Musiklabel Year0001 auf Tiktok: Voll nice in Södermalm

Das schwedische Musiklabel Year0001 wurde durch Tiktok weltberühmt. Wie kommuniziert es mit seiner Fan-Community?

Der Rapper Yung Lean steht mit Mikrofon in der Hand vor Publikum

Welterfolg dank Tiktok: der Rapper Yung Lean live im August in Göteborg Foto: Björn Larsson Rosvall/imago

Eine der letzten milden Nächte in Stockholm. Bis zum frühen Morgen sind die Straßen im hippen Viertel Södermalm voller Menschen. Im Café wird klischeegetreu Abba in Dauerschleife gespielt, dazu gibt es frische Zimtschnecken. Gleich nebenan wird in einem unscheinbaren Haus an einem ganz anderen Exportschlager gearbeitet, der vollkommen ohne Popnostalgie und Zuckerguss auskommt.

Hier entsteht im Büro des Labels Year0001 die Zukunft des schwedischen Pop. Zu seinen erfolgreichsten Künstlern zählen Rapper Yung Lean, das seltsame Kollektiv Drain Gang mit Bladee, Ecco2k, Thaiboy Digital und Whitearmor und die Postpunkkrachmacher Viagra Boys. Auch der Technoproduzent Varg2™, die iranisch-schwedische Avantgardekünstlerin Nadia Tehran und die Elektronik-Popproduzentin Stella Explorer veröffentlichen Musik bei Year0001.

Nun hat man das Portfolio internationalisiert: Neuestes Signing ist die kalifornische Hardcore-Punkband Provoker. Derzeit zählt das Label über 170 Veröffentlichungen, beinahe wöchentlich kommen neue Werke hinzu.

Gegründet wurde Year0001 im Jahr 2015 von Oskar Ekman und Emilio Fagone. Heute führen Ekman und Labelmanagerin Ella Schäfer durch das Büro. Obwohl die beiden gerade auf Hochtouren das erste Festival vorbereiten, nehmen sie sich Zeit für den Besuch der taz. Acht Mit­ar­bei­te­r:in­nen sind bei Year0001 angestellt, darunter ein Art-Direktor und ein Produktmanager. Das offene Büro ist schlicht, aber stilvoll eingerichtet. Im großen Regal werden Merchartikel aufbewahrt, an der Wand hängt moderne Kunst.

Platten oft kurz nach dem Erscheinen ausverkauft

Für das Interview laden Schäfer und Ekman in das mit italienischen Stilmöbeln ausgestattete Konferenzzimmer ein. Im Regal stehen die letzten Exemplare des kürzlich erschienenen Viagra-Boys-Albums „Cave World“. Von anderen Veröffentlichungen habe er nur noch ein Archivexemplar, erklärt Ekman, oftmals seien die Platten kurz nach dem Erscheinen ausverkauft.

Die Band Viagra Boys steht zwischen Gleisen und Zügen

Krachmacher aus dem Stockholmer Viertel Södermalm: Viagra Boys Foto: Kirsten Thoen

Ursprünglich war Year0001 als Label und Management für Yung Lean gedacht. Damals fand der Rapper keine Plattenfirma für seine Musik. Heute versteht man sich bei Year0001 als multidisziplinäres Unternehmen mit Management und Kreativstudio.

Im Eingangsbereich stehen zahlreiche Auszeichnungen vom wichtigsten schwedischen Musikpreis, dem Grammis. Sie symbolisieren, welchen Einfluss die Künst­le­r:in­nen des Labels auf das gegenwärtige Musikgeschehen haben. Dabei touren sie nur selten in Skandinavien, häufiger sind sie in den USA und im europäischen Ausland unterwegs.

Trotz des enormen internationalen Erfolgs scheint Year0001 immer noch ein Außenseiter in der skandinavischen Musikszene zu sein. Zu schräg und ausgeflippt wirkt die Musikphilosophie des Labels für schwedische Verhältnisse. „Stockholm hatte niemals eine eigene Klangkultur. Nicht so wie Berlin und auch nicht wie Kopenhagen“, erklärt Ekman. „Wir Schweden haben uns immer anderswohin orientiert und versucht, andere zu imitieren. Im schwedischen Rap kopieren gerade alle Drill aus London und Paris.“

Zwar mag Stockholm musikalisch eher wenig inspirierend sein, für die Künst­le­r:in­nen und den Labelgründer besitzt die Stadt dennoch einen enormen Reiz. „Im Vergleich zu anderen Städten hat Stockholm ein gemächlicheres Tempo, hier ist es entspannt und abgelegen“, so Ekman. Er selbst sei in einem südschwedischen Dorf mit acht Häusern aufgewachsen.

In seiner Jugend begeisterte er sich für die US-Hardcorepunk- und Skatekultur, brachte eigene Fanzines heraus und spielte in diversen Bands. Dieser Background prägt auch heute noch seine Leidenschaft für Pop. Er trinkt bis zu acht Tassen Kaffee am Tag, denkt permanent an die Arbeit, erzählt Ekman. Im Gespräch wird deutlich, wie sehr ihn die Arbeit als vielbeschäftigter A&R und Labelmanager von Year0001 antreibt.

Um ein Aufnahmestudio für seine Künst­le­r:in­nen zu finanzieren, verkaufte er sogar sein Auto. Seit 2019 teilen sich die La­bel­künst­le­r:in­nen das Studio unweit des Büros. Die gemeinsame Arbeit schweißt zusammen. „Ich glaube, es ist diese Community, die uns einzigartig macht und von anderen Labels unterscheidet“, vermutet Ekman.

Kreative Vision

Södermalm spielt dabei eine essenzielle Rolle, viele der Künst­le­r:in­nen sind im Stadtteil aufgewachsen, Viagra-Boys-Frontmann Sebastian Murphy arbeitet hier in einem Tattoostudio. Was die auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Künst­le­r:in­nen vereint, ist ihre kreative Vision, erklärt Ekman. Sie alle seien ausgeflippt, risikofreudig und hochproduktiv.

Das macht sich auch in der Musik bemerkbar, die nur schwer in Genreschubladen passt. Bladee vereint Sprechgesang mit Pop und Elektronik. Yung Lean wurde von einem Youtube-Meme zum ernstzunehmenden Rapper, kollaborierte mit Travis Scott und Frank Ocean. Die Viagra Boys fusionieren Postpunk mit Jazz und Elektronik-Einflüssen. Die Newcomerin Stella Explorer veröffentlichte erst kürzlich mit „Dorkay House“ eine wunderbar sphärige Debüt-EP, die irgendwo zwischen Pop und Dancefloor herumwabert.

Der schräge Sound aus Södermalm findet sich heute in Teenager-Zimmern rund um die Welt. Etwa „Ginseng Strip 2002“ von Yung Lean, 2015 veröffentlicht, wurde auf Tiktok zum Hit, hat mittlerweile über 188 Millionen Streams. „Auf Tiktok viral zu gehen, ohne etwas dafür zu tun, ist das Beste, was dir als Label passieren kann“, sagt Ekman über den Hype.

https://year0001.com

Viagra Boys live: 7. 12., Berlin, Astra, 8. 12., Karlsruhe, Sub­stage.

Yung Lean live: 4. 11., Köln, Carlswerk Victoria, 8. 11., Berlin, Columbiahalle

„Ich lasse mich nicht von Profit antreiben, aber Geld gibt mir viel Freiheit. Ich kann Leute anstellen, meine Künstler so bezahlen, dass sie ein gutes Leben haben können. Es gibt Labels auf der Welt, die ein Vermögen für Tiktok ausgeben, ohne Ergebnisse zu sehen. Wir tun das nicht, es liegt einfach daran, dass die Musik unserer Künstler diese gewisse Anziehungskraft hat.“

Eigene Sub- und Jugendkultur

Das Label und seine Künst­le­r:in­nen sind nicht auf Tiktok. Dafür gibt es auf der Plattform eine eigene Sub- und Jugendkultur, die der Drain Gang gewidmet ist. Deren Fans nennen sich Drainer. Sie vereint neben dem exzessiven Hören der Drain Gang eine eigene Streetstyle-Ästhetik, angeblich auch ein besonders strenger Eigengeruch. Zur Ästhetik passt auch das Merch des Labels, das online zu horrenden Preisen weiterverkauft wird.

Der Kleiderständer in der Ecke des Büros ist überfüllt mit T-Shirts, darunter Kollaborationen mit angesagten Modelabels. Genauso wie die Platten sind die Artikel oftmals rasend schnell ausverkauft. Mitunter seien die Schlangen am Merch-Stand so lang, dass viele Fans leer ausgingen, berichtet der Creative Director Kim Karlsson. In Städten wie New York oder Los Angeles kann man daher Drain-Gang-Merchandise in Pop-up-Stores kaufen.

Um in den Austausch mit den Fans abseits von Konzerten zu kommen, gründete das Label im März einen Discord-Channel. Mittlerweile sind darin über 10.000 Mitglieder. Im Channel werden offizielle Ankündigungen zu Konzerten, Veröffentlichungen und Merchandise gepostet. Die Fans können die Labelgründer auch persönlich kontaktieren.

„Normalerweise werde ich über sehr offensichtliche Sachen befragt. Manchmal soll ich Tipps zum Gründen eines Plattenlabels geben“, erzählt Ekman. Er selbst verbringt weniger als 20 Minuten auf Discord pro Tag, dafür arbeitet eine Mitarbeiterin eigens für den Kanal. Die persönliche Verbindung zu Fans ist außergewöhnlich für ein Label, das solch populäre Künst­le­r:in­nen vertreibt.

Mit seinem Community-Aspekt und der Verzahnung von Popkultur und Ästhetik hat Year0001 einen eigenen Kosmos geschaffen. Die Kommunikationsstrategien des Labels, aber auch der eigenwillige Sound der Künst­le­r:in­nen unterscheiden sich deutlich von der musikalischen Konkurrenz. Besonders erfolgreich sind in Schweden derzeit Kommerz-Pop und schwedischer Rap.

In Stockholm gibt es nur eine Hand voll spannender Clubs. Sie selbst würden nicht oft ausgehen, erklären Ekman und Schäfer bei der Verabschiedung. Auch wenn das Pop-Image von Stockholm auf den ersten Blick bieder wirkt, entsteht rund um Year0001 eine ganz neue Szene, made in Söder­malm.

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