Musikproduzent Tricky im Interview: „Um elf Uhr gehe ich ins Bett“
In L.A. verplemperte er viel Zeit mit Partymachen, in London dachte er immerzu ans Geldverdienen. In Berlin aber findet Tricky den richtigen Beat.
taz: Tricky, Sie leben seit zwei Jahren in Berlin. Fühlen sie sich wohl hier?
Tricky: Ja, Berlin hat für mich das richtige Tempo. London ist mir ein bisschen zu hektisch. Und Los Angeles war mir wiederum ein bisschen zu langsam, auch wenn man dort viel unternehmen kann. Du kannst so viel Zeit dort verplempern! Ich habe fünf Jahre nur durch Partymachen verloren dort. Wenn man einen 9-to-5-Job hat und diszipliniert ist, ist L. A. gut. Ein Ort, an dem man alles hat, was man braucht: gutes Essen, gutes Wetter, jegliche Art von Sport- und Freizeitaktivitäten, die man sich vorstellen kann.
Und wo ist der Haken?
Als Musiker ist es schwierig. Man kann drei Monate nonstop arbeiten, aber dann auch wieder drei Monate nichts tun. Und wenn man nichts zu tun hat, ist es so einfach, sich ablenken zu lassen – man trifft ständig und überall Leute. Mit denen hängt man dann um zwei Uhr nachmittags rum und trinkt einen Wodka. Und dann noch einen. Und auf einmal ist es vier Uhr morgens.
Und in Berlin passiert Ihnen das nicht?
Berlin ist mehr so ein Daytime-Ding. Die Leute machen hier Spaziergänge und laufen einfach nur herum. In L. A. würde das keiner machen.
Der Musiker Tricky wurde 1968 in Bristol geboren. Aufgewachsen im ärmlichen Stadtviertel Knowle West, zog es ihn Anfang der 1990er Jahre in die HipHop-Szene. Er begann, mit der Band Massive Attack zusammenzuarbeiten, auf dem Debütalbum der Band („Blue Lines“, 1992) war er an drei Songs beteiligt. In diesem Zuge wurde Tricky berühmt und galt als Mitgründer des Bristoler TripHop-Sounds. Solo debütierte er 1995 mit „Maxinquaye“, gesungen hat auf den ersten Tricky-Alben seine damalige Freundin Martina Topley-Bird, mit der er eine Tochter hat. Insgesamt hat Tricky bis heute 13 Alben veröffentlicht. Zusammengearbeitet hat er mit Neneh Cherry, Yoko Ono, den Red Hot Chili Peppers, Grace Jones und PJ Harvey. Tricky hat in London, Tokio, Paris und Los Angeles gelebt, 2015 kam er nach Berlin.
Das Album Im September erschien Trickys 13. Album „Ununiform“ (False Idols/!K7 Music). Dafür hat er Songs mit den DJs und Produzenten Rappern und Produzenten Scriptonite, Vasilly Vakulenko und Smoky Mo aufgenommen.
On Tour Ab Oktober geht er zunächst in den USA auf Tour, am 28. November um 20 Uhr spielt Tricky im Festsaal Kreuzberg. (jut)
Also ist Berlin eine Flanierstadt?
Ja. Viele Leute gehen einfach herum oder fahren Rad. Die Leute sind nicht so geldbesessen hier. In London geht es nur um Arbeit und um Geld, Geld, Geld. Weil es so teuer ist. Wenn ich jetzt manchmal nach London reise, registriere ich erst, wie hoch das Stresslevel, wie aggressiv die Atmosphäre in der Stadt ist. Vorher habe ich das gar nicht gemerkt. Es ist auch kein Ort zum Flanieren, eher eine Stadt für Touristen.
War die politische Entwicklung in Großbritannien auch ein Grund, nicht zurückzugehen?
Nein. Politik ist mir egal. Alles, was in Sachen Brexit entschieden wird, wird von Leuten mit Geld entschieden. Die Armen bestimmen nicht darüber. Brexit oder kein Brexit, es macht keinen Unterschied – die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer. Das meine ich, wenn ich sage, in London denken alle nur an Geld. Wenn man in Berlin herumläuft, sieht man Menschen, die einfach nur entspannt ein Bier vor dem Späti trinken. Man braucht sich nirgendwo zu verabreden, um in Berlin ein Bier zu trinken. In England musst du in den Pub oder in den Club gehen, niemand sitzt dort im Park bei einem Drink zusammen. In London bin ich viel ausgegangen. Nicht weil ich ausgehen wollte, sondern einfach weil ich so gelangweilt war. In Berlin war ich bislang überhaupt erst zweimal in Clubs.
In welchen?
Einmal war ich in einem Schwulenclub, und dann war ich in einem anderen Laden in Neukölln, wo ein Freund von mir gespielt hat. Ich erinnere mich nicht an die Namen.
Und ansonsten führen Sie ein diszipliniertes Leben in Berlin?
Mit Disziplin hat das nicht so viel zu tun. In Berlin gibt es tagsüber so viele Dinge zu machen, dass es für mich völlig in Ordnung ist, abends nicht mehr auszugehen. Wenn mein Gehirn den ganzen Tag über schon Input hat, will ich abends nicht noch einen draufmachen. Dann ist es okay, einfach nur einen Film zu gucken. Um elf Uhr gehe ich ins Bett.
Von Ihren Berlin-Exkursionen posten Sie auch oft Bilder auf Instagram.
Ja. In London würde das niemand machen.
Haben Sie eigentlich einen Lieblingsort in Berlin?
Nein. Das Gute an Berlin ist: Es ist so klein. Man kann gut überall hingehen. Ich wähle einfach eine Himmelsrichtung und laufe los.
Wie oft in der Woche arbeiten Sie denn im Studio an neuer Musik?
Manchmal mache ich monatelang gar nichts. Und dann habe ich wieder Arbeitsphasen. Ich bin nicht besessen vom Musikmachen.
Dabei arbeiten Sie doch viel mit anderen Musikern zusammen – auf Ihrem neuen Album sind zum Beispiel drei russische Künstler dabei.
Bei zwei oder drei Songs, ja. An den Moskauer Produzenten Kryptonite bin ich zufällig geraten, weil ein Freund von mir ihn kannte.
Was war die Grundidee bei der Kooperation mit Kryptonite?
Ich gehe nicht mit Ideen ins Studio. Ich mache einfach Musik, that’s it. Und dann packe ich den Gesang darüber.
„Ununiform“ heißt das neue Album. Ist das ein Titel, der auf Ihr gesamtes Werk zutrifft, oder passt er nur speziell für dieses Album?
Den Titel hätte ich für alle anderen Alben auch schon nehmen können. Ich passe nirgendwo rein, ich mache keine Radiomusik. Der britische Sender Radio One würde mich niemals in der täglichen Rotation spielen, dazu bin ich nicht Pop genug. Meine Musik passt in kein Genre, sie ist nicht HipHop, Rock oder Reggae. Diese Tatsache hat einerseits dazu beigetragen, dass meine Karriere so lange andauert, aber es verhindert auch, dass ich in bestimmte Kategorien einzuordnen wäre. Aber das ist okay für mich.
Es sind sehr unterschiedliche Stücke auf „Ununiform“; auch weil so viele verschiedene Musiker beteiligt sind. Ist Ihr gesamter musikalischer Kosmos auf dem Album zu finden?
Es ist viel verschiedenes Zeug. Es ist Musik, die ich gerne in Clubs hören würde. Wenn ich in einen Club gehe, will ich nicht immer nur die gleiche Musik hören. Ich kann zum Beispiel nicht in einen House-Club gehen, da würde ich nach einer Stunde verrückt werden. Überhaupt: Auf zehn Songs kommt in den Clubs einer, der mich wirklich kickt – die anderen neun sind nur ganz okay. Auf meinem neuen Album ist das drauf, was ich auflegen würde.
Passt „Ununiform“ auch als Attribut für Ihre Biografie?
Ja. Und für eine Menge Leute aus meiner Gegend, dem Westen Bristols, genauso. Viele sind so aufgewachsen wie ich. Es ist eine arme Gegend, du bekommst einen Job auf dem Bau, stehst auf dem Gerüst; wenn du Glück hast, wirst du Fußballer. In der Regel versucht man auf unterschiedliche Arten und Weisen zu überleben. Manche nehmen Drogen. Ein strukturiertes Leben gibt es in dem Viertel nicht.
Für mich haben viele Ihrer neuen Stücke eine sehr weiche Atmosphäre, wenig von der harten Straße, die Sie schildern. Ist „Ununiform“ ein sanftes Album?
Das ist einfach so gekommen. Ich analysiere meine Musik nicht. Deshalb kann ich die Frage nicht beantworten.
Sie haben erstmals wieder mit Ihrer ehemaligen Freundin, der britischen Sängerin Martina Topley-Bird, zusammengearbeitet. Wie kam das?
Ach, das ist keine große Sache. Wir sind sowieso in Kontakt, wir haben eine gemeinsame Tochter, 21 Jahre ist die nun schon, sie lebt in London. Ich schickte Martina einfach die Musik, und sie schickte mir die Gesangsaufnahmen.
Könnten Sie sich noch mal eine intensive Zusammenarbeit mit Massive Attack vorstellen?
Vorstellen kann man sich viel. Ich kann mir auch vorstellen, mit Brigitte Bardot zu schlafen.
Anders: Würden Sie gern wieder mehr mit Massive Attack machen?
Ich denke nicht darüber nach.
Auf Ihrem aktuellen Album gibt es noch eine Zusammenarbeit mit der Schauspielerin und Regisseurin Asia Argento. Woher kennen Sie sie?
Ich traf sie vor einigen Jahren in Italien, ich habe aber nie einen ihrer Filme gesehen.
Sie haben mit vielen großen Musikern zusammengearbeitet. Wer steht noch auf Ihrer Liste?
Alle Musiker mit den großen Namen kamen zu mir. Sie haben mich gefragt, ob ich für sie arbeiten kann, ob das nun Björk oder die Red Hot Chili Peppers waren. Es sind meistens die unbekannten Künstler, die ich selbst auswähle, um etwas mit ihnen zu machen.
Wenn man manche Leute auf Tricky anspricht, fragen sie verwundert: „Ach, der macht immer noch Musik?“ Ist es ein Problem für einen Musiker wie Sie, wenn man so früh Erfolg hat und dann im Laufe der Jahre in Vergessenheit gerät?
Nein. Viele Leute kennen sich einfach nicht mit Musik aus. Leute, die so etwas fragen, sind nicht die Leute, die Musik leben und lieben. Die wissen, wer Kanye West ist, und dann hört es auch schon fast wieder auf. Würde ich denen zum Beispiel von dem britischen Musiker Casisdead erzählen, wüssten sie nicht, wer das ist, dabei ist er einer der aktuell besten Künstler. Das ist, wie wenn du in den Supermarkt gehst und nur die großen Marken kennst. Aber wem seine Ernährung wirklich etwas bedeutet, der kennt auch die anderen Marken.
Sie haben vor einigen Jahren Ihr eigenes Label gegründet. Wollen Sie die Kontrolle über all Ihre Veröffentlichungen haben?
Seit ich Anfang der nuller Jahre nicht mehr bei Island Records veröffentlichte, war es mein Ziel, ein eigenes Label zu gründen. Denn Island war nicht einfach nur ein Label, sondern eine große Stütze. Ihnen ging es um Künstlerförderung, nicht nur ums Geld. Island war am Ende zwar ein Majorlabel, aber die Einstellung war independent. Als Manager Chris Blackwell ging, war abzusehen, in welche Richtung Island sich entwickelt. Außerdem war es die Zeit, als die Musikindustrie den Bach runterging.
Gibt es aktuell weitere Projekte, an denen Sie arbeiten?
Ich will mein nächstes Album eigentlich bald schon fertig machen. Acht Stücke sind fertig; ich bin keiner, der 40 Songs fertig macht und dann auswählt. Eigentlich könnte ich das Album in vier Wochen fertig machen, aber jetzt geht es erst mal auf Tour, und dann kommen Radio- und Fernsehgeschichten und so. Eigentlich bin ich bis Ende nächsten Sommer gearscht, denn zwischendurch kommen auch noch die ganzen Festivals, die ich spiele. Ich komme wohl erst danach dazu, das nächste Album zu produzieren.
Stimmt es, dass Sie in Ihrer Freizeit viel Sport treiben?
„Viel“ nicht. Zwei-, dreimal die Woche gehe ich ins Fitnessstudio.
Und Sie gehen Boxen, oder?
Ja, damit habe ich angefangen, als ich fünfzehn war. Boxen war das Ding in meiner Gegend. Ich hatte Freunde, die boxten, das war wie eine kleine Community. Als Jugendlicher habe ich auch bei einigen Turnieren gekämpft. In der Familie liegt es auch: Mein Großvater boxte mit bloßen Händen. Und drei meiner Onkel waren Amateurboxer, einer war ein professioneller Boxer.
Apropos Familie: Ihr anderer Großvater, Hector Thaws, war auch der Musik verbunden, oder?
Ja, er ist fast eine Legende in England, weil er der Erste war, der jamaikanische Soundsystems importiert hat.
Sie selbst werden in wenigen Monate 50. Machen Sie sich über Ihr Alter Gedanken?
Nicht wirklich. Ich denke weniger an mich als an meine Kinder. Ich habe zwei Töchter, eine meiner Töchter hat, während wir hier gerade sprechen, einen Termin mit einem Manager. Sie startet ihre Karriere als Musikerin. Sie hat schon Musik gemacht, seit sie klein ist. Jetzt interessiert es mich, was aus ihr wird. Hoffentlich findet sie einen Manager, mit dem sie gut klarkommt. Sie spielt auch schon Shows, sie ist in einer Band.
Wie heißt die Band?
Sie haben noch keinen Namen. Sie machen seit ein paar Jahren Musik zusammen und treten hin und wieder auf. Erst jetzt wollen sie Ernst machen.
Reden Sie viel über Musik mit ihr?
Sie zeigt mir eine Menge Sachen, die ich nicht kenne. So komme auch ich an neue Musik. Sie kennt fast alles, ob es Rock, House oder HipHop ist. Sie schickt mir dann Sachen und schreibt: Check das mal.
Kommen wir zum Abschluss noch mal zu Berlin zurück. Es gibt viele Musiker, die speziell Alben oder Songs über Berlin gemacht haben. Wäre das auch etwas für Sie?
(verzieht das Gesicht zu einer Grimasse) Naah …
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