NGO-Chef über Freihandelsabkommen: „Martin Schulz sagt keinen Ton“
Die Proteste gegen die Freihandelsabkommen werden weitergehen, sagt Jürgen Maier. Er ist Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung.
taz: Herr Maier, TTIP ist seit der Wahl Donald Trumps tot, Ceta wurde durch das EU-Parlament verabschiedet. Am Wochenende findet in Kassel eine Strategie-und Aktionskonferenz der Freihandelsgegner statt. Wozu braucht es die jetzt noch?
Jürgen Maier: Es stimmt, TTIP liegt auf Eis und wird unter Trump auch nicht mehr kommen. Ceta droht dagegen weiterhin. Aber uns ging es nie nur um diese beiden Instrumente, sondern wir stellen die Inhalte dieser Freihandelsabkommen grundsätzlich infrage. Insgesamt hat die EU noch etwa 20 dieser Abkommen in der Pipeline. Wir wollen den Widerstand dagegen weiter stärken.
Droht mit dem EU-Japan-Abkommen „Jefta“ bereits der nächste Hammer?
Wir wissen über den Vertrag selbst noch nicht viel mehr als das, was in der taz stand. Sollte dieses Abkommen noch schlimmer werden als Ceta, werden sich viele auch noch mehr dagegen auflehnen. In der japanischen Öffentlichkeit wird das schon breiter diskutiert. Insbesondere die Bauern dort haben große und berechtige Angst vor der europäischen Agrarindustrie.
Nach einigen Verbesserungen sprechen viele bei Ceta inzwischen von einem Musterabkommen. Wieso lehnen sie den Vertrag weiterhin ab?
Das EU-Parlament hat Ceta völlig unverändert beschlossen – ohne Verbesserungen. Das ist der alte Vertragstext, den die Konservativen Manuel Barroso für die EU und Stephen Harper für Kanada ausgehandelt haben. Wirkliche Veränderungen wie sie etwa die Wallonen wollten, waren vom Rest der EU nicht gewünscht. Es wurden lediglich einseitige Absichtserklärungen drangehängt.
53, ist Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung, einem Netzwerk von Umwelt-, Entwicklungs und anderen NGOs
Welche inhaltliche Kritik haben Sie?
Uns stört die Paralleljustiz für Konzerne, auch wenn sie jetzt öffentlich statt privat geregelt werden soll. Wenn unsere Justiz gut genug für uns ist, dann ist sie auch gut genug für die Konzerne. Außerdem wenden wir uns gegen die Globalisierung der Agrarmärkte. Wir sind längst in einer Situation, in der die Verbraucher nicht mehr auf „Geiz ist geil“ stehen. Aber die EU-Kommission will noch mehr Agrarexporte durchsetzen. Sie zerstört damit nicht nur die Märkte anderswo, sondern auch bei uns. Ein weiterer Punkt ist die Kommerzialisierung öffentlicher Dienstleistungen, die inzwischen überall auf breite Ablehnung stößt. In den Abkommen geht dagegen es um den besseren Marktzugang für globale Dienstleistungskonzerne, die nichts anderen vorhaben, als aus Gesundheit und Bildung ihre Profite zu ziehen.
Wenn die Kommission die europaweiten Sorgen vor der Globalisierung und den Rechtsruck ernstnehmen würde, müssten alle Verhandlungstexte auf den Tisch und penibel überarbeitet werden. Doch das wird nicht gemacht, alles bleibt geheim. Das ist die falsche Politik.
Wie wollen Sie dafür sorgen, dass Ceta doch noch scheitert?
Das Abkommen ist noch lange nicht durch. 37 Parlamente müssen darüber noch abstimmen, in den Niederlanden wird es eine Volksabstimmung geben. Besonders da bin ich sehr optimistisch. Ich glaube auch, dass viele der Regierungen, die noch im Oktober im Europäischen Rat ihre Zustimmung gegeben haben, in zwei, drei Jahren nicht mehr im Amt sind – oder nur deshalb, weil sie auf Druck der Bevölkerungen weniger Globalisierung und Liberalisierung versprochen haben. Die Befürchtung ist allerdings, dass es eine rechte Regierung ist, die zuerst nein sagt. Hier liegt der Ball bei den sozialdemokratischen Regierungen, wie in Österreich, die auch jetzt sofort sagen könnte: Wir stoppen das Abkommen.
Das ist der Fokus auf die Regierungen. Aber was ist die Rolle der Bewegung?
Unser Job ist es, die Diskussionen am Kochen zu halten. Wir wollen, dass in den anstehenden Wahlkämpfen weiter über neoliberale Wirtschaftspolitik gesprochen wird. Dafür vernetzen wir uns auch mit unseren internationalen Partnern. Ceta muss ja nicht in Deutschland gestoppt werden. Wir aber wollen insbesondere auf Martin Schulz Druck ausüben. Von dem hört man bisher keinen Ton. Ebenso wenig wie von den Grünen.
Die Grünen könnten Ceta im Bundesrat zu Fall bringen. Haben Sie Hoffnungen oder fürchten Sie sich vor den Grünen?
Wäre die Abstimmung morgen, würden sie das wohl durchwinken. Das ist die Position der Grünen nicht nur in Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg. Die Grünen müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie ihren Wählern bislang gesagt haben, dass sie dagegen sind,. Doch entscheidend ist ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat, nicht im Bundestag und im Europaparlament. Wir werden dafür sorgen, dass die Grünen im Wahlkampf klipp und klar sagen müssen, ob sie Ceta stoppen.
Was, wenn die Regierung gar kein Ratifizierungsgesetz vorlegt?
Momentan hängt das Abkommen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Wenn die Richter darüber befunden haben, kann es in den Bundesrat. Tatsächlich ist es eine rechtliche Hintertür, dass die Bundesregierung kein Ratifizierungsgesetz vorlegt und abwartet bis die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat sicherer sind. Der Vertrag ist bis dahin vorläufig in Kraft. Wenn sie aber solch ein Spielchen spielen wollen, müssen sie auch die Konsequenzen tragen.
Was sind die nächsten Schritte der Bewegung?
Großdemos wird es erst mal keine geben, dafür gibt es gerade keinen Anlass. Wir sind aber gut aufgestellt, um quer durchs Land Druck auf die Abgeordneten und Regierungen auszuüben, sobald Ceta in Bundestag und Bundesrat kommt.
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