NPD vor der Europawahl: Das lange Sterben der NPD
Bald droht die Neonazipartei im Europaparlament ihr letztes bedeutendes Mandat zu verlieren. Längst ist die NPD von der AfD zermalmt.
Im Februar meldete sich Udo Voigt zu einem der letzten Male im Europaparlament zu Wort. Guiseppe Conte, der italienische Ministerpräsident, war zu Gast. Und die Abgeordneten appellierten an den Rechtsaußen, sein Land nicht in die politische Isolation zu führen, in der Flüchtlingspolitik nicht die „Fratze der Unmenschlichkeit vorzuführen“. Dann stellte sich Voigt ans Mikro.
Das hier sei kein Tribunal, rügte der NPD-Mann, wie immer in Anzug und Krawatte, seine Mitabgeordneten. Es sei doch vielmehr so, dass Migranten in Europa „tausendfach töten“. Daher habe Italien vielmehr Großes vollbracht: Es habe die „Masseninvasion“ über das Mittelmeer gestoppt und der „Asyllobby“ einen Schlag verpasst. „Dafür“, so Voigt zu Conte, „sage ich Ihnen meinen Dank.“
Eine Provokation, mal wieder. Diesmal aber womöglich eine der letzten.
Seit 2014 sitzt Udo Voigt für die NPD im Europaparlament. Für die Neonazipartei ist es das letzte bedeutende Mandat. Die NPD, 1964 gegründet, war in den sechziger Jahren mal in sieben Landtagen vertreten, vor einigen Jahren zumindest noch in denen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Sie überlebte 2003 und 2017 Verbotsverfahren gegen sich. Seitdem aber herrscht eine Dauerkrise, die längst existenziell ist.
„Die NPD ist erledigt“, sagen inzwischen Verfassungsschützer. Es sei gut möglich, dass die Partei in ein paar Jahren tatsächlich nicht mehr existiert.
Der letzte Prestigeposten der NPD
Zuletzt holte die NPD bei der Bundestagswahl 0,4 Prozent – halb so viel wie die Tierschutzpartei und weit weniger als die 1,3 Prozent von 2013. Ein Tiefpunkt. Auch in den Ländern folgte zuletzt eine Wahlschlappe auf die andere – in Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein trat die Partei erst gar nicht mehr an.
Selbst in früheren Hochburgen wie Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern wird die NPD in Umfragen mangels Zuspruch nicht mehr aufgeführt. Die Mitgliederzahl sank auf 4.000 Mitstreiter, vor einigen Jahren waren es noch 7.200. Dazu steckt die Partei auch finanziell in der Dauerkrise.
Und nun droht auch noch der Verlust des Mandats von Udo Voigt, der NPD-Ikone, seit Jahrzehnten führend in der Partei aktiv. Der letzte Prestigeposten.
1,0 Prozent holte die NPD bei der Europawahl 2014 – das reichte, mangels Fünfprozenthürde, für das Voigt-Mandat. Derzeit aber erscheint solch ein Ergebnis in weiter Ferne. NPD-Parteichef Frank Franz, ein 40-jähriger Programmierer, seit fünf Jahren im Amt, flüchtet sich in Durchhalteparolen. Die Europawahl sei für die NPD „schon sehr entscheidend“. Aber: „Ein Ende der Partei steht nicht zur Debatte.“ Die NPD habe viele Krisen durchlebt, sie halte immer noch rund 300 Kommunalmandate. „Sie ist weiter ein Faktor, über den man redet.“
Tatsächlich hat die Partei viele Tiefpunkte überwunden – diesmal aber zieht sich die Krise bereits über Jahre. Und diese Krise hat einen Namen: die AfD. Seit die Rechtspopulisten ein Landesparlament nach dem anderen eroberten, ging es für die NPD bergab. Inhaltlich hat die AfD die NPD-Kernthemen – Migration, Rassismus und Nationalstolz – komplett besetzt. Auch einige Parolen sind nicht mehr zu unterscheiden. Es gibt für die NPD kein Durchdringen mehr.
Frank Franz, NPD-Chef
„Die AfD saugt gerade alles auf, was rechts der Union steht“, gesteht NPD-Chef Franz. „Da müssen wir jetzt durch.“ Aber es sei doch bei der AfD längst nicht klar, wohin sie steuere, sagt Franz. Da würden sich eines Tages noch viele Enttäuschte abwenden – und wieder zur NPD zurückkehren.
Indes: Diese Hoffnung hegt die NPD schon seit Jahren. Aber es passiert nicht. Stattdessen rutscht die AfD immer weiter nach rechts, bindet der „Flügel“ um Björn Höcke auch Rechtsextreme an die Partei. Offen wurde im „Flügel“ zuletzt gefordert, die Unvereinbarkeitsliste für eine AfD-Mitgliedschaft, die bisher auch für NPD-Leute gilt, „auf den Müllhaufen der Parteigeschichte“ zu werfen. Der AfD-Bundesvorstand widersprach.
Die NPD versucht mit verzweifelten Provokationen dagegenzuhalten. In „Schutzzonen“-Warnwesten patrouillierten Anhänger wie eine Bürgerwehr durch Innenstädte. Auf Twitter forderten Parteianhänger die Abschiebung der SPD-Politikerin Sawsan Chebli oder des Journalisten Deniz Yücel.
Die rechtsextreme Szene bleibt aktiv – trotz siecher NPD. So gab es allein im ersten Quartal dieses Jahres 85 Szenekonzerte mit gut 5.000 Teilnehmern. Zudem organisierten Neonazis 27 Aufmärsche – den größten im Februar in Dresden mit 1.500 Teilnehmern. Die Zahlen lieferte die Bundesregierung auf Linken-Anfragen, die der taz vorliegen. Auch rechte Gewalt reißt nicht ab: Die Polizei zählte 172 Straftaten gegen Geflüchtete, 39 davon Gewalttaten. Dazu kamen 24 Angriffe auf Flüchtlingshelfer. Die Linke Ulla Jelpke fordert, die Regierung müsse „der Hetze von rechts endlich entschieden entgegentreten“. Vor allem bei den Szenekonzerten brauche es „endlich Konzepte, die diesem Treiben konsequent entgegenwirken“. (KO)
Im Werbespot zur Europawahl behauptet die NPD, Deutsche würden seit „der unkontrollierten Massenzuwanderung“ nun fast täglich zu Opfern, dazu der Slogan „Migration tötet“. Aber all das blieb weitgehend unter dem Radar. Und der Werbespot wurde erst nach langem Rechtsstreit überhaupt ausgestrahlt.
Für Udo Voigt ist die NPD Lebenswerk
Auch Udo Voigt versuchte es in seinen fünf Jahren im Europaparlament mit Provokationen. In Wortmeldungen ätzte der 67-Jährige über eine „Asylanten-Lawine“ gen Europa oder den „Terrorstaat Israel“. Voigt forderte die Freilassung des Holocaustleugners Horst Mahler und schlug als EZB-Bankenaufseher Thilo Sarrazin vor. Er reiste nach Syrien, um zu verkünden, dass es dort in weiten Teilen keine Fluchtgründe gebe. Mitbekommen hat auch das weitgehend niemand.
Udo Voigt ist dennoch zufrieden. Er habe eine Menge internationale Kontakte für die NPD geknüpft und auch keine Sorgen, nicht wiedergewählt zu werden. Komme es doch anders, werde er sich eben wieder im Parteivorstand engagieren. Ein Ende der NPD? Auch Voigt widerspricht: Er kenne die Partei seit gut 50 Jahren. „Die NPD ist immer wieder wie Phönix aus der Asche aufgestanden.“
Was zumindest möglich ist: dass eine Rumpftruppe Hartgesottener die NPD künftig noch am Leben erhält – auch ohne jede Wahlerfolgsaussichten. Für einige Kader wie Udo Voigt ist die NPD ihr Lebenswerk. Schon einmal, von 1972 bis 2002, kam die Partei bei Bundestagswahlen nie über mehr als 0,6 Prozent – und überlebte dennoch. „Wir sind Überzeugungstäter“, sagt Parteichef Franz. „Wir machen weiter, mit oder ohne Mandat.“
Diesmal aber gibt es ein weiteres Problem: die Finanzen. Würde die NPD aus dem Europaparlament ausscheiden, gingen die 9.700 Euro flöten, die Voigt als Abgeordneter jeden Monat bekam, auch die Kostenpauschale von 4.400 Euro, von der Voigt etwa ein Bürgerbüro bezahlte – in der Berliner NPD-Zentrale. Das indes ist noch das kleinste Problem.
Partei ist politisch ausgeblutet
Denn seit Jahren schon steht die NPD vor dem finanziellen Ruin. Zuletzt halfen der Partei noch drei Großerbschaften von Privatleuten über 756.000 Euro. Die Parteienfinanzierung vom Staat aber sinkt kontinuierlich: Bekam die NPD vor drei Jahren noch 1,3 Millionen Euro, waren es zuletzt nur noch 873.000 Euro. Und der Bundestag beschloss bereits, Staatsgelder für verfassungsfeindliche Parteien, also auch die NPD, ganz zu streichen. Im Juni soll der Antrag dafür beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden.
Womöglich aber bringt das finanzielle Austrocknen gar nichts mehr. Denn die NPD ist auch so politisch ausgeblutet. Charismatisches Führungspersonal fehlt, viele Mitglieder sind inaktiv oder zu anderen rechtsextremen Parteien übergelaufen, teils auch zu den Identitären. Und selbst die Hochburgen liegen brach. In Sachsen ist die NPD von einst 1.400 auf 300 Mitglieder abgestürzt. Tonangebend im Land ist nun die rechtsextreme Kleinpartei „Der III. Weg“. Der NPD-Landesverband sei im „Zustand der Erstarrung“, konstatiert der Verfassungsschutz.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern verlegen sich etliche NPDler nun auf rechtsextreme Graswurzelarbeit – ohne Parteilabel. Zusammen bauten sie eine Genossenschaft auf. Und in Jamel, einem von Rechten dominierten Dorf, treten zur Kommunalwahl am 26. Mai Neonazis um den NPD-Mann Sven Krüger nur noch als „Wählergemeinschaft Heimat“ an. „Wir wollen nicht in die Gemeindevertretung für eine Partei, wir wollen dort hinein für unsere Heimat“, erklären die NPD-Leute nun.
Selbst der NPD-Bundesvize Thorsten Heise stellte zuletzt das Parteilabel zurück. Im sächsischen Ostritz organisierte er unter dem Namen „Schild & Schwert“ Rechtsrockfestivals. Im thüringischen Themar stellte der NPD-Bundesvorstand 2018 ein weiteres Festival auf die Beine, gut 2.200 Neonazis kamen. Im Juli soll eine weitere Auflage folgen. Allein: Es sind die Bands, die hier ziehen. Nicht die NPD.
Udo Voigt plädiert deshalb für einen radikaleren Kurs. Deftige Slogans wie „Migration tötet“ jetzt zur Europawahl seien der richtige Weg. Die NPD habe zuletzt „einige Freiräume gelassen“, sie brauche „eine klare Linie, ein klares Gesicht“. Was das bedeutet, ist klar: mehr Hass und Hetze. Und Voigt hat noch einen Plan: einen Schulterschluss mit dem aufstrebenden „III. Weg“, eine „gemeinsame nationale Front“.
Ob die daran Interesse haben, bleibt abzuwarten. Als die NPD am 1. Mai in Dresden zum Aufmarsch rief, folgten 150 Neonazis, auch Udo Voigt reiste an. Parallel marschierten in Plauen 500 Anhänger des „III. Wegs“, mit Trommeln und Fahnen, wie eine NS-Truppe. Noch tagelang wurde über diesen Aufmarsch geredet. Über die NPD in Dresden redete: niemand.
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