Musikfilme auf der Berlinale: Auf dem Grund der Seele

Die Sektionen Panorama und Berlinale Special zeigen fünf Filme über musikalische Ausnahmetalente, ihre Motive und ihre Krisen.

Paul Dano spielt in „Love & Mercy“ Brian Wilson, den Kopf der Beach Boys. Bild: François Duhamel/Berlinale

Ohrwürmer, die sich dauerhaft im Gedächtnis einnisten, hat der Musikwissenschaftler Peter Szendy einmal charakterisiert, würden Besitz von den Hörern ergreifen, weil ihr nostalgischer Gefühlsstrom derart mitreißt, als wäre er „das Hier und Jetzt“.

Die Musikdokumentationen und das Biopic „Love & Mercy“ triggern ebenfalls nostalgische Gefühle an und ergreifen ganz aktuell Partei. Der Trip zurück in die Vergangenheit lohnt dennoch, weil er bekannte Storys aus neuen, aus anderen Perspektiven erzählt und hie und da Verschüttetes zutage fördert.

So auch „What happened, Miss Simone?“ von Liz Garbus, einer Doku, die sich dem Leben der US-Sängerin und -Pianistin Nina Simone widmet. Simones Lebensgeschichte wird kaleidoskopartig aus Interviewausschnitten und Konzertaufnahmen zusammengesetzt und mit der Sicht ihrer Tochter Liza Simone Kelly abgeglichen. Diese hat unter den manisch-depressiven Schüben der Mutter gelitten, wurde von ihr misshandelt, was aber nichts daran ändert, wie hoch sie das musikalische Ausnahmetalent der Mutter einschätzt.

Ihr Martyrium illustriert die Torchsongs von Nina Simone, ihre auf dem Grund der Seele schürfende Baritonstimme, die damit ihr eigenes Martyrium erfahrbar gemacht hat: Die akademische Ausbildung als klassische Pianistin fand unter der Knute der Apartheidspolitik gegen die Schwarzen ein abruptes Ende. Die Ersatzkarriere als Sängerin von blues- und jazzgetönten Eigenkompositionen verfing sich in der gewalttätigen Ehe mit Andrew Stroud, einem ehemaligen Polizisten, der sie managte.

Und ihr Eintreten für die Emanzipation der Schwarzen führte zur Radikalisierung, aber endete nach 1968 im Nervenzusammenbruch und einer künstlerischen Existenz auf dem Abstellgleis. Das Scheitern ist in „What happened, Miss Simone?“ die Coda. Auf die Frage, was ihr Freiheit bedeutet, antwortet Nina Simone: „Leben ohne Angst“.

Ein aushaltbares Wimmelbild

„Ich mag meine Eltern, aber ich hasse all das, wofür sie stehen.“ Eine Tagebuchaufzeichnung von Kurt Cobain aus den Achtzigern. Repräsentatives Beispiel für seine komplexe Gedankenwelt. Berühmt wurde Cobain als Gitarrist und Sänger der Grungeband Nirvana. Leider, denn er wurde dadurch zur „Stimme einer Generation“ erhoben, einer Rolle, die ihm zu viel aufbürdete. Von ihm Geschriebenes, aber auch Zeichnungen und Trickfilme tanzen durch „Montage of Heck“, einer Dokumentation, die seine Tochter Francis produziert hat.

Anders als der Spielfilm von Gus Van Sant, der sich auf die Tage vor Cobains Suizid beschränkt, beginnt er mit seiner Geburt und gibt Cobain die Würde zurück, gerade weil von dessen prekärer Kindheit erzählt wird, von Heroinsucht und psychischen Problemen. Animierte Sequenzen kollidieren mit privaten Super-8-Filmen, Talking-Head-Aussagen und einer brachialen Tonspur aus Gitarrenwimmern und Verstärkerbrummen. So entsteht ein Wimmelbild, das die späte Phase von Selbstzerstörung und medialer Treibjagd besser aushalten lässt.

Es war einmal wie im Märchen behauptet dagegen „B-Movie. Lust and Sound in Westberlin“. Der Brite Mark Reeder, ein Protagonist der Punk- und New-Wave-Szene der frühen Achtziger, kehrt darin zurück an die alten Tatorte hinter der Mauer und garniert jene Mythen aus den alten Filmausschnitten mit seiner charmanten, dem britischen Understatement verpflichteten Erzählweise. Die künstlerische Freiheit und Liberalität der frühen Achtziger mag längst Folklore sein, dennoch verblüfft das Nebeneinander aus Naivität, Müll und Geschäftssinn immer wieder aufs Neue.

Rock aus Grönland

Ein Gitarrenamp im Packeis ist das wiederkehrende Symbol von „Sumé – The Sound of a Revolution“. Der Film erzählt die Geschichte der grönländischen Rockband Sumé. Die vier Musiker – mehrere Mitglieder sind Nachfahren der Inuit – studierten in den sechziger Jahren in Dänemark und kamen dort auf die Idee, in ihrer Landessprache zu singen, um die Kolonialgeschichte zu bewältigen, was enorm zur Unabhängigkeit der Insel beigetragen hat, wie alle Zeugen in der Doku bekunden.

In dem Biopic „Love & Mercy“ entwickelt die Inszenierung der Karriere von Beach Boy Brian Wilson ebenfalls dokumentarischen Charakter, denn heimlicher Hauptdarsteller ist Wilsons Songwriting, das in den nachgestellten Studioaufnahmen in Einzelteilen aufgefächert wird. Ihr Reenactement stellt die Arbeitsbedingungen überzeugend dar und überzeichnet die Wunderkindisierung seines künstlerischen Talents nie unangenehm. Erleichtert geht es nun zurück in die Gegenwart.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.