Mutmaßliche Vergewaltigung in Freiburg: Demo gegen Instrumentalisierung
Nach einer mutmaßlichen Vergewaltigung durch Geflüchtete wird Freiburgs OB Horn bedroht. Rechte und Gegner protestieren am Montag.
Mindestens acht Männer zwischen 19 und 29 Jahren sollen der Frau sexualisierte Gewalt angetan haben, darunter sieben Syrer und ein Deutscher. Die Polizei hatte aus ermittlungstaktischen Gründen erst mit zweiwöchiger Verspätung über die Tat informiert. Inzwischen sitzen die acht Tatverdächtigen in U-Haft.
Wie genau der Tathergang ablief und ob die Frau zuvor mit Drogen wehrlos gemacht wurde, soll die 13-köpfige Sonderkommission „Club“ herausfinden. Laut Auskunft der Polizei gibt es bislang keine neuen Erkenntnisse.
Während die Ermittlungen noch laufen, scheinen einige ihr Urteil schon gefällt zu haben. „Wieder hat die Politik der offenen Grenzen das Leben einer jungen Frau zerstört“, schimpft der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess auf Facebook. AfD-Parteichef Jörg Meuthen fordert gar eine „Ausgangssperre für Asylbewerber“ – ganz so, als seien alle Asylsuchenden automatisch Verbrecher. Es sind bekannte Reflexe, die einsetzen, sobald Tatverdächtige aus dem Ausland stammen.
Der nicht vollstreckte Haftbefehl
Politisch ist der Freiburger Fall aus einem anderen Grund brisant: Wie bekannt wurde, lag gegen den mutmaßlichen Haupttäter bereits vor der Tatnacht ein Haftbefehl vor. Warum ihn die Polizei nicht vollstreckte, will sie gegenüber der Presse nicht erklären. Stattdessen verweist das Polizeipräsidium ans Landesinnenministerium – welches „polizeitaktische Gründe“ anführt.
„Die Polizei wollte noch mehr Beweise zu weiteren Straftaten sammeln, bevor der Haftbefehl vollzogen wird“, erklärt ein Sprecher des Ministeriums. Dies sei durchaus üblich. Um welche Straftaten es sich handelt und wie oft Haftbefehle nicht sofort vollstreckt werden, dazu will sich das Innenministerium nicht äußern. Die Frage steht jedoch im Raum: Hätte die Vergewaltigung verhindert werden können, wenn die Polizei zumindest einen der Männer vorher verhaftet hätte?
Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) äußerte sich am Wochenende auf Facebook. „Es gibt keinerlei Toleranz für solche abscheulichen Verbrechen“, schrieb Horn. Zugleich warnte er vor Pauschalisierungen gegen Geflüchtete. „Die meisten Menschen, die Schutz suchend zu uns gekommen sind, wollen gut und in Sicherheit in unserer Stadt leben, wie alle anderen auch.“
Beleidigungen und Morddrohungen
Horn ahnte zu diesem Zeitpunkt wohl schon, welche Reaktion sein Statement auslösen würde. „Wir werden gegen diskriminierende oder beleidigende Kommentare vorgehen“, fügte er hinzu, bevor er die Nachricht abschickte. Genützt hat es nichts: Kaum war der Text veröffentlicht, wurde Horn verbal heftig attackiert. Im Minutentakt hagelte es Beleidigungen, rechtsradikale Parolen und auch mehrere Morddrohungen gab es.
Am Montagvormittag ist Horn noch immer von den Ereignissen gezeichnet. Das Telefon steht kaum still, auch Facebook und das kommunale E-Mail-Postfach quellen über. Ständig will jemand einen Kommentar hören, Frust ablassen oder einfach nur schimpfen. „Das ist ein unfassbares Verbrechen“, sagt Horn. „In Freiburg gibt es keinen Raum für Straftäter, aber auch nicht für diejenigen, die dieses Verbrechen instrumentalisieren.“
Für den 33-jährigen Horn, der erst im Mai zum Oberbürgermeister gewählt wurde, ist der Vorfall die erste große Herausforderung in seinem Amt. „Es ist traurig, dass wir nun über mich sprechen und nicht über diese abscheuliche Tat“, sagt Horn. Aber er will auch nicht verschweigen, dass auf seiner Facebook-Seite Fotos mit Hitlergruß gepostet wurden. In einigen Fällen ermittle bereits die Kripo.
Es ist nicht das erste Mal, dass Freiburg in diesem Zusammenhang in die Schlagzeilen gerät. Erst im März wurde der Geflüchtete Hussein K. wegen Vergewaltigung und Mordes der Studentin Maria L. zu lebenslanger Haft verurteilt. Der „Dreisam-Mord“ – verübt im Oktober 2016 am Fluss Dreisam – hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Kurze Zeit später war die Joggerin Carolin G. im nahe gelegenen Endingen ermordet worden, ebenfalls ein Sexualdelikt.
Laut Statistik ist Freiburg die kriminellste Großstadt in Baden-Württemberg. 2017 geschahen dort 11.712 Straftaten pro 100.000 Einwohner, mehr als in Mannheim, Karlsruhe oder Stuttgart. Den unrühmlichen Titel trägt die 240.000-Einwohner-Stadt bereits seit dem Jahr 2001.
Doch die beiden Morde hatten das Sicherheitsgefühl vieler Menschen empfindlich getroffen. Nach dem Dreisam-Mord stiegen beispielsweise die Pfefferspraykäufe in der Stadt deutlich an. Doch seitdem hat sich viel getan. Das Land verteilte mehr Polizisten auf Freiburg. Die Stadt wiederum ließ Hecken zurückschneiden, dunkle Ecken besser ausleuchten und gründete einen kommunalen Vollzugsdienst, der die Polizei entlasten soll. Ein neues „Frauen-Nachttaxi“ wurde in der Stadt eingeführt, was bisher jedoch kaum genutzt wird. In Zukunft sollen Kriminalitätsschwerpunkte per Video überwacht werden – eine durchaus umstrittene Maßnahme im liberalen Freiburg.
Die rechte Demo am Montag
Zwar kam es in der Stadt nie zu rechten Zusammenrottungen wie in Chemnitz. Doch auch in Freiburg war zeitweise die Gründung einer Bürgerwehr im Gespräch, die letztlich aber nie über den Status einer Online-Gruppe hinauskam.
Die AfD fordert bei einer Kundgebung am Montagabend, die Asylpolitik grundsätzlich zu ändern. „Merkel muss weg“, skandieren etwa 300 AfD-Anhänger, während sie durch die Altstadt ziehen. Ihnen gegenüber stehen rund 1500 Gegendemonstranten. Auf ihren Plakaten fordern sie, das Verbrechen nicht zu instrumentalisieren.
Sie singen, klatschen, hüpfen und stellen sich dem AfD-Zug immer wieder in den Weg. Die Lage ist unübersichtlich; mehrfach liegen zwischen den beiden Demonstrationen nur wenige Meter Abstand. Trillerpfeifen übertönen „Haut ab“-Rufe, die von beiden Seiten kommen – und den prasselnden Regen.
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