Musikproduktion: Wie TikTok die Konzipierung meiner Musik verändert
TikTok ermöglicht die virale Verbreitung von Songs. Und beeinflusst auch, wie Musik konzipiert wird. Immer im Blick: die Klicks.
W ie wird man gehört? Also, so richtig? Spotify-Zahlen, Instagram-Follower und Tiktok-Views sind mittlerweile die zentrale Metrik in der Musikindustrie. Du musst Tiktok machen, wenn du Musik machen willst, sagen sie. Sonst nimmt dich niemand ernst.
Ich will Musik machen. Deshalb versuche ich es mit Tiktok. Und ich merke, dass das etwas mit mir macht. Wenn es gut läuft, bin ich im Dopaminrausch. Aber so schnell wie das Video auf Tiktok viral geht, gehen die Streaming-Zahlen auch wieder nach unten. Und mein High auch.
Ich merke, wie das mein Leben beeinflusst. Wie es meine Stimmung kontrolliert. Manchmal verbringe ich Stunden damit, Metriken auf diesen Plattformen auszurechnen, Schlüsse zu ziehen. Ständig lade ich Statistiken neu, um am Ende – ja, was eigentlich zu tun? Nichts.
Ich mache deshalb nicht mehr oder bessere Musik. Wenn es gut läuft, wird man angefragt für Konzerte und allerhand Blödsinn wie Werbedeals. Wenn nicht, ist man alleine mit den Erwartungen und der Selbstkritik. Ist das, was ich tue, relevant? Will das jemand sehen? Manchmal habe ich Angst, etwas zu teilen, weil es schlecht ankommen könnte. Oft poste ich etwas und lösche dann erst mal die App.
Du liest einen Text aus unserem Zukunfts-Ressort. Wenn Du Lust auf mehr positive Perspektiven hast, abonniere TEAM ZUKUNFT, den konstruktiven Newsletter zu Klima, Wissen, Utopien. Jeden Donnerstag bekommst du von uns eine Mail mit starken Gedanken für dich und den Planeten.
Und dann sehe ich andere, denen es scheinbar leichter fällt. Da wäre Yu. Er macht nicht nur großartige Musik, sondern postet auch mehrmals am Tag. Und das, von außen betrachtet, mit Leichtigkeit, aus dem Affekt heraus. Ich hingegen muss mich zwingen und hinterfrage meine Posts. Habe ich nicht genug Commitment? Hab ich es nicht verdient, gehört zu werden?
Tiktok verändert die Art, wie ich Musik mache. Wenn ich einen Song schreibe, denke ich: Kann ich diesen Teil in Content übersetzen? Musik wird schon beim Entstehen auf das mögliche Engagement im Tiktok-Algorithmus optimiert. Ich überlege mir, wie die Videos aussehen könnten, die ich dazu drehe. Ich frage mich, ob der Song schnell genug interessant wird, damit er nicht weggeklickt wird. Eigentlich entwerfe ich keinen Song, der für sich steht, sondern ein Medienkonzept mit einem Song.
Ich weiß nicht mal, ob ich das schlimm finde. Ich will keinen auf „früher war alles besser“ machen. Noch nie war es so einfach, Musik zu produzieren und zu promoten. In gewisser Weise ist die heutige Musikindustrie so unabhängig wie nie zuvor. Man kann ohne Major-Label, ohne viel Geld sehr erfolgreich sein. Gleichzeitig sind Musiker*innen heute noch abhängiger von großen Unternehmen. Wer Musiker*in werden will, muss eigentlich Influencer*in werden.
Es ist das Paradox des Internetkapitalismus, der einerseits alles dezentralisiert und Macht vermeintlich demokratisiert, aber im selben Atemzug neue Monopole und Abhängigkeiten schafft, die oft undurchsichtiger sind als das, was zuvor herrschte. Was, wenn Tiktok plötzlich deinen Account sperrt? Oder plötzlich nicht mehr so funktioniert wie erwartet? Oder wenn das, was du tust, zwar genial ist, aber nicht der Logik aus Engagement und Interaktion im Feed entspricht?
Hier sieht alles ungewohnt aus? Stimmt, seit Dienstag, 15.10.2024, hat die taz im Netz einen rundum erneuerten Auftritt. Damit stärken wir, was die taz seit Jahrzehnten auszeichnet: Themen setzen und laut sein. Alles zum Relaunch von taz.de, der Idee dahinter und der Umsetzung konkret lesen Sie hier.
Aktuell erreiche ich mehr Menschen als je zuvor mit meiner Musik. Von außen sieht wahrscheinlich alles rosig aus. Aber in mir drin kurvt eine Achterbahn. Dagegen spaziere ich mittlerweile ein, zwei Stunden am Tag an.
Wie muss es erst Menschen gehen, die wirklich nur Künstler*innen sind, deren Leben noch mehr von Algorithmen abhängt? Man kann ja nicht den ganzen Tag durch die Gegend laufen, oder?
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss