Musk kauft Twitter: Wer hat den Vogel?
Um Hetze und Hass im Internet zu stoppen, braucht es einen digitalen Masterplan. Wer die Demokratie schützen will, muss für klare Regeln sorgen.
E s gibt eine Kolumnistin, ohne die mich das Kolumnieren wohl nie interessiert hätte: Maureen Dowd von der New York Times. Immer bissig, meistens bösartig und viel zu klug, um die Welt sehr ernst zu nehmen. Ausgerechnet diese anbetungswürdig respektlose Maureen Dowd schreibt zu Halloween, wie wenig sie dieses Jahr den Grusel braucht, weil die Welt selbst ein gruseliger Ort geworden ist. Maureen: Welcome to the world of the sad and scared.
Ihre ungewohnte Verzweiflung rührt von der Lage der Nation. Die US-amerikanische Wirklichkeit ist zum Horror geworden, lakonisch ironisch geht nicht mehr. Dowd schreibt fassungslos über den Anschlag auf die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi: Ein Mann war mit dem Vorhaben in ihr Haus eingedrungen, Nancy zu entführen und ihr die Kniescheiben einzuschlagen. Er fand nur ihren Mann vor, dem schlug er mit einem Hammer direkt auf den Schädel.
Paul Pelosi liegt im Krankenhaus. Es heißt, er werde sich gut erholen von dem Schlag. Maureed Dowd treibt die Normalisierung des Schreckens um, die Alltäglichkeit des Unerhörten. Kaum ein Medienportal griff den Angriff als Mordversuch auf, man berichtete von einem verrückt Gewordenen, entpolitisiert in Teilen das zutiefst Politische: Der Hass ist tief in die Köpfe der Menschen gedrungen. Der Wahnsinn, der beim Sturm auf das Capitol am 6. Januar letzten Jahres zu sehen war, könnte nur der Anfang gewesen sein.
Damals schrien einige der Besetzer: „Where are you, Nancy?“ und stürmten ihr Büro, in dem sie sich zum Glück nicht mehr befand. Jagd auf Repräsentanten der Demokratie, brachiale Gewalt. Donald Trump brachte den aufgebrachten Hass ins Weiße Haus, er trieb die Nation und die Welt vor sich her mittels eines vermeintlich kleinen, blauen Vogels: Twitter. Desinformationskampagnen vom mächtigsten Mann der Welt gab es damals täglich.
ist Schriftstellerin, Dramatikerin und Kolumnistin. Sie lebt in Heidelberg und ist Mitglied des PEN-Zentrums. Ihr letztes Buch, „Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land“, erschien 2019.
Eine überdimensionale Stimme
Nach dem Sturm auf das Capitol twitterte Trump über die Wahl, die im angeblich geklaut worden war, darüber, dass seine MAKE-AMERICA-GREAT-AGAIN-Anhänger „a GIANT VOICE long into the future“ haben würden, eine überdimensionierte Stimme weit bis in die Zukunft hinein. Am 8. Januar sperrte Twitter Trump.
Doch jetzt gehört Twitter bekanntlich Elon Musk. Als Hillary Clinton einen solidarischen Tweet für die Familie Pelosi postete, verlinkte „Chief Twit“ Musk den Link zu einer üblen Verschwörungstheorie. Demnach sei Paul Pelosi zum Zeitpunkt des Überfalls angetrunken gewesen und habe mit einem männlichen Prostituierten gestritten. Musk löschte den Link nach heftiger Kritik, der Teufel war jedoch längst in der Welt.
Es scheint keine Grundregeln des demokratischen Zusammenspiels mehr zu geben, der noch diskursive Krieg um die Deutungshoheit wird vor allem auch auf Twitter geführt, doch immer öfter schlägt er, wie im Fall Pelosi, um in rohe Gewalt. Haben wir das Ausmaß der Macht, die diese digitalen Plattformen über unsere Demokratien haben, wirklich verstanden?
Einer wie Musk hätte auch, wie Milliardäre das bisher taten, einen Präsidentschaftskandidaten seiner Wahl mit viel Geld unterstützen und seine Interessen nach der Wahl durchsetzen können. Es wird nur immer deutlicher, dass ohne digitale Netzwerke kaum mehr eine Wahl zu gewinnen ist. In Brasilien wurden unter anderem über Whatsapp massiv Desinformationskampagnen über Lula da Silva gestreut.
Das gefährliche vermeintlich Seriöse
Lula hat nun zwar knapp gewonnen, aber der direkte Zugang zu den Handys der Wählerinnen und Wähler bestimmt zunehmend, wie Menschen sich die Welt erklären. Während Corona haben wir in Deutschland viele Bürgerinnen an Verschwörungsmythen verloren, seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine verbreiten die russischen Desinformationskampagnen ihre Lügen und bringen Bürgerinnen im Westen gegen den Westen auf.
Ich habe keine Sorgen mehr wegen den Hassreden der Trolle, die lassen sich immerhin blocken. Wirklich Sorge macht das vermeintlich Seriöse, die vermeintliche „andere Geschichte“, die in Umlauf kommt, so wie der betrunkene Streit zwischen Paul Pelosi und dem männlichen Prostituierten im Haus. Es ist viel Arbeit, Unsinn aus der Welt zu schaffen. Mitunter schafft man nichts anderes mehr. Das scheint die platte Strategie jener, die verwirrte Demokratien wollen, um ihr autoritäres Handeln zu rechtfertigen.
Viele Republikaner mobilisieren gerade auf der Basis dieser Kampagne ihre Wählerinnen und Wähler für die Zwischenwahlen. Liest man einige der Tweets seit dem Angriff auf Pelosi, wird klar, weshalb Maureen Dowd kein Halloween braucht: groteske, gruslige Realitätsverdrehung, Horror, ja, welche Fratzen Politiker aufsetzen, wie sie mit der Wirklichkeit spielen und auf die Überforderung der Wählerinnen setzen.
„The bird is freed“, twitterte Musk, als er das Haus übernahm. Der Vogel ist frei. „In Europe, the bird will fly by our european rules“, twitterte daraufhin der Europäische Kommissar Thierry Breton. Das klingt selbstbewusst, und doch weiß jeder, dass es so gut wie nichts bedeutet. Seit Jahren setzt die EU den jungen weißen Männern von Silicon Valley viel zu wenig entgegen. Im Gegenteil: Die EU plant selbst Maßnahmen, die demokratische Grundrechte der Bürger aushöhlen würden, wie etwa die Chatkontrolle.
Was ist der digitale Masterplan für die Demokratie? Gibt es Regeln für die Inhaber der Plattformen, die unsere Demokratien vor ihrem Einfluß schützen, oder fürchten sich zu viele vor der Rache der Inhaber? Mark Zuckerberg zeigte zuletzt bei den Protesten in Iran, dass die Besitzer der Plattformen meinen, keine Ethik haben zu müssen.
Bei Musk läuft diese angebliche Neutralität unter einem demokratischen Kampfbegriff: „Free speech.“ Es ist die Tragik der Gegenwart, dass die Feinde der Freiheit sich so leidenschaftlich als Freiheitsfreunde tarnen. Wer dem etwas entgegensetzen will, sollte das bald tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge