NS & Schwule: Staatsfeinde
Erst seit Beginn der Achtzigerjahre findet überhaupt eine Diskussion über die Gründe der tausendfach tödlichen Verfolgung von männlichen Homosexuellen durch das nationalsozialistische Regime statt. Vor allem Autoren wie Hans-Georg Stümke („Rosa Winkel, Rosa Listen“) und Günter Grau („Homosexualität in der NS-Zeit“), niemandem im Establishment der Geschichtswissenschaft verpflichtet, weder der der BRD noch jener der DDR, haben sich in diesem Forschungsbereich Verdienste erworben. Ihre Leistung war vor allem, das Schweigen auch der Scientific Community zum Leiden von schwulen Männern beendet zu haben.
Beider Thesen müssen allerdings inzwischen einer Revision unterzogen werden. Peter von Rönn, Soziologe und Mitarbeiter an der Abteilung für Sexualforschung der Universität Hamburg, tut dies in zwei Ausgaben der Zeitschrift für Sexualforschung unter dem Titel „Politische und psychiatrische Homosexualitätskonstruktion im NS-Staat“. Rönn hat jahrelang medizinische Gutachten studiert und die Akten von Prozessen analysiert, in denen Männer nach Paragraf 175 verurteilt worden waren. Diese Strafbestimmung wurde von den Nazis verschärft (und noch 1956 als nicht genuin nationalsozialistisch verteidigt). Es galt, Homosexuelle nicht mehr als moralisch fehlgeleitet oder erbbiologisch krank zu definieren, sondern sie zu politischen Staatsfeinden zu erklären.
Anders als Stümke und Grau sieht Rönn diese innerstaatliche Feinderklärung nicht darin begründet, dass Homosexuelle bevölkerungspolitisch wertlos seien, sondern darin, dass die Nazis eine genaue Vorstellung von einem Mann definieren wollten: zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, flink wie Windhunde. Bevölkerungspolitik spielte faktisch nur eine untergeordnete Rolle. Der deutsche Mann war für die Nazis und die Generationen, die unter diesem Regime aufwuchsen, nur denkbar als antiweibliche Figur, als Mensch, der eben nicht weich, warm und üppig ist. Die NS-Konstruktion vom Nichtmann in der Hülle des Mannes, so von Rönn, musste der Homosexuelle sein: Die Männer mit dem rosa Winkel dienten als abschreckende Beispiele – weshalb sie in den KZ-Hierarchien selbst von den Kommunisten verachtet wurden.
Nicht zufällig wurden Schwule als „warme Brüder“ sprachlich bis weit in die jüngste Zeit hinein diskriminiert. Etliche Ressentiments gegen Homosexuelle haben sich im Volksbewusstsein gehalten, vor allem jenes, dass das männliche Begehren eines Männerkörpers schmutzig und krank sei. Es gehört nach wie vor zum deutsche Nazierbe, dass hierzulande die Entdiskriminierung des Homosexuellen auf derart zähen Widerstand trifft, nicht nur in konservativen Milieus.
Rönns Leistung besteht darin, die Kontinuität der medizinischen Forschung und seiner Protagonisten (wie Hans Bürger-Prinz, der als Psychiater seine Karriere 1935 begann und sie nach dem Krieg nahtlos fortsetzte) im Hinblick auf die Ächtung der Homosexualität auch in der jungen Bundesrepublik aufzuzeigen. Leider hat sich für seine Arbeit noch kein Verlag finden können, der seine Befunde mehr als lediglich sexualwissenschaftlich interessierten Kreisen zugänglich macht. Jan Feddersen
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