piwik no script img

Muslimische Soldatin über ihren Beruf„Deutschland sieht so aus wie ich“

Nariman Hammouti ist als Kind marokkanischer Eltern in Hannover aufgewachsen und wurde Soldatin. Ein Gespräch über Einsätze, Seelsorge und Rassismus.

Kennt sich aus mit Auslandseinsätzen und Inlandsrassismus: Nariman Hammouti Foto: Christian Wyrwa
Interview von Carlotta Hartmann

taz: Frau Hammouti, welche Rolle spielt Disziplin in Ihrem Leben?

Nariman Hammouti: Ich habe bei der Bundeswehr gelernt, diszipliniert zu planen. Pünktlichkeit und Verlässlichkeit haben für mich etwas mit Disziplin zu tun. Privat bleibt mir auch keine andere Wahl, weil ich viel unterwegs bin, viel fremdgesteuert. Wenn ich mal zu Hause bin, und zum Beispiel zum Essen einlade, ist es blöd, wenn jemand eine Stunde zu spät kommt.

Wieso sind Sie Soldatin geworden?

Die Idee kam mir 2001 durch den Film „Pearl Harbour“. Der wird oft als Schmachtfetzen und als reine Darstellung von amerikanischem Nationalismus bezeichnet. Für mich hat der Film Kameradschaft, den Stolz auf sein Land und die Werte seines Landes gut transportiert. Tatsächlich war das bei der Bundeswehr noch viel stärker: Man hilft sich gegenseitig, ans Ziel zu kommen. Ich habe davor in einem Callcenter gearbeitet und Reisen verkauft. Da hat jeder auf die eigenen Verkaufszahlen geguckt, schließlich wurde man dementsprechend beurteilt. Diese Ellbogenarbeit gab es während meiner Anfangszeit in der Bundeswehr überhaupt nicht.

Hierarchien und Vorgesetzte zum Beeindrucken gibt es doch auch bei der Bundeswehr …

Das stimmt, meistens kämpft man sich aber zusammen durch. Vieles funktioniert ohne die anderen nicht. Wer versucht, besser dazustehen, kommt im Kameradenkreis nicht gut weg, und das bekommt auch der Vorgesetzte mit.

Wie haben sich Ihre Beziehungen durch die Zeit bei der Bundeswehr verändert?

Den Großteil meiner Freunde habe ich noch von früher, aus Hannover. Aber ich habe auch neue Freunde dazugewonnen.

Im Interview: Nariman Hammouti

Jahrgang 1979, sie ist seit 2005 bei der Bundeswehr und war zweimal im Afghanistan-Einsatz. Sie ist Vorsitzende des Vereins Deutscher Soldat und engagiert sich in der Kommission für Migration und Teilhabe des Niedersächsischen Landtags für einen neuen Blick auf die deutsche Gesellschaft. Anfang 2019 erschien ihr Buch „Ich diene Deutschland“.

Bei der Bundeswehr?

Ja – größtenteils Kameraden, mit denen ich im Einsatz war. Das sind eigentlich fremde Menschen, man kennt deren Umfeld nicht und weiß nicht, wie sie in zivil aussehen. Die Uniform lässt Grenzen verschwimmen. Natürlich sind auch im Einsatz Menschen dabei, mit denen ich nur bei der Arbeit gut funktionieren muss. Aber mit anderen Kameraden spricht man da­rüber, was einen gerade belastet. Als ich zum Beispiel Stress mit meinem damaligen Freund hatte, hatte ich Menschen, die mir den Rücken gestärkt haben. Mich in Afghanistan hinzusetzen und stundenlang mit einer Freundin zu telefonieren, ging nicht.

Haben Sie viel Kontakt nach Hause, wenn sie unterwegs sind?

Ich versuche es, aber meistens habe ich nichts zu erzählen. Wir planen dann eher, was wir machen, wenn wir uns wiedersehen. Ich gehe nächstes Jahr als Militärbeobachterin für die Vereinten Nationen in den Südsudan. Letztens habe ich abends mit Freunden zusammengesessen, und wir haben überlegt, was wir machen, wenn ich den Einsatz überlebt habe.

Ist das oft Thema mit Ihren Freunden?

Mit meinen Freundinnen kann ich das ganz gut besprechen, bevor ich in den Einsatz gehe. Mit meiner Familie ist es schwieriger, und meinen Eltern kann ich so lange vor einem Einsatz noch nicht davon erzählen. Sonst würden die sich schon viel früher Sorgen machen.

Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie zur Bundeswehr gingen?

Meine Mutter wollte lieber, dass ich etwas Normales mache, also studiere oder heirate und Kinder kriege. Mein Vater hat davon geträumt, dass meine beiden Brüder zur Bundeswehr gehen. Mich hat er ausgelacht und gesagt, das würde ich nicht länger als drei Wochen durchhalten. Ich war damals eine ziemliche Diva – habe mich nie ungeschminkt aus dem Haus getraut, hatte immer künstliche Nägel, und habe ständig Absätze getragen. Dass mein Vater mir das nicht zugetraut hat, hat mich nur noch mehr motiviert.

Ihre Eltern sind aus Marokko nach Hannover gekommen. Wie war Ihre Familie hier integriert?

Ich bin in Hannover-Linden aufgewachsen, wo wir viel Kontakt zu Menschen mit und ohne Migrationshintergrund hatten. Ich hatte auch eine „Oma Hilde“, eine Bekannte meiner Eltern, die in der Nähe von einem Bauernhof gewohnt hat, zu der sind wir oft gefahren. Da durfte ich immer Pferde striegeln und Hühner füttern. Mein Highlight war immer Oma Hildes Weihnachtsbaum.

Was bedeutet Integration für Sie?

Ich habe Integration für mich nie versucht – bin hier geboren und aufgewachsen, ich bin Deutsche. Aber meine Mutter hat immer, wenn wir im Sommer nach Marokko gefahren sind, alles Europäische, alles Deutsche, an der marokkanischen Grenze abgelegt. In Marokko hat sie marokkanische Klamotten getragen, und in Deutschland deutsche.

Hat Ihre Familie in Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht?

Meine Eltern hatten mit ihrem Namen Probleme bei der Wohnungssuche, meine kleine Schwester hat Kopftuch getragen und ewig nach einer Ausbildung gesucht, mir ist die Nase gebrochen worden. Jemand meinte zu mir: Geh’ dahin, wo du herkommst! Als ich meinte, ich wohne hier, habe ich eine reinbekommen. Eine gebrochene Nase, mit 15 – da bin ich gar nicht mehr rausgegangen.

Haben Sie in solchen Situationen Trost im Glauben gefunden?

Ich war noch nie die Frommste. Aber ich bin jetzt als Soldatin anders religiös, ich setze mich anders mit Tod und Gefahren auseinander, und auch normale Lebenskrisen sind für mich anders. Meine Scheidung war zum Beispiel um einiges anstrengender, als wenn ich zu Hause gewesen wäre: Ich konnte nicht abends mit einer Freundin zusammensitzen und auf meinen Ex-Mann schimpfen. Ich bin froh, Muslima zu sein, sonst hätte ich meine Verzweiflung in vielen Situationen vielleicht schon in Alkohol ertränkt.

Vor Ihrem ersten Afghanistan-Einsatz haben Sie ein Leichentuch gekauft und Ihrem Chef eine Anleitung überreicht, für den Fall, dass Sie sterben. Wie hat sich das angefühlt?

Ich musste mich mehr mit meinem Tod beschäftigen als ein christlicher Soldat, für den das alles geregelt wird. Wenn man sich so mit dem eigenen Tod auseinandersetzt, sich ein Leichentuch besorgt, wird das noch echter und es macht Angst.

Wie gehen Sie damit um?

Das wird besser, wenn man vor Ort ist und seine Aufgabe kennt. Vor meinem ersten Auslandseinsatz habe ich das alles vorbereitet und dann kamen immer mehr Eindrücke dazu: die Luftwaffenmaschine, in der statt Stewardessen Soldaten standen, die Transall-Maschine mit mehr Kriegsflair, die Landung, bei der mir richtig schlecht wurde. Und plötzlich ist man in Afghanistan und sieht den Hindukusch. Irgendwann werden diese Ängste zur Routine. Wenn man weiß, wie sich Krieg anfühlt, wie man reagiert, wenn es keine Übung mehr ist, wird man ruhiger. Aber auch vor meinem nächsten Einsatz habe ich richtig Angst.

Wie war die Rückkehr nach Deutschland?

Ich war total überfordert. Anfangs hatte ich eine Überempfindlichkeit – einen Supermarkt kannst du nicht ganz überblicken, du weißt nie, wer hinter einem Regal steht. Ich kam nur klar, wenn ich wusste, was in welchem Regal steht, und wenn mehr als drei Leute an der Kasse standen, bin ich nicht reingegangen. Im Einsatz habe ich mich total darauf gefreut, in Deutschland zum Friseur, zur Pediküre und zur Maniküre zu gehen. Als ich dann in der Stadt war, um mein Beautyprogramm zu machen, war ich total fertig. Nach dem ersten Afghanistan-Einsatz habe ich sechs Monate gebraucht, um wieder einigermaßen zu funktionieren. Nach dem zweiten Einsatz, bei dem wir viele Todesfälle hatten, habe ich ein ganzes Jahr gebraucht.

Sie wollen, dass es bei der Bundeswehr muslimische Seelsorge gibt. Wann hätten Sie einen Seelsorger gebraucht?

Direkt nach dem ersten Beschuss – da war ich gerade drei Tage in Afghanistan. Da hätte ich gerne jemanden zum Reden gehabt, der mir vielleicht ein Gebet mit auf den Weg gegeben hätte. Für die über 3.000 Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens müsste es möglich sein, endlich muslimische Seelsorger einzustellen.

Wieso engagieren Sie sich im Verein Deutscher Soldat?

Ich bin dem Verein 2012 aufgrund der Vision beigetreten. „Ein Deutschland, in dem Leistungsbereitschaft mehr zählt als äußerliche Unterschiede.“ Als meine Schwester mir erzählte, sie sei schwanger, wurde es für mich noch wichtiger mich zu engagieren. Meine Nichten und Neffen sollen nicht Erfahrungen machen wie ich – mit Nasebrechen oder Diskriminierung auf Grund des Aussehens oder Namens. Rassisten und Relativierer meiner Diskriminierung können mich nicht abhalten, auf die Probleme in der deutschen Gesellschaft aufmerksam zu machen.

Wieso dann der Verein und keine Partei?

Eine Partei, hinter der ich 100 Prozent stehe, gibt es gerade nicht. Und unser Verein ist auch keine Interessenvertretung für Soldaten. Wir setzen uns auf dem politischen Weg gegen Diskriminierung und Rassismus ein. Ich sitze für den Verein in der Kommission für Migration und Teilhabe im Niedersächsischen Landtag. Wir machen Integrationsarbeit mit sozial benachteiligten Kindern und halten Vorträge. So kann ich eine Gesellschaftsschicht ansprechen, die ich sonst niemals erreichen würde.

Wieso haben Sie das Buch „Ich diene Deutschland“ geschrieben?

Ich wollte zeigen, dass Deutschland aussieht wie ich. Dass Deutschland nicht blond, blauäugig und weiß ist, und dass Einigkeit und Recht und Freiheit nicht nur in der Nationalhymne verankert sind, sondern Werte sind, die wir alle leben müssen. Eine Hoffnung ist, dass sich damit dieses „Woher kommen Sie denn?“ klärt. Mir geht es darum, zu sagen, dass ich Deutsche bin.

Aber Sie sind eher zu einer Art Vorzeigeausländerin geworden, oder?

Ich werde jetzt so herumgereicht und lebe damit. Selbst die Bundeskanzlerin hat mich mal als Vorzeigemigrantin vorgestellt. Aber vielleicht müssen meine Nichten und Neffen keine Vorzeigeausländer mehr sein.

Möchten Sie, dass Ihre Nichten und Neffen zur Bundeswehr gehen?

Wenn sie es wollen, wieso nicht? Ich würde aber keine Truppenwerbung innerhalb der Familie veranstalten.

Können Sie sich eine Welt ohne Militär vorstellen?

Nein, dafür habe ich zu viel gesehen. Und man muss auch von dem Blickwinkel, das Militär sei nur da, um Kriege zu führen, weg. Anti-Terror-Einsätze, Schutz für Wiederaufbau und Entwicklungshelfer: Das ist etwas ganz anderes als im Feld zu kämpfen und zu töten.

Wollen Sie im Einsatz sterben?

Auf keinen Fall. Lieber im Schlaf, zu Hause, nach einer schönen Veranstaltung. Vielleicht wenn ich auf der Hochzeit meines Neffen getanzt habe oder nach einem schönen Abend mit Freundinnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!