Myanmar neun Monate nach dem Putsch: Aung San Suu Kyi bleibt rebellisch
Die Generäle wollen die gestürzte Regierungschefin offenbar jahrelang im Gefängnis verschwinden lassen. Doch es gibt Rückschläge für die Militärs.
Der an Diabetes leidende und im Rollstuhl sitzende Greis ist der erste Angehörige der früheren Zivilregierung, der von den Putschisten zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. „Keine Überraschung“, ließ seine Tochter Chit Suu Win Htein, die sich auf der Flucht vor den Militärs befindet, wissen, „aber es ist traurig, von diesem lächerlichen Urteil zu hören.“
Die 76-jährige Aung San Suu Kyi, die angesichts des drakonischen Urteils gegen ihren Vertrauten wohl mit einem ähnlich harschen Urteil rechnen muss, kämpft Monate nach totaler Isolierung ebenfalls mit Gesundheitsproblemen. „Mutter“, wie sie von vielen Bewohnern des südostasiatischen Landes genannt wird, beantragte, ihre Verfahrenstermine in zwei- statt wie bisher einwöchigem Abstand abzuhalten. Die Friedensnobelpreisträgerin klagt über Schwindelanfälle. Sie ist seit ihrer Festnahme am 1. Februar völlig von der Außenwelt abgeschnitten.
Am Montag nahm die „Lady“, so ein weiterer Spitzname von ihr, erstmals seit Beginn des Verfahrens vor vier Monaten zu den Vorwürfen gegen sie Stellung. Die Anklagen reichen von angeblicher Korruption bis zu Unterschlagung, der „illegalen“ Einfuhr von Walkie-Talkies sowie Aufruhr. Über ihre Ausführungen erfährt die Welt nichts.
Maulkorb für Aung San Suu Kyis Anwälte
Im Oktober hatte der Ex-Gouverneur der Region Yangon, Phyo Min Thein, offenbar unter Zwang ausgesagt, dass er ihr große Mengen Gold und US-Dollar gegeben habe. Vor Gericht traute er sich nicht, sie anzuschauen, berichteten die Anwälte.
Die Generäle unterstellten die Verteidiger inzwischen dem Paragrafen 144 der Strafprozessordnung. Das einst von der Kolonialmacht Großbritannien eingeführte Gesetz verbietet den Verteidigern jedes Wort über den Prozessverlauf. Zur Begründung sagten die Generäle, Informationen aus dem Gerichtssaal könnten zu „Aufruhr“ führen.
In Wahrheit war es Aung San Suu Kyi gelungen, den Generälen selbst aus der Haft so manches Schnippchen zu schlagen. Rechtsanwalt Khin Maung Zaw brachte auf Aung San Suu Kyis Geheiß das fragile Kartenhaus ins Wanken, mit dem die Junta seit ihrem Putsch am 1. Februar den 54 Millionen Einwohnern des Landes vorgaukelt, sie habe bei dem Staatsstreich auf dem Boden von Recht und Ordnung gehandelt.
Myanmars gestürzter Präsident Win Myint, der gemeinsam mit Aung San Suu Kyi und dem Ex-Bürgermeister der Hauptstadt Naypyidaw vor dem vom Militärregime ausgesuchten Gericht steht, schilderte danach den Morgen des Sturzes ganz anders, als dem Regime lieb ist.
Gestürzter Präsident widerspricht den Lügen der Generäle
Um fünf Uhr morgens sei er aus dem Bett geholt worden, habe Win Myint laut dem Rechtsanwalt vor Gericht erklärt, und zum Präsidentschaftspalast gebracht worden. Dort hätten ihn zwei Generäle aufgefordert, aus Gesundheitsgründen zurückzutreten. Doch er habe sich geweigert und erklärt, er würde lieber sterben als zurückzutreten. Einer der Generäle habe ihn aufgefordert, seine Entscheidung zu überdenken. Ihm könne sonst etwas passieren.
Der Nachrichtenwebseite Irrawaddy erklärte das Verteidigerteam, es habe die Details auf Aufforderung von Aung San Suu Kyi veröffentlicht. „Sie sagte, die Öffentlichkeit müsse über den Prozess informiert werden. Die Leute sollten Bescheid wissen und entscheiden, ob das Verfahren unfair sei.“
Die Junta, deren Putsch eine schwere Wirtschaftskrise ausgelöst hat, macht sich derzeit wenig Freunde mit ihrem Vorgehen. Die südostasiatischen Asean-Staaten hatten Juntachef General Min Aung Hlaing kürzlich von ihrem Gipfeltreffen ausgeschlossen, weil er bei einem früheren Gipfel gemachte Zusagen nicht eingehalten hatte. Dazu gehörte ein Treffen des Asean-Sondergesandten mit Aung San Suu Kyi.
Die Vereinten Nationen warnten in der vergangenen Woche vor Truppenkonzentrationen im Norden und Nordwesten des Landes. Besonders betroffen: Der Chin-Staat, in dem sich während der vergangenen Monate der politische und militärische Widerstand gegen das Regime stark organisierte.
Militär beschießt Kleinstadt mit Artillerie
Laut dem Kinderhilfswerk Save the Children seien in der Kleinstadt Thantlang nahe der Grenze zu Indien vom Militär 100 Gebäude vorsätzlich mit Artillerie in Brand geschossen worden, ein Lager der Hilfsorganisation inklusive. Laut anderen Quellen seien dabei mehr als 160 der 2.000 Häuser sowie zwei Kirchen abgebrannt.
Mit einer ähnlichen Politik verbrannter Erde ging das Militär bereits von Oktober 2016 bis Januar 2017 gegen die muslimische Minderheit der Rohingya vor. Hunderttausende flohen ins Nachbarland Bangladesch.
Wie damals behauptete auch jetzt das Militär wieder, Bewohner hätten ihre Häuser selbst in Brand gesteckt, um dies dann den Militärs vorwerfen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos