftraum über der türkisch-syrischen Grenze wirklich passiert ist. Zwei russische Jagdbomber waren im Anflug auf die türkische Luftraumgrenze von türkischen Abfangjägern mehrmals angefunkt und auf die bevorstehende Verletzung der Grenze gewarnt worden. US-Militärs bestätigten, dies sei zehnmal geschehen, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Ein Bomber habe abgedreht, während der zweite tatsächlich den türkischen Luftraum verletzte – allerdings nur für ganze 17 Sekunden.

Die türkischen Piloten erhielten dennoch den Befehl zum Abschuss, ihre Raketen trafen nach inoffiziellen US-Angaben die russische Maschine aber wohl erst, als diese bereits wieder syrischen Luftraum erreicht hatte.

Dieser vermutliche Verlauf unterstreicht die Behauptung des russischen Präsidenten, nach der die russischen Bomber niemals die Absicht gehabt hätten, die Türkei anzugreifen. Allerdings hatten russische Bomber in den letzten Wochen mehrfach den türkischen Luftraum verletzt, Russland war von Ankara entsprechend vorgewarnt worden.

Worum es bei dem Abschuss vermutlich tatsächlich ging, machte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu deutlich. „Russland“ so Davutoğlu, „bombardiert unser turkmenisches Brudervolk entlang der Grenze. Es gibt dort keine IS-Kämpfer, sondern nur Turkmenen. Das werden wir auch in Zukunft nicht zulassen.“ Stellt man diese Aussage der russischen Ankündigung einer Fortsetzung der Bombardements in der Region gegenüber, scheinen weitere Zwischenfälle vorprogrammiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 6G
    6020 (Profil gelöscht)

    Ist schon beängstigend, wie die beiden Länder unter der Führung der beiden Bad Guys Putin und Erdoğan da auch militärisch agieren, beide mE völlig unverantwortlich eigene Interessen über Humanität, Menschenrechte und einer dringend notwendigen wirklichen Befriedung der Region stellen .., aber wen wundert's, wenn man sich das innerstaatliche, wie außenpolitische teils Verbrecherische Vorgehen dieser beiden (möchte-gern) Autokraten anschaut!!

     

    .. fast ebenso erbärmlich, wie Merkel dies im Falle der Türkei offensichtlich ignoriert, nur um hier in D die innenpolitischen Hardliner bzgl. der Flüchtlinge „befrieden“ zu wollen.

     

    Mir scheint in dem Fall hier die Türkei deutlich überzogen zu haben – wohl um deren Ablehnung einer russ. Unterstützung von Syriens Assad zu „unterstreichen“, allerdings habe ich auch kaum Zweifel daran, dass es den Russen bei der Bombardierungen in Syrien irgendwie um das Wohl der dort lebenden Menschen gehen könnte und damit so zahlreiche unschuldige Opfer produziert (egal welcher Ethnie .., wäre auch schön wenn da nicht nur der „Westen“, die USA etc. kritisiert würde, vor allem seitens eifriger Kommentarschreiber hier), aber wer kann ohne genaue Kenntnisse der Faktenlage schon genau sagen, ob und wie Russland die Türkei auch im Einzelnen konkret provoziert hat …?

  • Es war nicht das erste mal dass Russen provoziert haben, jetzt zeigen die sich überrascht. Weiß ich nicht warum es für die Russen so strategisch wichtig war, so nah an der türkischen Grenze zu fliegen es sei den, man wollte sehen ob die türkische Luftwaffe nur leere Drohungen ausspricht.

  • Kann man noch ein paar Fahnen mehr dazu stecken?