Neues Album von den Viagra Boys: Lieber mal ein Affe werden?

Auf „Cave World“ arbeitet sich die schwedische Band Viagra Boys an der Querdenkerszene ab. Endlich kann man mal befreit lachen über all den Irrsinn!

Fünf weiße Männer, teilweise tätowiert

Musikalisch besonders sind die Viagra Boys, weil die Mitglieder aus unterschiedlichen Szenen kommen Foto: Fredrik Bengtsson

Ein gewisser Sinn für schwarzen Humor, ein Talent zur Überzeichnung und ein Hang zum Trash scheinen bei dieser Band bereits im Namen zu stecken: Viagra Boys nennt sich eine schwedische Gruppe, die mit ihrer Mischung aus Jazz, Punk, Blues und großartigen Texten schon auf ihren ersten beiden Studioalben („Street Worms“, „Welfare Jazz“) zu überzeugen wusste. Nun veröffentlicht die Band um Sänger und Rampensau Sebastian Murphy ihr neues Album „Cave World“ – und was soll man sagen?

Unterhaltsamer und selbstironischer als die Viagra Boys kann man den rotten Zustand der Welt im Allgemeinen und der Menschheit im Besonderen kaum in Bild, Text und Ton übersetzen. Stellvertretend sei hier der Spoken-Word-Track „Creepy Crawlers“ genannt, in dem Murphy sich über Verschwörungstheoretiker lustig macht und mit zitterndem Stimmtimbre spricht: „They’re putting microchips in the vaccines / Little creepy crawlies / With tiny little legs that creep around your body / Collecting information“. Endlich kann man mal befreit lachen über all den Irrsinn!

Gegründet haben sich die Viagra Boys 2015 in Stockholm. Musikalisch besonders sind sie auch deshalb, weil die Mitglieder aus unterschiedlichen Szenen kommen. Schlagzeuger Tor Sjödén und Saxophonist Oskar Carls sind im Jazz zu Hause, Keyboarder Elias Jungqvist spielt zudem noch in der Experimental-Rockband Side Effects, Bassist Henrik Höckert entstammt der schwedischen Hardcoreszene.

Neben all den Einflüssen bringt Murphy viele unterschiedliche Gesangsstile mit in die Band; mal erinnert seine brüchige, tiefe Stimme an Mark Lanegan oder Tom Waits, mal singt er im Falsett. Eigentlich zu sechst, starb Gitarrist Benjamin Vallé vergangenen Oktober überraschend mit 47 Jahren – „Cave World“ ist das erste Album ohne ihn.

Viagra Boys: „Cave World“ (Year0001/Rough Trade)

Pandemie, Bill-Gates-Geseier und Wissenschaftsfeindlichkeit

Zweieinhalb Jahren Pandemie, Bill-Gates-Geseier und Wissenschaftsfeindlichkeit haben darauf ihre Spuren hinterlassen. Man kann dieses Album fast als Konzeptalbum über Querdenker & Co verstehen. Den Viagra Boys gelingt es, den meist über soziale Medien verbreiteten Unsinn kühn zu kommentieren. So singt Murphy in „Troglodyte“: „He says he don’t believe in science / He thinks that all the news is fake / And late at night he sits on his computer / And writes about the things he hates“.

Ein Troglodyt ist ein Höhlenmensch, wobei Murphy, da darf man sicher sein, mit dem Stück nicht die Absicht verfolgt, Höhlenmenschen zu beleidigen. Ähnlich gelagert sind Songs mit sprechenden Titeln wie „The Cognitive Trade-Off Hypothesis“ oder „Return to Monke“ (sic). Murphys Rat in letzterem Song: „Leave society / Be a monkey“. Bereits auf „Welfare Jazz“ hat die Band gezeigt, dass sie musikalisch nicht auf der Stelle treten – etwa mit dem melancholischen, bluesigen „Into The Sun“ oder einem John-Prine-Coverstück (mit Amy Taylor von Amyl and the Sniffers).

Diese Tendenz setzt sich auf „Cave World“ fort: Das schon genannte „The Cognitive Trade-Off Hypothesis“ hat Anleihen an Pop-/Dancefloor-Sounds, es gibt experimentell-versponnene Interludes, der erste Track „Baby Criminal“ orientiert sich an tanzbarem Indie wie bei Franz Ferdinand, und insgesamt ist der Synthesizer-Anteil höher als zuletzt.

Ordentliches Maß an Selbstironie

Die Viagra Boys sind allerdings viel mehr als nur ihre Musik, Style und Ästhetik spielen eine ebenso große Rolle. Der voll tätowierte Murphy – von Beruf, wie praktisch, selbst Tätowierer – zeigt in den Videos auch als Schauspieler Talent und verfügt über ein ordentliches Maß an (Selbst-)Ironie, das so manchen Punks abgeht.

Die Videoclips zu „Ain’t nice“ (2020) und dem aktuellen Song „Punk Rock Loser“ mit seiner Western-Ästhetik sind beste Beispiele dafür, ihre Clips sind ohnehin oft aufwendig arrangiert und gleichen kleinen Filmkunstwerken. Auf der Stirn hat Murphy übrigens das schwedische Wort „lös“ tätowiert, übersetzt: „locker, lose“. Eine hübsche Volte, dass ein Punk, der sich selbst eine lockere Schraube attestiert, nun für die Speerspitze der Vernunft steht.

Die Viagra Boys darf man spätestens mit diesem Album in eine Reihe mit inspirierenden Punkbands jüngerer Zeit wie Sleaford Mods oder Idles stellen – mit Ersteren verbindet sie auf jeden Fall der morbide Humor. Und jetzt hopp, zurück auf die Bäume!

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